Gedanken- & Spaziergänge im Park: Widersprüche

Gedanken- & Spaziergänge im Park: Widersprüche Paul F. Gaudi Kompakt Zeitung „Hast Du das schon vernommen?“, fragte mich Gerd und erzählte, dass das britische Wirtschaftsmagazin „Economist“ in einem kürzlich erschienenen Artikel die Frage aufgeworfen habe, ob Deutschland wirtschaftlich der „kranke Mann Europas“ sei. Habeck habe darauf in einer Antwort für das Magazin unter anderem geschrieben: „Die deutsche Wirtschaft ist nicht krank, sie ist nur etwas aus der Form geraten.“ „Ist er nicht süß, unser Robert?“, kommentierte Gerd. „Nur etwas aus der Form geraten! Betriebe gehen pleite oder verlagern ihre Produktion in das Ausland, alles wird teurer, Wohnungsbau und Handwerk schrumpfen und er meint, die Wirtschaft sei nur etwas aus der Form geraten. Ich stelle mir vor, dass ein Mensch mit einer beträchtlichen Verbiegung der Wirbelsäule und einem sehr schmerzhaften Bandscheibenvorfall zu einem Orthopäden geht und von ihm hört: Sie sind nicht krank, ihre Wirbelsäule ist nur etwas aus der Form geraten. Vermutlich hätte der Patient nicht das Gefühl, dass sein Leiden ernst genommen würde.“ „Na ja, einen Arzt kann man wenigstens wechseln. Im Gesundbeten ist unsere Regierung aber spitze. Auch der Kanzler beteuert immer wieder, dass es aufwärts geht und alles gut wird, obwohl nahezu alle Wirtschaftszahlen auf das Gegenteil hinweisen. Das ist typisch für das Pippi-Langstrumpf-Syndrom, dessen wichtigstes Symptom die Illusion ist: ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Leider leben wir aber nicht in Bullerbü. Über das alles könnte man sich vielleicht noch lustig machen, auch wenn es nur ein bitteres Lachen wäre. Ernst wird es aber, wenn unsere Außenministerin anscheinend ohne Rücksicht auf ihre Rolle, nämlich die führende Diplomatin Deutschlands zu sein, einfach so ihre persönliche Meinung herausplappert. Jüngst geschehen in den USA bei einem Interview mit dem US-Sender Fox News, wo sie den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping einen Diktator nannte. Nicht, dass sie damit falsch läge – Gerd und ich denken auch, dass China eine Diktatur ist – aber Frau Baerbock ist nicht Frau Hinz oder Kunz, sondern führt das Außenministerium. Und Diplomaten sind dazu da, Wege und Kanäle zu anderen Staaten zu öffnen, statt sie zu brüskieren und Öl ins Feuer zu gießen. Sie sollen Brücken bauen, statt sie abzureißen. „Wenn man sich so auf dem diplomatischen Parkett bewegt, dann wirkt der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen dagegen elegant wie eine Primaballerina“, kommentierte Gerd trocken. Ein Pakt mit dem Teufel Kürzlich rauschte der Blätterwald wieder einmal mächtig gewaltig und viele Politiker der Ampelkoalition stießen Entsetzensschreie aus. Was war Furchtbares geschehen? Die Thüringer CDU brachte Mitte September im Landtag den Antrag ein, dass die Grunderwerbssteuer von 6,5 auf 5 Prozent gesenkt werden solle und mit den Stimmen der AfD und der FDP erhielt dieser Antrag die Mehrheit. Wenn man nun meint, dass das ein normaler demokratischer Vorgang sei, wie er in jeder Demokratie üblich ist, so sei das angeblich ein Irrtum. Ramelow schäumte vor Empörung und sagte, dass die CDU einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe. Das klingt richtig mittelalterlich. Grüne und SPD sprachen von „historischem Versagen“ der CDU und von einem Tabubruch. Sogar einige CDU-Politiker beklagten lauthals eine massive Beschädigung der ihnen anscheinend heiligen Brandmauer. Dabei haben doch auch SPD, Linke und Grüne gegen das Dogma „spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ hin und wieder verstoßen. Im Dezember 2022 stimmten SPD und AfD gemeinsam für die Abwahl des linken Bürgermeisters Tilo Kummer im thüringischen Hildburghausen. Sogar im Wahlkreis der Grünen Ricarda Lang, Wahlkreis Backnang (Bayern), stimmten grüne Gemeinderäte mit der AfD. In Thüringen hatten im März Linke, SPD und Grüne beim Gesetz zur Änderung der Thüringer Kommunalordnung nur gemeinsam mit der AfD eine Mehrheit gegen die CDU und FDP erlangt. Eigentlich alles ganz normale Vorgänge in einer Demokratie. Warum sollte ich auf die Durchführung eines politischen Planes verzichten, den ich für gut und richtig halte, nur weil ein anderer, mit dem ich eigentlich nichts zu tun haben möchte, auch dafür ist? Abstimmungen sind keine Abmachungen, aber das scheinen manche zu verwechseln oder gleichzusetzen. Thüringen ist offenbar politisch ein besonderer Fall in Deutschland. Erinnern wir uns: Nach der Landtagswahl 2020 wurde der FDP-Kandidat Kemmerich am 5. Februar mit den Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Aber nur für wenige Tage. Denn vom fernen Südafrika aus verkündete die damalige Kanzlerin Merkel gewissermaßen „par ordre du mufti“, das gehe gar nicht und die Wahl müsse rückgängig gemacht werden. Worauf die Thüringer CDU einknickte, Kemmerich zurücktrat und Ramelow als Chef einer Minderheitsregierung wieder gewählt wurde – mit stillschweigender Duldung der CDU. Übrigens hat 2022 das Bundesverfassungsgericht der AfD diesbezüglich in ihrer Klage gegen Alt-Kanzlerin Angela Merkel Recht gegeben. Das Recht der AfD auf Chancengleichheit sei durch die Äußerungen Merkels verletzt worden, urteilte der Zweite Senat in Karlsruhe. Wie dem auch sei, seither war in Thüringen die „Brandmauer“ ein Nasenring, an dem die Ramelow-Regierung die CDU nach Belieben hinter sich herziehen konnte. Es scheint, dass die CDU diesen lästigen und sie bei freien Entscheidungen behindernden Zwangsring abzulegen beginnt. Populus versus elites Ein beliebtes Totschlaginstrument in politischen Debatten z. B. im Bundestag ist das Adjektiv „populistisch“. Wenn man Bundestagsdebatten im Internet verfolgt, so fällt auf, dass der Begriff meist von Mitgliedern der Grünen oder der SPD benutzt wird, um Argumente oder Forderungen der CDU oder der AfD abzuwehren oder zu diskreditieren. Dieses Wort hat im derzeitigen Sprachgebrauch eine negative, abwertende Bedeutung, obwohl es vom lateinischem „populus“, das Volk, abgeleitet ist und wie das Adjektiv „populär“ mit volkstümlich oder volksnah übersetzt werden könnte. „Man muss dem Volk aufs Maul schauen“ sagte schon Martin Luther. Eigentlich doch etwas Positives. So sieht es auch, ganz im Gegensatz zum deutschen Sprachgebrauch, die englische Encyclopedia of Democracy, die Populismus als eine „politische Bewegung, die die Interessen, kulturellen Wesenszüge und spontanen Empfindungen der einfachen Bevölkerung hervorhebt, im Gegensatz zu denen einer privilegierten Elite“ definiert. Wenn in einer Bundestagsdebatte ein Redner auf seinen Vorredner antwortet, dass dessen Argumente populistisch seien, so stellt er sich damit ein geistiges Armutszeugnis aus, denn er geht nicht auf dessen Worte ein, versucht nicht die Argumente des Vorredners zu entkräften oder das Gegenteil zu beweisen, sondern er

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