Römers Reich: Fair verliert
Heutzutage ist ja alles auslegbar: Geschichte, Geschehnisse oder Geschlechter. Entweder kommt es auf die Betrachterperspektive, den Wissensumfang oder einfach die Gefühlslage an. Die Auslegungsmöglichkeiten sollen häufig Ausdruck für Vielfalt sein, für individuelle Entfaltung, und man möchte darin gern Meinungsgerechtigkeit verstanden wissen. Was allerdings herauskommt, ist oft genug Streit.
Römers Reich: Treibstoff Trübsinn
Falls Sie zu Unterstützern der AfD gehören, sollten Sie sich jetzt gut festhalten. Die Forscher Maja Adena und Steffen Huck vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung wollen in einer Studie mit 5.000 Befragten herausgefunden haben, dass Sympathisanten dieser Partei unglücklicher seien.
Römers Reich: Unsichere Sicherheit
„Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird heute auch am Hindukusch verteidigt.“ Diesen Satz sagte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck im Februar 2002, angeblich spontan, wie er später erklärte.
Römers Reich: Wie rechts von links wächst
Der Kampf gegen rechts ist das Gebot der Stunde. Und wie man in jüngerer Zeit an zahlreichen Demonstrationen ablesen konnte, haben sich viele Menschen gegen rechts positioniert. Kurioserweise scheint der störrische Teil der Gesellschaft, den man als rechten erkannt haben will, nicht zu schmelzen.
Römers Reich: Rechte Jungs, linke Mädels
Römers Reich: Rechte Jungs, linke Mädels Axel Römer Kompakt Zeitung Entwicklungen in den USA kommen gemeinhin mit etwas Verspätung auch zu uns über den Teich. Aus den Vereinigten Staaten ist nun zu vernehmen, dass sich zwischen jungen Frauen und Männern im Alter von 18 bis 29 Jahren eine Kluft auftut. So sollen sich junge Frauen eher von linken, und junge Männer mehr von rechten Positionen angesprochen fühlen. Die Emanzipation der Frau ist ein linkes Ansinnen, und so verwundert es wenig, dass Frauen eine Affinität dahin entwickeln. Diesen Trend kann man seit den 1990er-Jahren auch in Europa beobachten. Inzwischen soll der Abstand dieser Rechts-Links-Vorstellungen rund 30 Prozent betragen. Der Feminismus hat sich inzwischen ebenso den Kategorien Antirassismus, Naturschutz und Diskriminierung verschrieben. Neu ist jedoch, dass sich mittlerweile junge Männer als Opfer von Diskriminierung sehen. Während sich Frauen mehr und mehr politisch engagieren, ziehen sich Männer aus dem Bereich zurück. Wegen ihres Geschlechts und der beispielsweise damit verbundenen Patriarchats-Erzählung fühlen sich Männer mehr und mehr diskriminiert. Es wachse eine verlorene Generation junger Männer heran. So lautet das Fazit einer Studie des „Survey Center of American Life“. Männer-Themen würden im linken Spektrum kaum diskutiert. Nur wenn sie sich eventuell transsexuell bekennen, werden sie positiv wahrgenommen. Alles andere gehöre in die Vorstellungswelt veralteter Rollenbilder. Die Onlinewelt trägt ihrerseits zur Forcierung dieser Spaltung bei. In der sogenannten „Manosphere“ – ein so bezeichnetes loses, vorwiegend antifeministisches Netzwerk – agierten „Incels“, also Männer, die keine Sexpartnerinnen finden und Frauen mit Hass überziehen. Andererseits bezeichnen Frauen in ihren Formaten Männer als Gift oder Abschaum. In deutschen Medien ist inzwischen häufig vom „abgehängten, jungen Mann“ zu lesen. So ein Klischee verstärkt natürlich das Opfergefühl einer jungen Männergeneration. Noch drückt sich dieses Phänomen hierzulande noch nicht in Wahlen aus. Bei der letzten Bundestagswahl lagen Frauen und Männer, die ihre Stimme der AfD gaben, nur 3 Prozentpunkte auseinander. Signifikant ist jedoch, dass junge Frauen eher die Grünen wählen. Das bestätigt zumindest die Ausgangsthese, dass die Generationen nachwachsender Frauen eher linken Projekten vertrauen. Wenn sich die Entwicklung einer Spaltung zwischen Frauen und Männern jedoch fortsetzen sollte, müsste man schlussfolgern, dass Gleichberechtigungs- und Gleichstellungsvorhaben eher Motor solcher wachsenden Differenzen sind. Es wächst also weniger zusammen, was zusammengemeint war. Die Betonung und die Förderung einer Seite, vernachlässigt die andere. Schöne gerechte ungerechte Welt möchte man ausrufen. Oder mit Goethes Zauberlehrling gesprochen: „Die ich rief, die Geister / Werd’ ich nun nicht los.“ Seite 3, Kompakt Zeitung Nr. 251, 6. März 2024
Römers Reich: Inflation der Besserwisser
Römers Reich: Inflation der Besserwisser Axel Römer Kompakt Zeitung „Es ist ein Jammer, dass die Besserwisser zwar alles besser wissen, aber nichts besser machen.“ So resümiert der österreichische Lehrer und Schriftsteller Ernst Ferstl über die Spezies der Besserwisser. Bösere Zungen nennen solche Leute auch Klugscheißer, und solche, die es harmloser ausdrücken wollen, nutzen das Wort naseweise. Menschen wie mir wird häufig ein Besserwisser-Etikett angeheftet. Schließlich verweise ich gern auf Widersprüche und fehlende Aspekte in einer Argumentation. Auch nehme ich Behauptungen nicht einfach so hin, selbst dann nicht, wenn mir ein Gegenüber eins mit der Wissenschaftskeule überhelfen will. Oft ist dann von Studien die Rede, die dieses oder jenes belegen sollen. Ich wende dann gern ein, dass Forschungsmethoden heute so weit entwickelt sind – egal, ob sozial- oder naturwissenschaftliche –, dass man eigentlich für jede These einen Nachweis führen kann. Das zweite Problem einer Inflation an Besserwisserei ist durch das Internet entstanden. Begriffe, Daten und Fakten, jede entstehende Frage oder eine Wissenslücke werden heute gern sofort online überprüft. Und bei gegensätzlichen Positionen wird entsprechend argumentativ zurückgeschlagen. Natürlich ist vielen klar, dass eine schnelle Suche nicht unbedingt eine verlässliche Antwort auswerfen kann. Möglicherweise findet man wichtige Informationen erst auf Hunderten Seiten hinter der Ausgabe einer Suchmaschine. Doch lange nachzulesen, ist offenbar eine schwindende Beschäftigung. Da muss das Interesse am Wissensgebiet schon enorm groß sein. Die ersten ausgeworfenen Internetseitenfunde sind häufig nur deshalb ganz vorn, weil sie entweder gesponsort sind oder eben oft aufgerufen wurden und gut vernetzt sind. Inzwischen hat eine neue Untersuchung der Postbank herausgefunden, dass Erwachsene unter 40 Jahren im Schnitt 93 Stunden – das entspricht fast vier ganzen Tagen und Nächten – pro Woche online angeschlossen sind. Allein die Smartphone-Nutzung verschlingt inzwischen einen ganzen Wochentag. Der Berliner Psychiater Jan Kalbitzer meint, dass dadurch die Kontrolle über das Nutzungsverhalten flöten geht und die Abhängigkeit, noch häufiger zum Handy zu greifen, stimuliert wird. Und ich glaube, dass außerdem die Besserwisserei weiter um sich greifen wird. Niemand möchte doch dumm dastehen. Also wird auf Teufel komm raus weiter und schneller gesucht. Für die eigentlich tieferen Informationen und die Wissensbereicherung bleibt schließlich immer weniger Zeit übrig. Das schnelle Herausposaunen von Meinungen, die fälschlicherweise oft für Wissen gehalten werden, verbreiten die allgemeine Klugscheißerei inflationär. Und ganz wichtig ist dabei der Ausspruch von Georg-Wilhelm Exler, einem Sprücheerfinder aus Rheine, zu beachten: „Besserwisser heißen Besserwisser, weil sie es nicht besser können.“ Ich weiß es nicht besser, aber ich glaube, dass wir uns hierzulande und sicher auch anderswo auf dem Weg befinden, alles immer besser wissen zu wollen, aber fürs Können einfach keine Zeit mehr finden. Seite 2, Kompakt Zeitung Nr. 248, 24. Januar 2024
Römers Reich: Wege in die Einsamkeit
Römers Reich: Wege in die Einsamkeit Axel Römer Kompakt Zeitung Macht macht einsam. Wer in der Hierarchie ganz oben steht, muss Entscheidungen über Köpfe anderer hinweg treffen. Freundschaften sollen darunter beispielsweise verloren gehen. Die Bundesregierung hat nun das Thema Einsamkeit für sich entdeckt und will Projekte fördern, die Wege aus der Isolation weisen und das Miteinander fördern. Ich habe den Eindruck, dass die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus hier ein selbsttherapeutisches Anliegen verfolgt. Schließlich empfinden viele Bürger die aktuelle Politik als weit entfernt von realen Problemen unserer Zeit. Auch der Wirtschaftsminister Robert Habeck von derselben Partei muss sich ziemlich einsam fühlen. Im Dezember bekannte er freimütig: „Wir sind von Wirklichkeit umzingelt.“ Einen besseren Satz hätte kein Kabarettist heraushauen können, wenn Habeck ihn komisch gemeint hätte. Treffender konnte der Grüne jedoch die einsam machende Realität der politischen Akteure nicht beschreiben. Die Ampel-Regierung nimmt mit ihren Projekten vorrangig ältere Menschen ins Visier und will unter diesen Teilhabe und Gemeinsamkeit initiieren. Was sie dabei nicht beachtet, wie Bedingungen des modernen Zeitalters bereits bei jungen Menschen die Keim von Einsamkeit hervorbringt. Familienbande sind ein Garant für Zusammenhalt. Aber zunehmende Kinderlosigkeit, kleiner werdende Familien, mehr Single-Haushalte sind Einsamkeitstreibstoff. Was die Familienministerin Paus offenbar überhaupt nicht ins Auge nimmt, ist die Online-Abhängigkeit insbesondere bei Jugendlichen und Kindern. Die Nutzungsdauer hat sich von 2007 bis heute auf 224 Minuten pro Tag verdoppelt. Das heißt: weniger Zeit für reale Begegnungen, gemeinsame Unternehmungen und Erlebnisse. Echte Freundschaften bauen aber auf viele Momente gemeinsamer Erlebniszeit. Indes wächst der Anziehungsmechanismus mit noch mehr Unterhaltungsangeboten und Inszenierungen für Bildschirmgeräte ins Uferlose. Das Bundeskabinett, das die Projekte zur Bekämpfung von Vereinsamung abgesegnet hat, bekämpft Einsamkeit mit Isolationsförderung. Doch wie soll man aus einer einsamen Position auf den hohen Gipfeln der Politik, die von Normalsterblichen nicht erklommen werden können, auch in die Gemeinschaft zurückfinden? „Entfremdung bezeichnet einen individuellen oder gesellschaftlichen Zustand, in dem eine vormals feste, nicht in Frage gestellte Beziehung des Menschen aufgehoben, verkehrt, gestört oder zerstört wird.“ So steht es bei Wikipedia. Einsamkeit und Entfremdung sind wie Geschwister. Doch wenn politisch Entfremdete Vorhaben gegen Einsamkeit initiieren, ist das, als wollten sie das Kind mit dem Bade ausschütten. Ich drücke jedenfalls Herrn Habeck ganz fest die Daumen, dass er den Bann der Wirklichkeit durchbricht, von der er sich umzingelt fühlt. Vielleicht kommt er dann öfter mit politischer Gemeinsamkeit in Berührung. Was wirklich einsam macht, ist, wenn Ideologie Macht hat. Das konnte man am DDR-Politbüro gut sehen. Seite 2, Kompakt Zeitung Nr. 247, 10. Januar 2024
Römers Reich: Mangel oben und unten
Römers Reich: Mangel oben und unten Axel Römer Kompakt Zeitung In Deutschland fällt man von einem PISA-Schock in den nächsten. Von Jahr zu Jahr sinken die Schüler-Kompetenzen in den drei Bereichen Lesekompetenz, mathematische Kompetenz und naturwissenschaftliche Grundbildung. Die PISA-Studien sind internationale Schulleistungsuntersuchungen, die seit dem Jahr 2000 in dreijährlichem Turnus durchgeführt werden. Dabei sollen die alltags- und berufsrelevanten Kenntnisse und Fähigkeiten Fünfzehnjähriger gemessen werden. Für die Bundesrepublik darf man nun getrost sagen: Gute Nacht deutsches Dichter- und Denkerland! Der Aufschrei über die Kompetenzverluste geht durch alle Reihen. Mich verwundert das. Denn die Vorausschau dazu wird seit Jahren gepredigt. Die Reaktion aus der politischen Himmelssphäre war stets dieselbe: Bildung braucht mehr Geld. Oder anders gesagt: Geld ist das heilige Mittel. Allerdings kann Geld weder Mathematik noch Lesen oder Schreiben lehren. Geld arbeitet nur für jene, die es in ausreichendem Maße zur Bank tragen, um es dort vermeintlich für sich „arbeiten“ zu lassen. Schon unter diesem Aspekt beginnt der Bildungsmangel. Damit sich Geld durch Zinsen vermehrt, muss es erstens solche geben und zweitens müssen andere dafür arbeiten, damit investiertes Geld den Anteil abwirft, den eine Bank ihren Anlegern übriglässt. Jedenfalls haben zahlreiche Fehleranalysen aus den vergangenen Jahren nicht dazu geführt, dass sich Bildungsmangel in sein Gegenteil verkehrt. Wie auch? Der niedere Bildungsbürger an der Basis beklagt seit langem Kompetenz- und Wissensverluste bei Politikern. Allerdings wurden jene, die entscheiden, von solchen gewählt, die sich andere Entscheidungen wünschen. Zugegeben – die Regierung wird ja stets von denen gewählt, die es am Ende nie gewesen sein wollten. Und nun, da die Ampelkoalition im Bundestag die Wirkung von Direktmandaten zur Begrenzung der Bundestagssitze einschränkte, kann noch mehr politisches Personal auf aussichtsreiche Listenplätze kommen, ohne je eine berufliche Praxiskompetenz nachgewiesen zu haben. Damit sind wir schon beim Übel aller Übel. Theoretisierende Analysten und Propheten sind es, die gern darüber redend orakeln, wie Bildung besser gelingen kann. Nur tun können sie es nicht. Selbst die Konzepte dazu kommen wiederum aus Theoriekreisen. Wenn ich mir einen noch teureren Computer kaufe, werde ich leider nicht schlauer. Die Intelligenz sitzt immer noch vor einem Bildschirm, und wenn diese mit dem Gerät etwas Kluges anstellen will, muss zuvor einiges in den Kopf hinein, bevor wieder etwas herauskommen kann. Ich glaube, dieses Grundprinzip ist in dem Moment aufgegeben worden, als man begann, das Heiligtum der Digitalisierung anzubeten. Inzwischen kommt manches Bundesland zur Erkenntnis, dass ein Mehr an Bildschirmzeit nicht schlauer macht. Natürlich muss sich das vor allem in Elternhäusern herumsprechen. Doch wie soll ein Mensch zur Einsicht kommen, wenn er glaubt, allein durch Smartphone-Nutzung klüger zu werden? Wir müssen tiefer sinken. Seite 3, Kompakt Zeitung Nr. 246, 10. Dezember 2023
Römers Reich: Universalistische Spaltung
Römers Reich: Universalistische Spaltung Axel Römer Kompakt Zeitung Das Land wird bunter und vielfältiger. So wird es gern verkündet, insbesondere von Menschen, die sich politisch eher grün oder links sehen wollen. In der vergangenen Ausgabe habe ich versucht zu zeigen, dass die Gerechtigkeit für manche Menschen mit „diversen“ Geschlechtervorstellungen häufig an der eigenen Definition aufhört. Heute blicken wir auf politische Akteure, die anderen Spaltung vorwerfen und sich selbst als universalistisch begreifen. Natürlich gibt es im „Studies-Zeitalter“ wiederum eine Erhebung, die sich mit dem Phänomen Zusammenhalt beschäftigt. Die letzte CDU-SPD-Regierung machte sich Sorgen um den Zusammenhalt der Gesellschaft und sah Spaltungstrends. Deshalb gründete man 2020 das „Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ (FGZ). Dies sollte ein Beitrag für den Kit der Gesellschaft liefern. Nun legte das Institut den ersten „Zusammenhaltsbericht“ vor. Einen Zerfall der Gesellschaft wollen die involvierten Forscher vorerst nicht erkennen. Allerdings gebe es eine Tendenz zur inneren Segregation. Demnach würden sich „Blasenbildung“ und „Homophilie“ unter den Deutschen vermehren. Eine Entkopplung von sozialen Lebenswelten wäre zu beobachten und keine bunte Mischung, wie man sich das eigentlich wünschte. Man bleibe lieber unter seinesgleichen. Nun muss man den Bericht in seiner Aussagekraft nicht überbewerten. Im Bericht sind subjektive Aussagen über Gefühlslagen zum Zusammenhalt der Gesellschaft enthalten, aber keine objektiven Daten, beispielsweise zum Ausmaß von sozialer Ungleichheit anhand von Sozialstatistiken. Aber einen Trend zur Segregation (räumliche Aufteilung, Trennung oder Entmischung entlang bestimmter Merkmale) weist die Studie nach. Sich im vertrauten, eigenen Milieu zu bewegen sei unter geringer Gebildeten, Muslimen, Anhängern der AfD und vor allem bei Grünen zu erleben. Diese Gruppen haben ein Verhalten entwickelt, das sich eher vom Rest der Gesellschaft entkoppelt. Diese Erkenntnis wird wahrscheinlich bei religiösen Gemeinschaften wie Muslimen, die vielfach anders kulturell und traditionell geprägt sind als hiesige Landsleute, überraschen. Im traditionell-konservativen Verständnis wird man sich kaum an sogenannten Gender-Treffen beteiligen, die es übrigens auch in Magdeburg gibt. Geringer Gebildete suchen höchstwahrscheinlich selten wissenschaftliche oder gesellschaftspolitische Debattenräume auf, um sich über die Vielfalt von Ansichten zu informieren. Dass sich jedoch die Grünen, die sich selbst als universalistisch, weltoffen, bunt und divers verstehen wollen eher in ihren Milieus zurückziehen, anstatt auf andere zuzugehen, ist ein denkwürdiger Befund. Auf jeden Fall zeigt dies, dass die demokratische Offenheit wahrscheinlich weniger dort greift, wo sie dauernd gepredigt wird. Wer Universalität fordert, muss sie dann jedoch auch leben. Sich vor anderen zu verschließen, sägt am Zusammenhalt der Gesellschaft. Das wurde bisher eher der AfD und Muslimen unterstellt. Es sind aber auch andere. Seite 2, Kompakt Zeitung Nr. 245, 22. November 2023
Römers Reich: Wenn divers einseitig wird
Römers Reich: Wenn divers einseitig wird Axel Römer Kompakt Zeitung Divers wird heute als ein progressives Wort verstanden. Die ursprüngliche Bedeutung bezieht sich auf die lateinische Vokabel diversus. Was abweichend oder verschieden bedeutet. Heute taucht das Wörtchen divers in jeder Stellenanzeige auf, Unternehmen und Institutionen betonen gern, dass sie divers seien. Nun ja, dass sich Individuen von anderen unterscheiden, steckt in der Natur von Individualität. Divers wird aber aktuell für eine Geschlechterbezeichnung verwendet, bei entsprechenden Menschen, die ihre Abweichung gegenüber der sogenannten Heteronormativität benennen wollen. In letzter Zeit werden häufiger Probleme mit mancher „diversen“ Community bekannt. Ein Auftritt der Alt-Feministin Alice Schwarzer beim Leipziger Literaturfestival „Literarischer Herbst“ sollte verhindert werden. In einem offenen Brief wurden ihr „transfeindliche, rassistische und misogyne Aussagen und Publikationen“ vorgeworfen. Wenn Meinungen von Menschen, die sich divers bezeichnen, abweichen, mündet die Ablehnung offenbar in Feindbildbezeichnungen. Solche Tendenzen gibt es inzwischen bei zahlreichen Themen. „Alte weiße Männer“, „Rassisten“, „homophobe“, „Extremisten“, „Rechtsextreme“ und viele Bezeichnungen mehr machen derart inflationär die Runde, dass man meinen möchte, wir sind überall vom Bösen umzingelt. Diese vielen Erzählungen aus den Mündern von Leuten, die ein Selbstverständnis des allmächtig Guten in sich tragen, lassen gleichzeitig die Zahlen von Opfern und Opfergruppen anschwellen. Komisch, dass niemand bemerken will, dass die Probleme allein dadurch zunehmen, weil sie jeweils vom Standpunkt des selbstdefinierten Gutseins geboren werden. Je mehr moralisch Gutes definiert wird, umso mehr Niedertracht, Böses und Schattenseiten des Lebens kommen ans Licht. Paradox ist, dass heutige Vertreter von diversen Geschlechtern ihren geistigen Ursprung in der Philosophie des Dekonstruktivismus finden. Alles ist Konstruktion und kann deshalb dekonstruiert werden, allen voran durch Sprachänderungen. Wenn man also der konstruktivistischen Ursache letztlich mit konstruktivistischer Methode begegnet, was sollte dann besser werden. Es ist nichts anderes, als den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Und genau deshalb entsteht aus der proklamierten Theorie des Guten das konstruierte Böse. Je mehr Worte für Abweichungen bzw. Verschiedenartigkeit gesetzt werden, umso mehr Gräben ziehen jene, die sich als anders definieren. Nicht, dass sie das nicht tun sollten, aber sie sind damit jedoch selbst Erfinder von Kehrseiten und Ursprung von Differenzen. Wer sich ergo als Verteidiger von Diversität bezeichnet, muss auch die Meinungsgegengewichte akzeptieren, sonst wäre eine Ablehnung anderer Positionen alles andere als divers, sondern ziemlich einseitig. Ich glaube nicht, dass Menschen, die nicht mit diversem Jubeltaumel einer erklärten Richtung nachlaufen, immer gleich Feinde sind. Als Feind wird man nicht geboren. Man wird dazu gemacht – so müsste es abgewandelt nach Simone de Beauvoir heißen. Seite 2, Kompakt Zeitung Nr. 244, 7.11.2023