Zwei britische Wissenschaftler beschreiben in einer Studie, warum der Unterhaltungswert des Fußballs zu schwinden droht. | Von Rudi Bartlitz
Wer sich heute, oft ein wenig vergangenheitsverliebt, Fußball aus den, sagen wir, fünfziger, sechziger oder selbst noch den siebziger Jahren anschaut und ihn mit Clips aus der Gegenwart vergleicht, reibt sich zuweilen verdutzt die Augen. Hat er, fragt der Betrachter sich dann, auf der Fernbedienung unbeabsichtigt eine Zeitlupentaste gedrückt oder warum laufen die Spieler so langsam. Der zweite Gedanke folgt auf dem Fuß: Mein Gott, was für lasche Schüsse! Die gleichen ja eher Rückgaben. Irgendwann muss schließlich selbst der noch so nostalgisch Veranlagte erkennen: Nein, die Optik trügt nicht, der Fußball hat sich wirklich so rasant entwickelt. Er ist deutlich schneller, athletischer und dynamischer geworden. Kurz: Er ist besser als früher. Räume, die einst Mittelfeldspielern zugestanden wurden, um den Ball anzunehmen, ein wenig mit ihm zu traben, zu schauen und ihn dann – im Idealfall mit einem Günter-Netzer-Gedächtnispass – weiterzubefördern, sie sind dahin.
Die Verbesserung des spielerischen Niveaus hat viel mit der Kommerzialisierung des Sports zu tun. Seit die Aussichten für Klubeigner, Spieler und Trainer gewachsen sind, durch Fußball reich zu werden, wird härter gearbeitet, leben die Stars professioneller. Gleichzeitig hat sich in den Ligen ein anderer, in gewisser Weise gegenläufiger Trend entwickelt. Gute Mannschaften erzielen überproportional höhere Einkommen als schwächere Teams. Sie können es sich leisten, bessere Spieler (und bessere Trainer) zu verpflichten, die wiederum die Erfolgsaussichten ohnehin guter Mannschaften weiter verbessern. In der Folge droht der Unterhaltungswert des Fußballs zu schwinden, weil Erfolge vorhersehbar werden.
Man könnte es auch mit einem allgegenwärtigen Slogan umschreiben: Geld schießt eben doch Tore. Wer daran bisher immer noch Zweifel gehegt haben sollte, dem helfen zwei britische Forscher endgültig auf die Sprünge. Und zwar mit der wohl umfangreichsten Erhebung, die es in der Geschichte der Fußballstatistik je gegeben hat. In einer ambitionierten Datenanalyse untersuchten die beiden Briten Victor Martins Maimone und Taha Yasseri von der Universität Oxford sage und schreibe 88.000 Spiele in elf europäischen Ligen (inklusive Bundesliga und Premier League). Die Spanne dehnt sich dabei über 26 Jahre, exakt von 1993 bis 2019. Das Ergebnis ist so eindeutig wie ernüchternd: Reiche Mannschaften gewinnen immer häufiger, der Sport wird langweiliger. Weil es einfacher wird, den Sieger vorauszusehen. Ganz wichtig: Hier wird nicht nur eine These in den Raum gestellt, sondern sie wird anhand erdrückender Zahlen bewiesen.
Geld spielt bei allem offenkundig eine dominante Rolle. Die Forscher stellen fest, dass die Vorhersehbarkeit der Ergebnisse höher ist, je reicher eine Liga ist. Wichtiger noch ist ihre Erkenntnis, dass in Ligen, bei denen zwischen den Mannschaften ein sehr großes finanzielles Gefälle herrscht, der Ausgang der Partien besonders gut vorhersehbar ist. Die Autoren der Untersuchung sprechen hier von einer Gentrifizierung des Fußballs. Also jenem aus der Soziologie entlehnten Begriff, der die Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte durch wohlhabendere in innerstädtischen Top-Lagen beschreibt. Auf den Fußball übersetzt heißt das so viel wie: die kontinuierliche Besserstellung erfolgreicher Teams auf einem Level, das für schwächere Mannschaften kaum mehr zu erreichen ist.
Maimone und Yasseri gingen sogar noch einen Schritt weiter: Sie entwickelten auf der Grundlage der Unmenge an ermittelten Daten ein Modell, um Spielergebnisse vorherzusagen. Erfreut stellten sie fest, dass ihre Vorhersagen im Laufe der Jahre immer besser wurden, die Ähnlichkeiten leichter vorhersehbar waren. Sie fanden heraus, wie die Zeitschrift „Royal Society Open Science“ schrieb, dass das Modell „im Allgemeinen ziemlich genau war und das Ergebnis aller Spiele mit einer Genauigkeit von etwa 75 % richtig vorhersagte“.
Eine weitere Tendenz, die auch in anderen Studien schon zutage trat, haben die britischen Wissenschaftler bekräftigt: Der Heimvorteil ist in den letzten Jahren geschrumpft. Er existiert zwar weiterhin, spielte aber mit den Jahren eine immer geringere Rolle – in allen untersuchten elf Ligen. Die Bundesliga hatte dies mit Daten gerade für die Corona-Zeit belegt (in Folge von Geisterspielen deutlich mehr Auswärtssiege als zuvor). Eine weitere interessante Erkenntnis, warum der Heimvorteil zurückgeht, liege darin, heißt es in der Oxford-Studie, dass gute (soll heißen: finanzstarke) Teams erfahrener mit Auswärtsspielen umgehen, weil sie im Gegensatz zu ihrer schwächeren Konkurrenz in internationalen Wettbewerben vertreten sind. Der Vorteil der Heimteams habe im Laufe der Zeit so weit abgenommen, dass Maimone und Yasseri ihn in ihrem Modell der Ergebnis-Prognosen gar nicht mehr berücksichtigen.
Die beiden Forscher bleiben, so schrieb die „FAZ“ dieser Tage, nicht bei einer reinen Analyse ihrer Daten stehen. Um den Fußball weniger vorhersehbar (und langweilig) zu machen, sollten sich die europäischen Ligen von amerikanischen Profisportarten inspirieren lassen, lautet ihre Empfehlung. Im American Football der NFL gilt beispielsweise ein sogenannter Salary Cap (Gehaltsdeckel). Er limitiert die Ausgaben eines Teams für seine Spieler. Weil die Mannschaften zudem noch über die Hälfte der Erlöse teilen, ist eine Wettbewerbsfähigkeit erreicht, die es auch finanziell nicht so gut gestellten Team erlaubt, realistisch nach Trophäen zu schielen. Ramy Elitzur, Finanzprofessor an der Universität von Toronto, spricht deshalb von der NFL schon von einer „der sozialistischen Ligen der Welt“.