Alice im musikalischen Wunderland
Birgit Ahlert
„Alice im Wunderland“ ist seit der Veröffentlichung 1865 eines der meistgelesenen Kinderbücher. Gerald Barry hat aus dem Stoff eine Oper gemacht, die am Theater Magdeburg unter Regie von Julien Chavaz in deutscher Erstaufführung zu erleben ist. Premiere war am 6. Mai.
Über Jahrzehnte hinweg haben viele Autoren die Geschichte von Alice neu bedacht und in andersartige Formen umgewandelt. Sie wurde zum Theaterstück, Ballett, Film. Zudem hat sie Künstler anderer Genres inspiriert – ob filmisch (von Fahrenheit 451/1966 bis Matrix/1998) oder musikalisch (John Lennon ließ sich zu Beatles-Kompositionen von „Alice im Wunderland“ anregen). Nun vertonte Gerald Barry, der erste „Composer in Residence am Theater Magdeburg“, die weltbekannte Geschichte als Oper. Dafür hat er thematisch das Erstlingswerk des britischen Schriftstellers Lewis Carroll und das Nachfolgebuch „Alice hinter den Spiegeln“ vereint. Eine symbolische Trennung erfolgt während der Aufführung dezent durch einen zwischenzeitlich herunterfahrenden Vorhang – und anschließend hat sich Alice‘ Frisur geändert.
Nach dem Erfolg der szenischen Uraufführung 2020 am Royal Opera House in London ist die Oper nun am Theater Magdeburg in deutschsprachiger Erstaufführung zu erleben. Unter der Regie des Generalintendanten Julien Chavaz entstand eine turbulente Inszenierung, ungewöhnlich und unterhaltsam. Die sprachliche Adaption war eine Herausforderung, ist von Chavaz zu erfahren. Denn die Formulierungen sind den Original-Büchern entnommen und ins Deutsche übersetzt worden (Christian Poewe). Angesichts dessen um so erstaunlicher, mit welcher scheinbaren Leichtigkeit sie auf der Bühne geboten werden.
Schon der Beginn der Inszenierung ist ungewöhnlich und turbulent. Die Musik ist elektrisierend, die Handlung rasant mit vielen Wechseln. Dabei setzt Bühnenbildnerin Anneliese Neudecker intensiv die Möglichkeiten der Drehbühne ein. Mit Tempo wechseln die Darsteller ihr Aussehen (Kostüme: Severine Besson, bravourös gelöst), werden die zahlreichen Rollen doch von nur sechs Personen übernommen. Sie bieten alles andere als eine statische Oper, es wird gespielt, getänzelt, gewitzelt, gesprochen, mit Mimik, Gestik und ganzem Körpereinsatz jeder einzelnen Figur Leben gegeben – und außerordentlich gesungen. Zwischen all den guten Leistungen sei auf Stefan Sevenich gesondert hingewiesen, der mit seiner Darstellung eine große Leichtigkeit einbringt und dessen Spielfreude sich auf die Betrachter überträgt. Großartig gibt Alison Scherzer die Alice. Stimmlich ebenso wie in der kindlich-leichten Gestaltung der Figur. Die Amerikanerin, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt, hat sich als Coloratura Sporano einen Namen gemacht, schafft es stimmlich in unglaubliche Höhe und zu schnellen Koloraturen.
Die Kompositionen von Gerald Barry sind eine Herausforderung. Meisterlich umgesetzt auch von der Magdeburgischen Philharmonie (Musikalische Leitung Jérome Kuhn). Die einstündige Aufführung wird empfohlen für Zuschauer ab 10 Jahre, kann aber auch mit jüngeren Kindern besucht werden, sagt Julien Chavaz. Die moderne Inszenierung ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Doch wer sich darauf einlässt, wird seine Freude haben.
Seite 11, Kompakt Zeitung Nr. 232