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Pah, wer ist schon Usain Bolt?

Unternehmen plant „Olympia der Zukunft“ ohne Doping-Verbot. Einnahme unerlaubter Mittel als Optimierung – die abstruse Welt der „Enhanced Games“.

 

Von Rudi Bartlitz

Ein von außen unscheinbares Büro in London soll zum Nukleus eines neuen Olympia werden. Während die Sportwelt gebannt nach Paris schaut und der Eröffnung der Sommerspiele entgegenfiebert, werden dort ganz andere Pläne geschmiedet. Hinter ihnen steckt jedoch nichts anderes als ein unverhüllter Angriff auf das größte Sportspektakel der Welt – unter dem Deckmantel eines wissenschaftlichen Ansatzes. „Enhanced Games“ nennt sich das Ansinnen, also „verbesserte Spiele“. Vom Sitz der Organisation in der britischen Hauptstadt aus werden die Fäden gesponnen. 2025 soll es erstmals soweit sein.


Der 100-m-Weltrekord von Usain Bolt: pulverisiert. Die Bestmarke über 400 m Lagen von Michael Phelps: übertroffen. Ein Millionenpublikum rund um den Globus sitzt gebannt vor dem TV, die Unterhaltungsmaschine läuft auf Hochtouren – citius, altius, fortius; schneller, höher, stärker. Das sind die Visionen der Macher der „Games“. Anabolika, Wachstumshormone, Aufputschmittel? Egal, nur immer rein damit! Es leben die Spiele ohne Doping-Verbot!


Chef des Unternehmens, das all das ermöglichen will, ist der australische Unternehmer Aron D’Souza. Um sich geschart hat er eine Ansammlung von Superreichen dieser Welt, darunter der Deutsche Peter Thiel („Paypal“). Auf ihrer Website bezeichnen sie sich anmaßend als Gegenmodell zum intransparent vom Doping verseuchten olympischen Sport und dem „korrupten IOC“. Ihre vorgeschlagene Lösung zur Beseitigung all des Übels: Abschaffung der Dopingtests und das Ermöglichen von neuen Weltrekorden durch die offene, wissenschaftlich begleitete Einnahme von leistungssteigernden Mitteln.


Finanziert werden soll das Ganze von großzügigen Investoren. Weltrekorde sollen mit einer Million US-Dollar prämiert werden. Alle menschlichen Leistungen müssten gefeiert werden, nicht nur die natürlich zustande gekommenen, schrei­ben die Organisatoren der „Enhanced Games“. Ein Hoch also auch auf die Fortschritte der Pharmakologie. Es gehe letztlich um Athleten, die ihr volles Potenzial mit Hilfe gewisser Mittel ausschöpften.


Quasi zur Begründung seines Anliegens sagte D’Souza: „Wenn wir alle Weltrekorde brechen, wer schaut sich dann noch die alten, langsamen Olympischen Spiele an?“ Weiter: „Die Leute lieben Superhelden. Und wir werden diese Superhelden liefern.“ Anders gesagt: Wer die meisten Dopingmittel in sich hineinpumpt, gewinnt. So vereinfacht ließe sich das Konzept der sogenannten „Games“ umschreiben. In einem Video auf ihrer Webseite verspricht die Organisation jedenfalls schon, dass während der ersten Doping-Spiele Bolts 100-Meter-Weltrekord fallen wird. Spektakel und neue menschliche Höchstleistungen, so lautet das Versprechen von D’Souza und seinen Mitstreitern. Auf deren Internetseite steht ebenfalls: „Die Enhanced-Bewegung glaubt an den medizinischen und wissenschaftlichen Prozess, der die Menschheit zu ihrem vollen Potenzial führt.“ Dabei soll es laut D’Souza tatsächlich auch „klinische Studien“ geben, die die Gesundheit teilnehmender Athletinnen und Athleten überwachen.


Wenn er sein Unterfangen begründen soll, scheut D’Souza keinen historischen Vergleich, mag er noch so abstrus erscheinen. Martin Luther, sagte er im vergangenen Jahr in einem „Spiegel“-Interview, habe seinerzeit auch nicht ahnen können, dass er die Kirche reformieren werde, als er seine Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche nagelte. Oder Michael Schumacher. Der habe seine Rennen auch nicht allein gewonnen, sondern mit einem Team von Ingenieuren.
Der Australier, der in London lebt, kritisiert die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA und das IOC. Er provoziert, vergleicht Dopingkontrollen mit Razzien einer Geheimpolizei, die Athletinnen und Athleten Furcht einflößen sollen. D’Souza nannte das IOC „heuchlerisch, korrupt und dysfunktional“ und betonte, es würden ohnehin schon viele Athletinnen und Athleten zu verbotenen Mitteln greifen. Den Olympischen Spielen attestierte er, zu viele „irrelevante“ Sportarten zu zeigen. Der Australier plant zunächst die Konzentration auf Individualsportarten: Leichtathletik, Schwimmen, Turnen, Kraft- sowie Kampfsport. Teilnehmende sollen ein Grundgehalt bekommen und um Preisgelder kämpfen, die „höher ausfallen als bei jeglichen vergleichbaren Events der Geschichte“.


Im Zuge dessen haben sich nun das IOC, die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und das Internationale Fairplay-Komitee (CIFP) zu den Plänen positioniert, die bereits seit Monaten als Gerüchte durch die Medien geisterten und lange für reine Provokation gehalten wurden. Dies bekräftigte jüngst auch Sebastian Coe, Chef des Welt-Leichtathletik-Verbandes, nochmal: „Niemand in der Leichtathletik nimmt die ‚Enhanced Games‘ ernst.“


D’Souza gab allerdings gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters an, mehrere namhafte Athletinnen und Athleten stünden schon bereit. Die WADA als Doping-Kontrollinstanz warnte, dass Sportlerinnen und Sportler sowie Trainer oder weitere Teammitglieder bei einer Teilnahme Gefahr laufen würden, die Doping-Regeln zu brechen. Die Organisation sprach auch von „ernsten gesundheitlichen Risiken“, die bedacht werden müssten und bezeichnete die „Enhanced Games“ als unverantwortliches Unterfangen, das den Missbrauch von „Substanzen und Methoden fördert, die, wenn überhaupt, nur für spezifische therapeutische Bedürfnisse und unter der Aufsicht von Medizinern verschrieben werden sollten“.


Das IOC schlug in dieselbe Kerbe: „Die Idee der ‚Enhanced Games‘ verdient keinen Kommentar. Wenn man das Konzept von Fairplay im Sport zerstören will, ist das ein guter Weg.“ Weiter hieß es: „Außerdem würde kein Elternteil jemals sein Kind in so einem schädlichen Format antreten sehen wollen, bei dem leistungssteigernde Dopingmittel zentraler Teil des Konzeptes sind.“ Die Idee widerspreche den Olympischen Werten fundamental. Und Jeno Kamuti, Ex-Mitglied der medizinischen Kommission des IOC und derzeit Präsident des Internationalen Fairplay Komitees (CIFP), prophezeite „potenziell katastrophale Gesundheitsrisiken“.

Nr. 260 vom 23. Juli 2024, Seite 23

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