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Römers Reich:
Ich schreib mich mal weg

Axel Römer

Ein neues Gespenst geht um. Es trägt den Namen ChatGPT und wird die Welt verändern. Vor allem soll es solche wie mich überflüssig machen. So orakeln es die Schwarzseher der Zukunft. Menschen mit hellseherischen Kräften hingegen wissen von den großen Vorteilen Künstlicher Intelligenz. Als in den 1970er Jahren die Taschenrechner in den Schulunterricht einzogen, gab es damals ebenso Befürchtungen, dass es mit den Rechenfähigkeiten bald vorbei sein würde. In der Tat beklagen wir heute bei jüngeren Generationen Mängel in Grundlagen der Mathematik oder beim Lesen und Schreiben. Für Schüler-Defizite im Rechnen ist mit Sicherheit nicht allein die Existenz von Taschenrechnern verantwortlich. Mit der Schreib- und Plauder-Software wird es ähnlich werden. Aufzuhalten – und seien die Einwände noch so groß – wird die Entwicklung nicht sein.

 

Natürlich wird man sich eines Tages einiger Lohnschreiber entledigen können oder Leute, die weder Lust haben, noch über ausreichende Schreibkompetenzen verfügen, werden wahrscheinlich nur so mit literarischen Meisterleistungen um sich werfen. Wenn das Maschinchen für uns „denkt“, warum sollten wir selbst den Kopf qualmen lassen? Genau darin steckt das Geheimnis aller erfolgreicher Technologie. Was die Bequemlichkeit fördert, findet unseren Beifall und wir haben uns gern zu Sklaven ganzer Apparatearmeen im Wohnumfeld, bei der Arbeit gemacht oder setzen sie gern fröhlich dafür ein, um die Freizeit totzuschlagen. Quasseln können viele, aber schreiben kann anstrengend sein und genau dort, bei den Schreibfaulen und Schriftsprachunkundigen wird ChatGPT seinen Siegeszug beginnen. Da diese Klientel die Mehrheit der Bevölkerung stellt, ist der Durchbruch der Sprach-KI gewiss.

 

Sorgen bereitet mir etwas anderes. Kürzlich erzählte mir ein Student, welche Vorteile er durch den Einsatz von ChatGPT sehen würde. Entsprechend geschult, könnte der Chatbot beispielsweise eine erste psychologische Beratung übernehmen. Weil es nicht genügend Psychotherapeuten gäbe, würde die Technik hier eine wunderbare Ergänzung bzw. Hilfe sein. Der junge Mann meinte das wirklich ernst. Menschen unterwerfen sich zur Beurteilung ihrer Persönlichkeit einer Maschine? Abgesehen davon, dass hier Praktikabilität über Würde gestellt würde, wäre das der Beginn vom Ende des Menschen und seiner Vorstellung, ein souveränes, sich selbst ermächtigendes Wesen zu sein. Ich will dem jungen Mann zugutehalten, dass er wahrscheinlich noch nicht so viel über die Ethik in der Philosophie gehört oder gelesen hat. Nun stelle man sich vor, die Software würde derart trainiert, dass sie moralische Bedenken bei Informationen zum Mensch-Maschine-Verhältnis ausklammerte. Dann wird der Film Matrix Wirklichkeit. Wir befinden uns auf einem guten Weg dahin. Faulheit, Entwicklungsdynamik und Faszinationspotenzial von Menschen, deren Folgenabwägung aus Erfahrungs- oder Wissensmangel oft weniger reif ist, wird die Matrix der Zukunft weben. Mal sehen, wie lange ich an dieser Stelle noch schreiben kann oder darf.

Seite 3, Kompakt Zeitung Nr. 227

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