Jugend schlägt sich …

Rudi Bartlitz

Weltmeistergürtel der Junioren sind im Profi-Boxen inzwischen ein durchaus wertvolles Gut. In der Liste der Titelträger rangiert der Magdeburger SES-Stall mit ganz oben.

Obwohl offizielle Statistiken darüber nicht verfügbar sind, darf wohl ohne größeres Risiko die These in den Raum gestellt werden: Das Magdeburger SES-Team ist derjenige Boxstall, der in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten weltweit die meisten Junioren-Weltmeistertitel eingefahren hat. „Die Zahl weiß ich auf Anhieb gar nicht so genau, aber mehr als ein Dutzend dürften inzwischen zusammenkommen“, sagt Promoter Ulf Steinforth im KOMPAKT-Gespräch. Mitte Juli hatte der 55-Jährige schon den nächsten Titel vor Augen. Den wollte sich sein Schützling Julian Vogel auf wahrhaft heimischem Boden erkämpfen. Nämlich zur feierlichen Einweihung des „SES Fight Club“, wie das neue Gym unter dem Dach von LuckyFitness in der Magdeburger Salzmannstraße korrekt heißt. Dorthin sind die Faustkämpfer umgezogen, nachdem zuvor zwölf Jahre in einer alten Schulsporthalle in Neu-Olvenstedt trainiert worden war.


Doch es kam anders als gewünscht. Im Superweltgewichts-Gefecht des Weltverbandes WBO erwies sich der Ukrainer Mykyta Alistratov als wahrhaft harter Bro-cken. Was der schlagstarke 23-Jährige, der schon bei Olympia in Tokio dabei war, und der drei Jahre jüngere Vogel in den acht Runden im Ring abbrannten, gehört mit zum Besten, was bei Junioren-Duellen der letzten Jahre zu sehen war. Als das Urteil Unentschieden verkündet wurde, zeigte sich das Publikum in der mit 800 Zuschauern ausverkauften Halle zumindest verdutzt, Alistratov hatte sogar schon einen Siegesfinger erhoben. „Vielleicht lag der Ukrainer am Ende mit einer Runde vorn“, räumte Steinfort hinterher fair ein. Und Box-Legende Axel Schulz, der in Magdeburg am Ring saß („Ein fantastischer Fight der beiden“) meinte: „Der Heimvorteil spielte ein wenig mit.“ Also heißt es: Vogel gegen Alistratov, Fortsetzung folgt. Sofern der Verband zustimmt.


Bei aller Begeisterung, es gibt in der Welt der Schlagdraufs durchaus Stimmen, die Junioren-Meisterschaften – die bis zum Alter von 25 Jahren vergeben werden – keinen höheren Wert beimessen, sie als „relativ wertlos“ betrachten. Viele große Stars der Szene seien ohne sie ausgekommen. Sie seien daher kaum mehr als ein Spielzeug, heißt es, „ein Durchhalte-Gürtel“. Magdeburg bewies das Gegenteil.


Es ist eigentlich erstaunlich, dass den ersten Junioren-Gürtel für Magdeburg gar kein Kämpfer eroberte, der traditionell unter SES-Flagge segelte. Der Berliner Stephan Trabant war es, der die Titelsammlung auf einer Veranstaltung des Magdeburger Unternehmens begründete. Im Dezember 2001 besiegte er in Dessau den Südafrikaner Mondli Mbonambi. Kurios dabei: Knapp drei Monate zuvor hatten beide schon einmal im halleschen Kempinski-Hotel die Fäuste gekreuzt. Da die Punktrichter seinerzeit auf Remis entschieden, wurde das Gefecht gleich darauf noch einmal angesetzt.


Rekordhalter unter den SES-Juniorenweltmeistern ist Robert Stieglitz, der später auch bei den „Großen“ – unter anderem n den legendären Fights gegen Arthur Abraham – den Sprung ganz nach oben schaffte, Weltmeister wurde. Allein viermal hatte er zuvor den Junioren-Gürtel nach Magdeburg geholt. Jener Stadt, die nach seiner Umsiedlung im Jahr 2000 aus dem russischen Jejsk zu seiner neuen Heimat geworden war. Stieglitz: „Als ich zum ersten Mal um die Junioren-WM boxte, war mir schon ein bisschen mulmig. Aber es war wichtig für die weitere Entwicklung. Da holst du dir Selbstvertrauen.“


Hinter Stieglitz, der heute als Trainer bei SES tätig ist, folgt mit drei Gürteln ein weiterer späterer Weltmeister: Halbschwergewichtler Dominic Bösel. 2013 besiegte er in Potsdam den Deutsch-Armenier Harro Stein (alias: Harutyun Sargsyan). Zweimal verteidigte der Mann aus Freyburg später diesen Titel erfolgreich. „Für alle, die diesen Junioren-Gürtel bisher gewannen oder um ihn kämpften“, beschreibt Steinforth heute die Situation, „ist er ein Meilenstein auf dem weiteren Weg nach oben.“ Bestes Beispiel dafür: SES-Senkrechtstarter Michael Eifert. Zweimal eroberte er den Junioren-Titel, ehe er im März in Kanada in einem WM-Ausscheidungskampf sensationell WBC-Ex-Weltmeister Jean Pascal bezwang und nun sogar darauf hoffen darf, selbst nach der WM-Krone im Halbschwergewicht greifen zu dürfen. Axel Schulz pflichtet Steinforth bei: „So eine Junioren-WM ist schon eine spannende Sache, zu meiner Zeit gab es das noch nicht. Für die Athleten ist es eine wichtige Zwischenstation. Da können sie sehen, wo sie stehen.“ Der einstige Schwergewichtler hebt aber zugleich warnend den Finger: „Man muss nur aufpassen, dass die Zahl internationaler Titel nicht überhandnimmt, das Publikum die Übersicht verliert.“


So sehr sich SES freilich über wertvolle Welt- und Europameistergürtel freut – schließlich bringen erst sie neben Prestige das nötige liebe Geld ins Haus –, Nachwuchsförderung stand und steht auf einer hauseigenen Rangliste mit ganz obenan. Steinforth wollte es eben nicht nur bei schönen Worten belassen. Also rief er vor genau zehn Jahren das Projekt „Team Deutschland“ ins Leben. In ihm vereint er, über alle Gewichtsklassen hinweg, junge aufstrebende deutsche Talente der Szene, gibt ihnen sozusagen eine Anschubfinanzierung. Namen wie Bösel, Adam Deines und Roman Fress stehen dafür, ihnen folgten Jurgen Uldedaj, Tom Dzemski und Peter Kadiru. Beim jüngsten Kampfabend im neuen „Fight Club“ präsentierten sich erneut fünf Mitlieder des „Teams Deutschland“ im Ring.


Es hätte in den zurückliegenden Jahren, vor allem in der harten Corona-Zeit, sicher genügend nachvollziehbare Gründe gegeben, das Projekt still und heimlich „auslaufen“ zu lassen; zumal es den einen oder anderen Euro zusätzlichen Aufwand erfordert. Steinforth hielt an seiner Idee fest. Die in diesen Tagen oft zu hörende Formel, das deutsche Boxen sei auf dem Weg nach unten, weil es ihm unter anderem an ausreichenden Talenten mangele, verweist der SES-Macher mit drastischen Worten ins Reich der Fabel: „Das ist alles Quatsch.“ Man müsse sich nur intensiv um sie kümmern. Siehe Julian Vogel.

Seite 30, Kompakt Zeitung Nr. 237

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