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Und ewig lockt das Kaffeeservice

Von Rudi Bartlitz

Nach dem sensationellen wie peinlichen WM-Aus der deutschen Nationalmannschaft stellt sich die Frage, wie sehr der Boom des Frauen-Fußballs in Deutschland davon gebremst oder gar zurückgeworfen wird.

„Decken, decken!“, rief Reporter Wim Thoelke anno 1970 im „Aktuellen Sportstudio“ ebenso aufgeregt wie launig ins Mikrofon, als er ein Frauen-Fußballspiel kommentierte. „Nicht Tisch decken! Richtig Manndecken!“. Sozusagen auf dem Fuße ließ er gleich noch weitere Schoten aus der damaligen Mainzer Chauvi-Spruch-Küche folgen: „Da hat Mutter eine wunderbare Flanke nach halblinks gegeben.“ Oder: „Laufen, Erna. Aber die Erna ist nicht flink genug.“ Offiziell war die Sportart in Deutschland zu diesem Zeitpunkt für Frauen verboten. Sie sei „der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd“, so die Begründung des DFB, im Kampf um den Ball schwinde die weibliche Anmut, Körper und Seele erlitten unweigerlich Schaden.


Selbst mehr als ein halbes Jahrhundert später – die WM in Australien und Neuseeland vor Augen – will man damaligen Kommentaren einfach kaum glauben. Worte aus der Steinzeit. Aber selbst 1989 noch, als deutsche Fußballerinnen schon erstmals Europameisterinnen geworden waren, gab es eine peinliche Siegprämie. Ein Kaffeeservice. Die Geschichte dazu geht so: Als Amateure, die sie damals waren, durften die Frauen offiziell angeblich keine finanzielle Belohnung bekommen. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) schenkte ihnen stattdessen ein Kaffeeservice mit blauen, gelben und roten Blümchen drauf, 41 Teile insgesamt, Produktlinie „Mariposa“ von Villeroy & Boch. Wer ihn denn sehen wollte, konnte ihn seinerzeit immer noch entdecken: den heimlichen Wink mit dem heimischen Herd.


Ein Quantensprung hat sich seither vollzogen. Nicht nur in Deutschland. Da bestreiten „down under“ 32 Teams von allen fünf Kontinenten ein Turnier, das inzwischen zu den größten Sportereignissen der Welt zählt. Frauenfußball hat den gesamten Globus erobert. Nach Prognosen der UEFA wird sich dessen kommerzieller Wert bis 2033 versechsfachen. Selbst einstige Gegner sind mit fliegenden Fahnen umgeschwenkt. „Die Menschen erkennen einfach an“, sagt Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter der deutschen Nationalteams, „dass der Frauenfußball sich insgesamt entwickelt hat. Es gibt tolle Zweikämpfe, tolle Eins-gegen-eins-Situationen, Spielerinnen auf technisch ganz hohem Niveau.“


Es hätte alles so schön sein können. Gerade jetzt bei der WM. Gerade für die Deutschen. Den Titel im Blick, drohte eine Erfolgsgeschichte, die schon im Vorfeld manchen die Tränen der Rührung in die Augen trieb. Der Vize-Europameistertitel des vergangenen Jahres hatte zwischen Alpen und Nordsee geradezu eine Euphorie-Welle ausgelöst. Ein Boom ohnegleichen. Während die Männer-Nationalmannschaft seit fünf Jahren am Boden liegt und von einer Krise in die nächste taumelt, befanden sich Nationalelf und Frauenfußball auf Erfolgs- und Expansionskurs. In den Bundesliga-Stadien pilgerten mehr als doppelt so viel Zuschauer als noch vor einem Jahr. Für die weiblichen Kicker mag es zudem eine Genugtuung gewesen sein, dass ihr Nationalteam das der Männer in puncto Erfolg längst überrundet hat: Achtmal Europameister, zwei Weltmeister-Titel sowie einen Olympiasieg haben sie seit 1989 erreicht – davon können die Männer nur träumen.


Es hätte alles so schön sein können. Bis dieser vermaledeite 3. August 2023 kam. Dieses blamable (und obendrein unerklärliche) Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der WM in Australien. Raus in der Vorrunde – das hatte es zuvor noch nie gegeben. Ein historisches Tief. Endlich, könnte sarkastisch hinzugefügt werden, sind die Frauen mit den Männern gleichgezogen. Allerdings: Mit dem Ausscheiden in der Vorrunde, damit hatte der deutsche Fußball in seiner Gesamtheit zuletzt einige bittere Erfahrungen gemacht. Es eint diese Erlebnisse, dass ein derart frühes Scheitern, ob bei den Männern 2018 und 2022 oder nun bei den Frauen, vorher alle Beteiligten für völlig unmöglich hielten. Jedes einzelne Aus war auch deshalb bitter, weil es völlig verdient war und nicht etwa einer Verkettung unglücklicher Umstände zugeschrieben werden kann.
Erschwerend kommt beim Aus in Australien 2023 noch hinzu: Wohl und Wehe (und Ansehen!) des deutschen Frauenfußballs sind sehr eng mit der Leistung des Nationalteams verknüpft. Denn bei den Ladies entwickeln Spitzenvereine wie der VfL Wolfsburg oder der FC Bayern längst nicht jene Sogwirkung wie das die Münchner und Borussia Dortmund beim anderen Geschlecht tun. Der Rückschlag wird also auf die Gesamtentwicklung des Frauenfußballs hierzulande Auswirkungen haben, die noch gar nicht abzusehen sind. Gerade jetzt, wo überall in der Bundesliga die Motoren angeworfen werden sollten, um mehr Zuschauer und Geld zu generieren. Wo Berater und Manager im Hintergrund schon heiß liefen, ihren Schützlingen goldene Pfründe zu sichern.


Richtig bleibt: Frauenfußball zieht mehr und mehr Zuschauer sowie Sponsoren in seinen Bann. Experten sehen ein großes Wachstumspotenzial. Kritiker, gerade in Deutschland, weisen allerdings seit längerem darauf hin, dass sich dieses Wachstumspotenzial nur richtig entfalten lasse, solange die Entwicklung nicht zum Abziehbild der Männerversion führt. Einige Menetekel dafür sind allerdings bereits an die Wand geschrieben. Die Forderung nach gleicher Bezahlung von Männern und Frauen etwa kaprizierte sich zuletzt häufig allein auf Nationalteam und zwei Handvoll Star-Spielerinnen. Deren Berater fabulieren bereits von Millionen-Gagen. Viele Fußballerinnen aus den beiden höchsten deutschen Ligen verdienen hingegen nur wenig oder gar kein Geld, obwohl sie unter Profibedingungen trainieren und spielen. Das ergab eine jüngste (nicht repräsentative) Umfrage der ARD-Sportschau. Und noch etwas: Es wurde eine Chance vertan, für die Mädchen, die zuletzt wieder vermehrt den Weg in die Vereine fanden, ein Vorbild abzugeben.


Eine andere Tendenz zeigt sich darin, dass immer mehr Männer-Bundesliga-Klubs eigene Frauen-Mannschaften bilden. In der kommenden Saison werden in der höchsten Spielklasse nun elf von zwölf Teams Vereine repräsentieren, deren Kerngeschäft professioneller Männerfußball ist. Es wäre verwunderlich, wenn deren Geschäftsgebaren – vor allem die Überkommerzialisierung – über kurz oder lang nicht auch auf die der Frauen durchschlagen würde. Parallel dazu können echte Frauenfußballvereine, die den Sport über Jahrzehnte dominiert haben, hochklassig nicht mehr mithalten. Der 1. FFC Frankfurt hat sich 2020 aufgelöst und ist zur Frauenabteilung von Eintracht Frankfurt geworden. Der noch unabhängige, früher ebenfalls Titel sammelnde 1. FFC Turbine Potsdam – einst eine Weltmarke seines Genres und so etwas wie eines der wenigen Aushängeschilder des Ostfußballs – ist gerade sang- und klanglos aus der Ersten Liga abgestiegen. Einen Wim-Thoelke-Gedächtnispreis gab es dafür allerdings nicht.

Seite 40, Kompakt Zeitung Nr. 238

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