Ein Huhn, das goldene Eier legt
Von Rudi Bartlitz
Am letzten August-Wochenende startet die Handball-Bundesliga in ihre neue Saison. KOMPAKT wirft einen Blick darauf, wie der SCM gerüstet ist.
Sportlich haben die SCM-Handballer in den vergangenen zwei Jahren ja so ziemlich alles abgeräumt, was sich ihnen da in den Weg stellte. Jetzt können sie sich sogar den zarten Luxus leisten, ihren Blick – wenngleich sicher nicht mit derselben Inbrunst und Ernsthaftigkeit wie im ureigensten Gewerbe – auf Preise völlig anderer Art schweifen zu lassen. Wie zum Beispiel auf die begehrte „Goldene Henne“, die die Ost-Illustrierte „Super Illu“ und der MDR gemeinsam vergeben. Denn da sind die Grün-Roten in der Kategorie Sport diesmal einer von fünf Nominierten (Hauptkonkurrent: vielleicht die Fußballer von Union Berlin).
Und ausgerechnet ein berüchtigter Freitag, der Dreizehnte, könnte für die Magdeburger zum Glückstag werden. Denn an genau diesem Tag im Oktober werden in Leipzig die Preise vergeben. Bisher einzige „Henne“-Gewinner im Handball in der 23-jährigen Geschichte der Trophäe waren übrigens die Weltmeister-Männer von 2007.
Bevor jedoch in der Messestadt die Sieger verkündet werden, steht für die Schützlinge von Trainer Bennet Wiegert erst einmal der Ernst des Lebens auf der Tagesordnung. Und der heißt Start in die neue Bundesliga-Saison. Am 25. August ist es soweit, dann beginnt man bei der HSG Wetzlar, bevor es anschließend gleich mit zwei Top-Partien daheim gegen Flensburg (3. September) und in Berlin bei den Füchsen (6. September) weitergeht. Und eines dürfte, trotz einiger derzeit hinderlicher Faktoren, klar sein: Der SC Magdeburg, immerhin Triumphator der Champions League 2023, muss auch in der kommenden Saison zu den Favoriten gezählt werden. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und das nicht nur in der Champions League, sondern auch in der Meisterschaft, im DHB-Pokal und bei der Klub-WM.
Ob sich der SCM aber, wie in den zurückliegenden knapp zwei Jahren, nun erneut als das sprichwörtliche Huhn erweist, das goldene Eier legt (sprich: Titel sammelt) – das muss sich erst noch zeigen. Immerhin hat Wiegert einige offene Baustellen vor sich. Das betrifft nicht nur den Abgang von drei langjährigen Kräften wie Marko Bezjak, Kay Smits und Mike Jensen, sondern vor allem die langwierige Verletzung von Spielmacher Gisli Kristjansson und die Frage, wann mit dessen kongenialem Partner Omar Ingi Magnusson wieder gerechnet werden kann. Realistisch gesehen glaube er nicht, sagte Wiegert, dass Magnusson dem Verein bereits bei Saisonbeginn wieder voll zur Verfügung stehen werde. Parallel dazu geht es darum, die vier Zugänge Albin Lagergren (Schweden/kam von den Rhein-Neckar Löwen), Felix Claar (Schweden/Aalborg), Sergey Hernandez (Spanien/Benfica Lissabon) und Janus Dadi Smarason (Island/Kolstad) zu integrieren.
Anfang Juli wurde Kristjansson, der das SCM-Spiel in der vergangenen Saison prägte wie kein anderer und zum wertvollsten Spieler der Liga gekürt wurde, in Zürich an der Schulter operiert. Der Matchwinner des Finals der Champions League weilt derzeit in seiner Heimat auf Island. Wiegert sieht seinen Rückraumspieler derzeit dort gut aufgehoben, hofft aber auf dessen Anwesenheit beim ersten Punktspiel – zur mentalen Unterstützung von der Tribüne.
„Gisli kann jetzt die ersten 12 Wochen nach der Operation nicht so viel machen. In Magdeburg würde er nur von einem Physiotermin auf den nächsten warten. Deswegen ist er auch auf Island. Das soll ihm mentalen Halt und Kraft geben. Und dann, ab der 12. Woche nach dem Eingriff, kann er langsam wieder anfangen“, so der Coach gegenüber „Bild“. Und weiter: „Gisli ist Gisli. Er ist halt schnell ungeduldig.“ Vermutlich sechs Monate wird er ausfallen. Ab Herbst wird damit gerechnet, dass der 24-Jährige die Belastung wieder etwas steigern kann – bis zur Rückkehr auf das Parkett könnte es dann weitere drei Monate dauern und er somit auch die EM in Deutschland verpassen.
Wobei: Der Isländer kämpft sich nicht zum ersten Mal nach einer schweren Verletzung zurück. „Einfach aufzuhören, das ist einfach nicht die Mentalität, die wir Isländer haben. Nicht wieder aufzustehen, kommt nie vor in meinen Gedanken. Stattdessen sage ich mir: Ich bin in diesem Sport All In – deshalb werde ich immer wieder aufstehen und weitermachen“, hatte Kristjansson dem Magazin „Bock auf Handball“ erklärt. Eine frühere Rückkehr als vor der Rückserie scheint deshalb gerade bei ihm nicht vollends ausgeschlossen.
Ansonsten kann Wiegert darauf bauen, dass – wie schon in der vergangenen Saison – das Gerüst nur punktuell umgebaut werden muss. Gerade diese Kontinuität ist ein großer Trumpf der Sachsen-Anhalter. Ein zweiter Vorteil kommt hinzu: Viele Verträge sind langfristig angelegt. So haben sich Leistungsträger wie Magnus Saugstrup, Albin Lagergren, Felix Claar, Daniel Pettersson und Tim Hornke bis 2026 an den SCM gebunden, Lukas Mertens bis 2027. Bei Kristjansson und Philipp Weber steht hinter dem Auslaufdatum des Vertrages sogar die Zahl 2028.
Viel wird in diesen Tagen darüber spekuliert und gerätselt, wer denn nun der Favorit auf die Meisterschaft ist. Erstaunlich viele Experten sehen da die SG Flensburg ganz oben auf ihrer persönlichen Hit-Liste. Obwohl die Norddeutschen mit einem neuen Trainer, dem jungen Dänen Nicolej Krickau (36), ins Rennen gehen und den Abgang einiger Stammkräfte verkraften müssen. Die werden jedoch durch die dänischen Weltmeister Simon Pytlick, den halb Europa jagte, und Lukas Jörgensen und SCM-Abgang Kay Smits mehr als wettgemacht. Genauso erstaunlich zumindest, dass viele damit rechnen, dass Rekordmeister THW Kiel – der die Abgänge von Keeper Niklas Landin und Shooter Sander Sagosen verkraften muss – diesmal nicht das Rennen macht.
„Für mich ist Flensburg mit dem Schwung des neuen Trainers und den tollen Transfers der Meisterschaftsfavorit“, legt sich Wiegert fest. Der neue SG-Coach hält von Understatement offenbar nicht allzu viel. „Wir haben eine Mannschaft mit Meisterschaftspotenzial“, sagt er selbstbewusst. Füchse-Chef Bob Hanning sieht das anders. Für ihn ist weder Flensburg noch sein Verein, sondern ausgerechnet Erzrivale SCM erster Anwärter auf den deutschen Handball-Thron: „Trotz des Risikos mit den Verletzungen von Magnusson und Kristjansson glaube ich, dass sie das schaffen können.“
Und wie sehen die Magdeburger es selbst? Geschäftsführer Marc Schmedt gab dieser Tage in einem Kompakt-Interview darauf eine Antwort. Man wolle, sagte er, in allen Wettbewerben, in denen man vertreten sei (also neben der Meisterschaft noch Champions League, Vereins-Weltmeisterschaft, DHB-Pokal) „zu dem Favoritenkreis gezählt werden“. Was am Ende herauskomme, „hängt im Sport natürlich von vielen weiteren Faktoren ab“. Eine Formulierung, die sich fast schon philosophischen Sphären nähert. Alles kann, nichts muss. Der Druck liegt bei den anderen.
Die Handball-Fans der Republik haben da ein allemal deutlicheres Bild vor Augen. Für sie ist der SCM keineswegs mit jenem (goldenen) Huhn – siehe oben – vergleichbar, das gelegentlich einmal ein Korn findet. In einer Umfrage des Online-Portals „Handball World“ nach dem Meister 2024 hatte der Club in der vergangenen Woche mit 45,6 Prozent klar die Nase vorn. Fast doppelt so viel Stimmen wie Flensburg (24,2 Prozent). Dahinter folgten die anderen aus dem Klub der „großen Fünf“ der Liga: Kiel (19,0), Berlin (4,5), Rhein-Neckar Löwen (3,3). Die begeisternden Auftritte der Magdeburger, gerade in der Champions League – sie hallen also wohl doch etwas länger nach. Gut so. Darauf könnte angestoßen werden. Vielleicht mit dem neuen „CL Vodka“ aus dem SCM-Fanshop. Die 0,7-Liter-Bottle gibt es jetzt in limitierter Auflage für 84 Euro. Achtung: mit Goldstaub.
Seite 48/49, Kompakt Zeitung Nr. 239