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Wie Demokraten die Demokratie in Gefahr bringen

Thomas Wischnewski

Von rechts lauere Gefahr für die Demokratie. Doch akut ist die innere Selbstgefährdung

Die Römer der Verfallszeit – vom französischen Maler Thomas Couture (1847; Musée d’Orsay, Paris)

Die Gefahr kommt von rechts. Populismus, Autokraten und Demokratiefeinde – das sind Begriffe, mit denen Spreu und Weizen, politische Akteure in gute und böse sowie Wähler in manchmal dumme oder kluge eingeteilt werden. Die Beschreibung ist natürlich verkürzt. Solche verkürzenden Einordnungen sind kein neues Phänomen, aber eines, dass offenbar in den vergangenen Jahren stärker zutage tritt. Auf jeden Fall werden aufmerksame Beobachter permanent mit Etikettierungen konfrontiert oder beteiligen sich selbst inflationär daran, beispielsweise in sogenannten Social-Media-Portalen. An der oft bemühten Einschätzung über die voranschreitende Spaltung der Gesellschaft wirken letztlich alle mit, die sich irgendwie sichtbar mit Kommentaren äußern, egal von welcher politischen Perspektive aus.


Das moderne inflationäre Öffentlichkeits-Zetern, an dem sich heute alle beteiligen können, kann als ein Indiz gelten, dass ein Geschwätz über Probleme häufig größer ist als die Probleme selbst. Und so lange Menschen über Defizite, mögliche falsche Entscheidungen ausschließlich debattieren, geht es ihnen eigentlich ganz gut. „Deutschland geht es so gut wie lange nicht“ – das war ein Satz von Ex-Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2011. Und zu diesem Zeitpunkt traf die Einschätzung in vielerlei Hinsicht sicher noch zu. Inzwischen gibt es gegenläufige Trends. Stichworte sind Bildungsmisere, Wirtschaftsabschwung mit Exporteinbrüchen, ungesteuerte und nicht mehr leistbare Migration, zunehmender Fachkräftemangel, Geldentwertung und steigende Energiepreise. Dennoch leben viele weiter wie im Rausch eines sorgenfreien Lebens, reden über die Fehler der Anderen und lassen es sich vielfach gut gehen. Die Erscheinung ist vergleichbar mit der sogenannten historischen Phase der „Römischen Dekadenz“. Anpacken ist out, Work-Live-Balance und Freizeit kommt vor Wertschöpfung, das sind die Botschaften der Zeit. Und zwar unten wie oben in der Gesellschaft.


Deshalb sind politische Sonntagsreden, die über negative Trends hinwegtäuschen können, ein gefährlicher Treibstoff, die Probleme zu einem Flächenbrand werden lassen. Manches Mal erscheinen Erfolgsstatistiken aus dem Regierungslager wie Schönheitsstatistiken zu DDR-Zeiten. Nun war das DDR-Einparteien-Machtgefüge mit zentralistischer Steuerung weit entfernt von einem freien Wahlwettbewerb unterschiedlicher politischer Ideen. Und dennoch lösen politischer Wettbewerb und Wahlen nach Farben viele beeinträchtigende Entwicklungen nicht. Bürokratieabbau ist seit Jahrzehnten ein Schlagwort in jedem Wahlkampf. Was passiert? Das Gegenteil! Und der schleichende Bürokratieausbau verfügt über mehr gesellschaftlichen Sprengstoff als den meisten lieb ist. Ein Beispiel: Das Bundesamt für Statistik ermittelt neben Millionen an Datensätzen z. B. den Zeit- und Sachaufwand (Erfüllungsaufwand genannt) für das Wechseln der Winter- und Sommerreifen an Pkws. Ermittelt wurden für 2022 für alle Pkws ein Gesamtzeitaufwand von 10 Millionen Stunden mit einem Sachaufwand von 274 Mio. Euro. Was nutzt die Kenntnis dieser Zahlen. Kein Fahrzeughalter wechselt seine Reifen deshalb schneller. Mag das ein abwegiges Beispiel sein. So ist es doch symptomatisch für deutsche Bürokratie. Jedes neue Gesetz erzeugt Verwaltungsaufwand. Rund 93.000 Einzelnormen existieren in Deutschland. 2022 galten 1.773 Gesetze und 2.655 Rechtsverordnungen insgesamt mit 50.738 Einzelnormen. Im Jahr 2010 waren es 1.668 Gesetze mit 43.085 Einzelnormen und 2.655 Rechtsverordnungen mit 36.850 Einzelnormen. Aus dieser sich fortlaufend nach oben drehenden Normenspirale findet die Politik keinen Ausweg. Gleichzeitig schnürt eine wachsende Regeldichte das Korsett für den sogenannten freien Bürger oder die freie Wirtschaft immer enger. Zu diesen tausenden verbrieften Regeln in Gesetzen, Verordnungen und Durchführungsbestimmungen kommen die nicht erfassbaren – oft moralisch motivierten – Vorschriften, die den öffentlichen Raum fluten. Sensibilitätsvorgaben fürs Sprechen und Schreiben, Ernährungs- und Verhaltens-Hinweise oder Meinungsbeurteilungen mit Cancel-Culture-Charakter bzw. Einordnungen über „links-grün versiffte“ Vorstellungen fördern die Wahrnehmung über den Verlust an Freiheiten.

 

Alle diese zu Übertreibungen neigenden Tendenzen lassen Vorstellungen über einen demokratischen Konsens bröckeln. Politiker verstärken oft die eine oder andere Seite, bewegen aber gar nichts in Richtung Überwindung dieser Entwicklung. Und von Bürokratieabbau ist schon gar nichts zu sehen. Das zeigt auch ein Blick auf die Personalentwicklung in den Bundesbehörden. Über 900 gibt es davon. Der Anteil der Bundesbeamten stieg vom Jahr 2000 bis 2021 von 489.400 auf inzwischen 521.400. Im gesamten Öffentlichen Dienst inklusive Bund, Länder und Kommunen stieg die Anzahl verbeamteter Mitarbeiter von 2000 bis 2021 von 1,68 auf 1,73 Millionen. Betrachtet man die Rechnung in Beamten-Vollzeitstellen, sieht man, dass diese kontinuierlich gesunken sind, von 1,4 auf 1,29 Millionen (2000 bis 2021). Indes stieg im selben Zeitraum die Teilzeitarbeit unter Beamten von 1,2 auf 1,7 Millionen.


Weder Normen noch der Apparat zur Regelverwaltung zeigt in Richtung Bürokratieabbau. In diesem Bereich versagten bisher alle Regierungsparteien. Gleichzeitig erscheint es, dass Parteien moralische und ideologische Vorstellungen in den Vordergrund stellen und rationale, pragmatische Entscheidungen das Nachsehen haben. Ein Wettern auf den politischen AfD-Gegner ganz rechts hilft nichts. Das haben aktuell die Wahlergebnisse in Bayern und Hessen gezeigt. Der Unmut über politische Erstarrungen, zu ideologisch gefärbten Konzepten und über Politik mit statistischen Planvorstellungen, die mit einem individuellen Leben wenig zu tun haben, nervt den Bürger.


Wenn also eine Gefahr für die Demokratie he-raufbeschworen wird, müssen Ursachen dafür auch in der eigenen Untätigkeit gesucht und gefunden werden. Politische Selbstkritik war in den vergangenen Jahren jedoch eher Mangelerscheinung. Das Verweisen auf Weltkomplexität hilft den Menschen hierzulande wenig, wenn sie sich ständig aufgefordert fühlen müssen, dringend in ihrem Leben etwas ändern zu sollen, während sich Politik und Verwaltung immer enger miteinander zur Bewegungslosigkeit hin verstricken.

Seite 4, Kompakt Zeitung Nr. 242

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