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Magdeburger Gesichter: „eidbrüchiger Theologe“

Karlheinz Kärgling

Mit dem Gleichnis vom Feigenbaum aus dem Lukas-Evangelium beschrieb ein Geistlicher 1847 in der Schrift „Das Ketzer-Gericht zu Magdeburg“ das Vorgehen der preußischen Konsistorial-Inquirenten gegen den Pfarrer Leberecht Uhlich (1799–1872). Dem Autor schien, Magdeburg sei zum Schauplatz des Kräftemessens zwischen dem kirchlichen Bewusstsein der Vergangenheit mit dem der Gegenwart und Zukunft geworden. Es fühle sich wie in den finstersten Zeiten des Katholizismus an. In siebenundsiebzig Anklagepunkten beschuldige ihn das Konsistorium der „groben Verletzung der Kirchenordnung“ und der Abweichung vom wahren Glauben, doch seine Advokaten hätten weder gefragt noch gesucht nach den Früchten der Predigtweise oder der geistlichen Amtsführung Uhlichs. Sonst hätten die Richter bemerken müssen, dass allein die Zahl der Kommunikanten gegen früher sechsmal höher lag. Den Saft des Baumes hätten sie angestochen, der aber habe nicht den rechten Geschmack des Generalsuperintendenten Moeller getroffen. Um Aufsehen zu meiden, erklärte das Konsistorium im September 1847 während Uhlichs Teilnahme an der Hauptversammlung der evangelischen Gustav-Adolf-Stiftung in Darmstadt das Pfarramt für erledigt, prompt wurde er bei seiner Rückkehr auf dem Elbebahnhof von einer riesigen Menschenmenge jubelnd begrüßt. Noch in den letzten Wochen des Jahres verließen mit ihm Tausende die Staatskirche. Kurz darauf wählten sie ihn zum Prediger der Freien Christlichen Gemeinde Magdeburg, die bald achttausend Mitglieder zählte, und erklärten sich uneins mit dem Kirchenregiment, wollten jedoch bleiben, was sie waren: evangelische Christen.


Die Bekenntnisschrift enthielt Forderungen wie die Trennung von Staat und Kirche, eine demokratische Kirchenverfassung, die Freiheit der Presse, das Mitspracherecht für Frauen, die zum Teil das Revolutionsgeschehen 1848/49 bestimmten. Während Konsistorialpräsident Carl Ferdinand Göschel die Dissidenten energisch bekämpfte, erreichten Oberbürgermeister Francke und der Rat in einer Kabinettsorder vom 12. März deren Anerkennung als Religionsgemeinschaft. In den folgenden Tagen trat Göschel zurück und verschwand aus der Stadt ebenso wie der Polizeipräsident von Kamptz. Ein lockerer Boden, ausreichend Dung und die Geduld des „Weingärtners“ hatten den Baum zur Blüte, zur Fruchtreife und der Ernte nahegebracht. Aus dem Sohn des Schneiders Johann Christlieb Leberecht Uhlich und seiner Frau Maria Elisabeth, geb. Heitmann, war ein „Volksführer“ geworden.


Nach dem Schulbesuch in Köthen und einem Studium in Halle bei Wegscheider und Gesenius hatte er 1820 seinen Weg als Volksschul- und Hauslehrer angetreten. 1824 wurde er Pfarrer im nahe gelegenen Diebzig, wechselte jedoch aufgrund der Konversion des Herzogs 1827 in die Preußische Landeskirche nach Pömmelte. Im Juli heiratete Uhlich Clara Flamant, die Tochter eines Steingutfabrikanten aus Bernburg. Die Eheleute hatten sieben Kinder. In oft überfüllten abendlichen Bibelstunden erläuterte er seine Glaubensauffassung, die dem „Licht der Vernunft“ Vorrang vor gedruckten Buchstaben einräumte. Die Entwicklung in den 30er-Jahren und der scharfe Konflikt zwischen orthodoxen Pietisten im Konsistorium und Rationalisten in den Pfarreien, der 1840 im „Magdeburger Bilderstreit“ gipfelte, führte im Juni 1841 in Gnadau zur Gründung des „Verein(s) der Protestantischen Freunde“ (Lichtfreunde), der den Kern einer innerkirchlichen Opposition bildete. Mit den „Blätter(n) für christliche Erbauung von protestantischen Freunden“ ab 1842 schuf Uhlich das Sprachrohr dieser Bewegung. Durch den rasanten Zulauf aus nahezu allen Schichten bildeten sich örtliche Gruppierungen. Seine Vorträge erreichten Tausende Zuhörer.


Längst war der Spross des Schneiders aus Köthen als „eidbrüchiger Theologe“ im Fadenkreuz der geistlichen Aufsichtsbehörde, die freie Elemente und fließende Grenzen zwischen Religion und Politik in der Kirche nicht duldete. Das Versammlungsverbot gegen die Lichtfreunde vom August 1845 war der Versuch, diese Entwicklung aufzuhalten. Die Anhänger Uhlichs setzten aber dessen Berufung zum 1. Oktober 1845 auf die Stelle des 2. Predigers an St. Katharinen in Magdeburg durch, und im Privathaus fanden wieder Abendvorträge statt, die Göschel mit allerhand Schikanen und polizeilichen Maßnahmen massiv stören ließ. Nach der Amtsenthebung Uhlichs und einer in der Stadtverordnetenversammlung gescheiterten Resolution innerhalb der sogenannten Adressenbewegung an den König rumorte es schließlich unter den Bürgern der Stadt.


Am 15. März 1848 versammelte sich vor seinem Wohnhaus in der Dreiengelstraße eine große Volksmenge, um dem unbeugsamen Mitbürger demonstrativ den Rücken zu stärken, bevor anschließend Militär die protestierenden Massen auf dem Domplatz mit blutiger Gewalt auseinandertrieb. Wieder wurden Uhlichs Parteigänger unter den Stadtverordneten aktiv und erneuerten ihren Antrag zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft vom September 1847, der mehrheitlich bestätigt wurde. Die Bürger von Neuhaldensleben erteilten ihm mit der Wahl im Mai 1848 das Mandat für die preußische Nationalversammlung, in der er im linken Zentrum die politischen und sozialen Rechte auch der unteren Schichten verteidigte, gewalttätige Umsturzaktionen aber konsequent ablehnte.


Nach der Auflösung des Parlaments schloss er sich im Dezember 1848 dem „Verein zur Verteidigung der Volksrechte“ an. Nach der gescheiterten Revolution waren die „Lichtfreunde“ nur noch in Magdeburg stark. Sie wurden 1855 als „Politischer Umsturzverein“ verboten. Im selben Jahr erschien Uhlichs Schrift „10 Jahre Magdeburg 1845–1855“. In der Reaktionsära unternahm er ausgedehnte Vortragsreisen, veröffentlichte 1859 sein „Handbüchlein der freien Religion“ u. v. a. m. Im September 1859 vereinigten sich in Gotha 54 Gemeinden zum „Bund freireligiöser Gemeinden“ und wählten ihn in den Bundesvorstand. Ein Jahr später zerfiel die Magdeburger Gemeinde, er selbst wurde ständig in Prozesse mit Haft- und Geldstrafen u. a. wegen Majestätsbeleidigung verwickelt.


Im letzten Lebensjahr bilanzierte Uhlich „Sein Leben von ihm selbst beschrieben“. Er starb am 23. März 1872. Die Berliner Volkszeitung vom 27. März berichtete, Magdeburg habe nicht nur seinen Ehrenbürger zu Grabe getragen, sondern einen Mann, der mit Wort und Schrift eingetreten sei für Wahrheit und Recht, für sittliche Freiheit und Menschenliebe. Die Darstellung des unbekannten Künstlers im offenen Gehrock mit Weste, weißem Hemd und schwarzer Halsbinde entspricht der damaligen Konvention, Kette und Ziernadel sind charakterisierende Accessoires.

 

Das Kulturhistorische Museum Magdeburg erinnerte 2021 an Magdeburger Gesichter des 19. Jahrhunderts. Die Porträts der Sonderausstellung sind weiterhin in der Kompakt-Zeitung zu finden.

Seite 22, Kompakt Zeitung Nr. 242

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