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Im Spannungsfeld von Symmetrie und Asymmetrie

Prof. Dr. Peter Schönfeld

Beide bestimmen die Verhaltensweisen von Lebewesen. Es gibt sie aber auch bei den Bausteinen der Materie. Asymmetrisch-gebaute Moleküle können sehr unterschiedliche Sinneseindrücke auslösen. Gemälde werden durch eine asymmetrische Bildgestaltung lebendiger und spannungsgeladener. In der Sprache wertet die Asymmetrie Sachverhalte auf oder ab.

 

„Equestrienne“ (Circus Fernando), 1888, von Henri de Toulouse-Lautrec. Er war ein französischer Künstler des Post-Impressionismus und schuf Darstellungen der Pariser Kunstszene des späten 19. Jahrhunderts.

Schöne Menschen und Schmetterlinge haben eine Gemeinsamkeit. Ich meine aber nicht das Flattern von einem Partner zum anderen bzw. von Blüte zu Blüte. Bei den Menschen sind es vor allem symmetrische Gesichtszüge. Die Wissenschaft erklärt das damit, dass ein symmetrisches Gesicht gute Gesundheit ausstrahlt. Aber auch Körperproportionen können zu einer attraktiven Ausstrahlung beitragen, denn unabhängig vom Grad der Ausgeformtheit eines weiblichen Körpers empfinden Männer diesen als attraktiv, wenn das Taille-zu-Hüfte-Verhältnis etwa 0,7 entspricht. Bei den Schmetterlingen drückt sich die Symmetrie (griech. symmetria = Ebenmaß) in der Form und Musterung der Flügel aus.


Auch bei Tieren fördern oft symmetrische Körpermerkmale die Partnerwahl, und damit die Selektion. So werden weibliche Rauchschwalben „schwach“ bei Männchen mit symmetrischen und langen Schwanzfedern. Die Partnerwahl wird aber auch von asymmetrischen Verhaltensweisen beeinflusst. Verhaltensforscher sagen, dass Männer aktiv und verschwenderisch um die Aufmerksamkeit der Frauen werben. Frauen dagegen verhalten sich eher passiv und wägen sorgfältiger ab, denn ihre Investition in eine Schwangerschaft und die Aufzucht des Kindes ist bei Weitem größer als die der Männer.

  

Die linksgewundene Weinbergschnecke ist der König 

Es ist nicht nur die Symmetrie, auch die Asymmetrie zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Hier muss ich an die Verfilmung von Victor Hugos „Der Glöckner von Notre Dame“ denken. Geht es Ihnen nicht auch so, dass der von Anthony Quinn so überzeugend gespielte taube Quasimodo mit seinem verzerrten Gesicht mehr das Interesse auf sich zieht als die von ihm beschützte schöne Esmeralda? Vom tragischen Schicksal des Quasimodo abgesehen, spielt die Natur oft mit der Asymmetrie. Ein Beispiel ist das Schneckenhaus. Diese Kalkschale ähnelt entweder einer rechts- oder linksgewundenen Schraube. Bei den Weinbergschnecken ist diese ganz selten linksgewunden. Wenn das der Fall ist, gehört die Weinbergschnecke zur Hocharistokratie, denn dann ist sie der Schneckenkönig. Die Asymmetrie im Körperinneren ist nicht sichtbar. Die Leber befindet sich rechts im Oberbauch und das Herz schlägt links im Brustkorb. Außerdem funktioniert das Herz auch noch asymmetrisch. Die rechte Herzkammer pumpt das Blut in die Lunge, während die linke das Blut von der Lunge in den Körper zurückbefördert.

 

Wenn gleiche Stoffe doch nicht gleich sind

Es ist immer ärgerlich, wenn die zum Kaffee gegebene Milch flockt, weil sie sauer ist. Wenn das passiert, haben Bakterien den Milchzucker (Laktose) zu Milchsäure vergärt. Man vermutet es nicht, aber diese Milchsäure hat eine besondere molekulare Architektur. Sie hat ein zentrales Kohlenstoffatom, das mit vier unterschiedlichen Nachbarn (H, CH3, OH, COOH) verknüpft ist, und deshalb auch asymmetrisch genannt wird. Räumlich ähnelt es einer Cheops-Pyramide, die auf dem Grundriss eines gleichseitigen Dreiecks errichtet wurde. Moleküle mit einem asymmetrischen Kohlenstoffatom kommen immer in zwei Formen vor, die der Chemiker als Spiegelbildisomere bezeichnet. Aber was hat das mit einem Spiegel zu tun? Wenn sie ihre Hände übereinanderlegen, sind diese nicht miteinander zur Deckung zu bringen. Das gelingt aber, wenn die Hände mit ihren Innenseiten aufeinandergelegt werden. Die eine Hand verhält sich zur anderen, wie das Bild zu seinem Spiegelbild. Genauso verhält es sich bei den Molekülen mit einem asymmetrischen Kohlenstoffatom. Deshalb werden diese auch als chiral (griech. cheira = Hand) bezeichnet.


Das Milchsäure-Molekül kann aber auch mit dem Bild eines Schneckenhauses, also einer links- oder rechtsgewundenen Schraube beschrieben werden. Andere Beispiele für solche „geschraubten“ Moleküle sind die Aminosäuren, die Bausteine der Eiweiße. Merkwürdigerweise sind das, abgesehen vom nicht-chiralen Glyzin, alles „linksgeschraubte“ Aminosäuren. Es ist gut zu verstehen, dass diese Moleküle die gleichen chemischen und – von einer Ausnahme abgesehen – auch die gleichen physikalischen Eigenschaften haben. Sie unterscheiden sich nur dadurch voneinander, dass sie das auf sie fallende (polarisierte) Licht nach links oder rechts „drehen“. Übrigens, hochwertige Parfüme bestehen aus Gemischen von „links- und rechtsgeschraubten“ Molekülen der Duftstoffe, und Parfüm-Plagiate lassen sich durch ihr anderes Spiel mit dem Licht leicht als solche entlarven.

 

Ein winziger Unterschied mit großen Folgen

An unseren Geruchs- oder Geschmacksrezeptoren können „links- und rechtsgeschraubte“ Moleküle ganz unterschiedliche Empfindungen auslösen. Deshalb schmecken Kümmel und Minze auch sehr verschieden, obwohl beide den gleichen Wirkstoff (Carvon) enthalten. Ähnlich verhält es sich mit dem Limonen, das je nach der Quelle den Orangen- als auch den Zitronengeschmack hervorruft. In unserem Stoffwechsel wird die eine von den beiden Formen entweder nicht beachtet oder sie entpuppt sich im schlimmsten Fall als ein gefährliches Gift. Ein Beispiel dafür ist das von der Firma Chemie-Grünenthal (Aachen) entwickelte Contergan®. Dieses wurde zu einem bisher nicht dagewesenen Unglücksfall der Pharmaindustrie. Als Beruhigungsmittel wurde es in den Handel gebracht, mit der Folge von Tausenden weltweit missgebildet-geborenen Kindern zwischen 1958 und 1962. Wie sich später herausstellte, bestand der Wirkstoff (Thalidomid) aus einem Gemisch von zwei spiegelbildlichen Formen. Die eine wirkt beruhigend, die andere aber fruchtschädigend. Zur letzteren Wirkung kam es aber nur dann, wenn die Schwangeren Contergan® zwischen der 4. und 6. Schwangerschaftswoche eingenommen hatten. Die Contergan-Tragödie führte zu einer verschärften Arzneimittelzulassung.

 

Links- und Rechtshändigkeit

Am 13. August jedes Jahres erinnern sich die Älteren unter uns an den Schock, den dieser Tag 1961 mit dem Einmauern der DDR ausgelöst hat. Heute wird am gleichen Augusttag international daran erinnert, dass sich Linkshänder im Alltag mit bestimmten Problemen auseinanderzusetzen haben. Weil Linkshänder in der Unterzahl sind, werden sie mit rechtsgängigen Türklinken oder Korkenziehern konfrontiert. Es ist noch nicht lange her, dass linkshändige Kinder gezwungen wurden, das Schönschreiben mit der rechten Hand zu erlernen und Eltern ihre Kinder dazu anhielten, Erwachsene stets mit dem „schönen Händchen“ zu begrüßen. Damit nicht genug, denn Linkshändigkeit wurde lange als eine tadelswerte Unart angesehen und mit dem Label „linkisch“ gleichgesetzt. Zusätzlich machte der religiöse Aberglaube aus Linkshändern vom Teufel Besessene, denn der Teufel wurde oft mit dem Dreizack in der linken Hand abgebildet.


Nach einer seriösen Schätzung gibt es weltweit 11 Prozent Linkshänder, was allerdings nicht immer so war. Funde von Faustkeilen aus grauer Vorzeit belegen, dass damals die Mehrzahl der Menschen Linkshänder waren. Was könnte nun die heutige Dominanz der Rechtshänder befördert haben? Nach einer populären Hypothese hat dazu die Verteidigungsstrategie im Zweikampf beigetragen. Mit der Lanze (oder später dem Pfeil und Bogen) schützt der Kämpfer im Zweikampf sein Herz und zielt so mit der rechten Hand auf verkürztem Weg auf die Brust seines Gegners. Im Kampf ist diese Körperhaltung für den Linkshänder von Nachteil.


Im Unterschied dazu ist bei Bewegungsabläufen ein Linksherum oft bevorzugt. So lässt der Dompteur im Zirkus bei der Dressurvorführung Pferde oder Löwen immer linksherum laufen, denn anderenfalls machen die Tiere Probleme. Auch beim Abfahrtsski werden Hindernisse viel häufiger links umfahren. Rankengewächse sind ein Beispiel dafür, dass es die Vorliebe für eine nach-links- oder nach-rechts-Bewegung auch bei Pflanzen gibt. So wächst das Geißblatt linksherum, wogegen das Wachstum der Ackerwinde rechtsherum verläuft.

 

Asymmetrie als Ausdrucksmittel

Die Malerei bedient sich der Tatsache, dass eine asymmetrische Bildgestaltung die Aufmerksamkeit stärker erhöht. Unregelmäßig angeordnete Bildelemente verleihen einem Gemälde Raumtiefe, Lebendigkeit und machen es zudem spannungsgeladener. Der berühmte Goldene Schnitt entfaltet seine Wirkung bei Fassaden von Bauwerken oder der Anlage von Gärten, Plätzen oder Parkanlagen durch die asymmetrische Aufteilung (im Verhältnis von 1: 1,618). In der Sprache werden die Adjektive asymmetrisch bzw. links oder rechts zur Betonung eines bestimmten Sachverhaltes eingesetzt. Die Varusschlacht im Teutoburger Wald wird als asymmetrisch bezeichnet, weil die beiden Kriegsparteien (Germanen und Römer) im Kampf sehr unterschiedlich aufgestellt waren. Die römische Streitmacht durchquerte weit auseinandergezogen als 15 bis 20 km-langer Tross den damaligen Urwald. Das machte sie aber für seitliche Angriffe durch die germanischen Kriegerstämme extrem empfindlich und führte letztendlich zur Vernichtung der Legionen des Varus im Jahre 9 n. Chr. 

 
Die Dominanz der Rechtshändigkeit führt in der Sprache zur Diskriminierung von „links“. Wenn gesagt wird – „Das mache ich mit links.“ – drückt das ja eigentlich aus, dass ein Rechtshänder eine Sache sogar mit „links“ erledigen kann.  „Zwei linke Hände haben“ ist ein anderes Beispiel. Rechtsstaatlichkeit, aufrechter Gang, Menschenrecht oder Asylrecht sind Begriffe, die mehr oder weniger unbewusst eine größere Wertschätzung für „rechts“ ausdrücken. Das passt allerdings nicht so recht mit politischen Bewertungen wie „rechte Gesinnung“, „rechtsradikal“ oder „die Rechten“, zusammen. Die Einteilung in „Rechte“ und „Linke“ ist ursprünglich davon unbelastet gewesen. Diese war nämlich verbunden mit der Sitzordnung im Parlament nach der Französischen Revolution. Rechts neben dem Parlamentspräsidenten saßen die Adligen und Kirchenvertreter. Denn gemäß ihrer Sicht war rechts der beste Platz neben Gott. Diese sahen sich in der Rolle der Bewahrer konservativer Werte. Links vom Parlamentspräsidenten hatten die Vertreter der Revolutionäre und des Bürgertums ihren Platz und verstanden sich als Liberale, also den gegenüber Veränderungen aufgeschlossenen Parlamentariern. Übrigens im Deutschen Bundestag ist die Sitzordnung (von links nach rechts): Die Linke, SPD, Bündnis 90/Grüne, CDU, FDP und AfD.

Seite 30, Kompakt Zeitung Nr. 244, 7.11.2023

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