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Getrennt oder zusammen?

Von Dieter Mengwasser, Dipl.-Dolmetscher u. -Übersetzer

A1. Blöd, die Uhr ist stehengeblieben, ich muss sie gleich stellen.
A2. Dieses erzkonservative Regime wird niemals eine gleichgeschlechtliche Ehe der normalen Ehe von Mann und Frau gleichstellen.
B1. Alle Verhafteten mussten die ganze Nacht zusammengepfercht in einer Zelle zusammen stehen.
B2. Der Regierungschef ruft dazu auf, dass in diesen schwierigen Zeiten alle Menschen einträchtig zusammenstehen.
C1. Dem Bengel werde ich die Hammelbeine langziehen, denn noch wohnt er bei uns zu Hause.
C2. Der israelische Geheimdienst gehört zu den effektivsten auf der Welt, aber dennoch hat er angeblich nicht die Vorbereitungen der Hamas zum 7. Oktober vorausgesehen.
D1. Die Mannschaft ist noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.
D2. Der blaue Fleck in seinem Gesicht ist davon gekommen, dass ihm ein Skinhead einen Schlag versetzt hat.
E1. Das Amtsgericht hatte den Angeklagten freigesprochen.
E2. Als guter Redner hatte er immer frei gesprochen.

 

Diese Sätze hier oben sind Vorschläge von mir. So sollten nach meiner Meinung Wörter in bestimmten Kontexten zusammen oder getrennt geschrieben werden. Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden sich vielleicht fragen, wieso der da von Vorschlägen spricht. Gibt es da nicht Regeln, wie geschrieben werden soll? Die Sache ist kompliziert, das sehe ich allein schon daran, dass mehrere Wörter in Getrenntschreibung durch das Rechtschreib-Kontrollsystem meines Computers rot unterstrichen sind. Es sind Vorschläge von mir, weil ich diese Wörter mit Zusammen- oder Getrenntschreibung in Veröffentlichungen mit solchen und ähnlichen Sätzen wie oben schon anders gelesen habe.

 

Versuchen wir, Begründungen für diese „Vorschläge“ zu geben: Satz A1. (Uhr stellen): ,gleich‘ hat hier überhaupt nichts mit ‚stellen‘ zu tun. ‚gleich‘ ist in Bezug auf die Zeit zu sehen: ich stelle die Uhr sofort, ohne zu warten, in dieser Minute, ohne irgendeine Verzögerung. Satz A2. (Ehen gleichstellen): Solche Ehen sollen den gleichen Wert wie die anderen haben, sie sind auf dieselbe Ebene, auf den gleichen Rang von der Bedeutung zu heben. Vergleiche hierzu: Der Gleichstellungsbeauftragte soll für Männer, Frauen und Diverse die gleichen bürgerlichen Rechte sichern.

 

Satz B1. (zusammen stehen): Ähnlich dem, wie wenn Sie beim Einkauf im Supermarkt zusammen mit vielen anderen Kunden in einer Schlange vor der Kasse stehen. Es wird damit nur ein räumliches Verhältnis wiedergegeben. Satz B2. (als Volk zusammenstehen): Angesichts von Schwierigkeiten und Krisen sollten alle Menschen wie ein fester Block gegen diese Widrigkeiten zusammenhalten, verbunden sein, sich solidarisch zeigen. Dieses ‚zusammenstehen‘ betrifft die Moral und nicht das Stehen in einem Raum. 

 

Satz C1. (denn noch): Zwei Wörter, die überhaupt gar nichts miteinander zu tun haben. ‚denn‘ ist eine sogenannte Konjunktion, also ein Bindewort, und es leitet eine Begründung ein. Von der Bedeutung her mit ‚weil‘ zu vergleichen, wobei aber bei ‚denn‘ ein sogenannter Hauptsatz folgen muss (mit nachfolgendem Subjekt und Prädikat; gegenwärtig zeichnet sich jedoch die Tendenz ab, ‚denn‘ durch ‚weil‘ zu ersetzen und dabei die Wortfolge mit Subjekt und Prädikat beizubehalten). Satz C2. (dennoch): Es gibt keinerlei Beziehung zwischen ‚denn noch‘ und ‚dennoch‘. ‚dennoch‘ ist als Adverb einzustufen und hat die Bedeutung ‚trotzdem‘. Es drückt einen gewissen Widerspruch aus: „Er ist der beste Schüler, aber dennoch mögen ihn die Lehrer nicht.“ Sätze mit ähnlicher Bedeutung: „Obwohl zwei Spieler die rote Karte erhielten, hat die Mannschaft dennoch (= doch, trotzdem) gewonnen.“

 

Satz D1. (davonkommen): Herauskommen aus einer Situation, sich retten, einigermaßen unbeschadet etwas überstehen, glimpflich entkommen. Satz D2. (davon gekommen): Hier wird die Ursache, der Grund eines Schadensereignisses genannt. Synonyme dazu: das ist entstanden durch; das rührt daher, dass; das ist bewirkt durch …

 

Satz E1. (freisprechen): Das Gericht urteilt, dass der Angeklagte ohne Schuld, frei von Schuld, ist. Satz E2. (frei sprechen): Der Redner spricht ohne Manuskript, ohne ein Blatt Papier vor sich; er liest seine Rede nicht ab. Auch in folgender Situation wird ‚frei sprechen‘ getrennt geschrieben: Eine Gruppe trifft sich im Geheimen, und dem Neuen wird gesagt: „Du kannst hier frei sprechen, hier verpfeift dich keiner.“

 

Wenn Sie einige Sätze oder zumindest die zusammengesetzten Wörter laut sprechen, dann stellen Sie fest, dass die vorderen Silben dieser Zusammensetzungen betont sind, während die auseinander geschriebenen Wörter gleichmäßig betont sind: freisprechen, zusammenstehen, davonkommen, gleichstellen usw., hingegen: frei sprechen, zusammen stehen, davon gekommen, gleich stellen usw.

 

Alles verstanden, alles gut, die Begründungen einleuchtend? Eben doch nicht! Denn nun kommt die Rechtschreibreform ins Spiel, die nun seit mindestens 25 Jahren bei uns herumgeistert. Bezüglich unserer Thematik ist es ihr erklärtes Ziel, die Getrenntschreibung als Normalfall zu betrachten. ‚Wenn er sich nicht anstrengt, wird er in der Schule sitzen bleiben.‘, anstelle von bisher: ‚… sitzenbleiben‘. Weitere Neufassungen sind: ‚wie viel‘, anstelle von bisher ‚wieviel‘; ‚nahe stehend‘, bisher ‚nahestehend‘, ‚Rad fahren‘, bisher ‚radfahren‘ (Neufassung in Analogie zu ‚Auto fahren‘), ‚gefangen nehmen‘ anstelle von bisher ‚gefangennehmen‘, usw. usf.

 

Bei diesem Bestreben nach konsequenter Getrenntschreibung verhält es sich ähnlich wie bei den Regeln für die Kommasetzung. Entsprechend der Rechtschreibreform soll es angeblich mehr Freiheit beim Komma geben. Das führt dann dazu, dass das Komma eben weggelassen wird oder an Stellen gesetzt wird, wo es von der Logik her gar nicht hingehört. Das Getrenntschreiben kann das Verstehen zumindest erschweren. So hatte ich – zum Nachweis meines Arbeitszimmers – den Grundriss unserer Wohnung dem Finanzamt vorzulegen. Um das zu bewerkstelligen, suchte ich im Internet und fand u. a. folgenden Satz: „Oberhalb und seitlich des Zeichenpapiers sehen Sie Maßangaben. So können Sie Wände Zentimeter genau setzen.“ Ich muss gestehen, dass ich die Sache mit dem Zentimeter nicht sofort begriffen hatte, denn noch bin ich in meiner „alten“ Denkweise befangen, dass es hier ‚zentimetergenau‘ (zusammengeschrieben und mit kleinem Anfangsbuchstaben) heißen müsste.

 

Wenn Sie mit Ihrem Auto durch eine lange Wasserlache fahren, die sich z. B. in einem Tunnel infolge Hochwassers gebildet hat, dann sollten Sie bedenken, dass mit Wasser benetzte Metallflächen, also die Bremsscheiben Ihres Fahrzeugs, eine sehr geringe Reibung aufweisen. Zudem sind auch noch die Bremsbeläge selbst nass. Nun ist es empfehlenswert, dass Sie nach Durchfahrt der Wasserstrecke die Bremsen vorsichtig trockenbremsen. ‚trockenbremsen‘, oder heißt es ‚trocken bremsen‘? Ihre Küchenmesser sollten Sie scharfschleifen – oder ‚scharf schleifen‘?

 

Liebe Leserinnen und Leser, Sie sind sicherlich auch der Meinung, dass Getrennt- und Zusammenschreibung ein Problem ist. Zusätzlich mit dem häufigen Weglassen des Bindestrichs (ein anderes Kapitel) nähern wir uns langsam in unserer Sprache der Zeit, dass Wörter einfach nur noch nebeneinander geschrieben werden. Der Leser ist doch intelligent genug, den Sinn zu verstehen.

 

Abschließend noch ein kleiner Witz, mit unserem Thema verbunden. Die Lehrerin der 4. Klasse hat mit viel Mühe versucht, den Kindern die schwierige Bedeutung des Wortes ‚immerhin‘ zu erklären. Wer nun in der Lage ist, einen Satz mit diesem Wort zu bilden? Schweigen. Doch dann meldet sich der kleine Fritz: „Mein Bruder, der ist schon groß, der verdient auch schon Geld, und bei uns im Nachbarhaus, da wohnt Fräulein Görner, und da geht mein Bruder immer hin.“

 

Buch-Tipp: Die Beiträge von Dieter Mengwasser sind als Buch unter dem Titel „Ich spreche Deutsch! – Sprachbetrachtungen eines Sprachkundigen“ erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.

Seite 17, Kompakt Zeitung Nr. 249

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