Suche

Tickethotline 0391 79294310

KM_LOGO_rb_100px

Römers Reich:
Über das stille Sterben

Axel Römer

Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen in Deutschland ist nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) im Februar 2024 um 18,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Im Januar 2024 hatte sie um 26,2 Prozent gegenüber Januar 2023 zugenommen. Seit Juni 2023 sind damit durchgängig zweistellige Zuwachsraten im Vorjahresvergleich zu beobachten. So kann man es hoch offiziell auf der Internetseite der staatlichen Statistiker lesen. Diese Zahlen sind auch der Regierung bekannt. Das Problem scheint allerdings zu sein, dass sich mit nüchternen Zahlen keine emotionale Betroffenheit verbinden.


Schaut man sich eine Dokumentation über Leid und Elend in Kriegsgebieten oder Berichte über Menschen an, die Opfer einer Naturkatastrophe wurden, regt sich unser Mitgefühl. Doch hinter Zahlen über Unternehmenspleiten stecken ebenso menschliche Schicksale. Wenn ein großer Konzern verkündet, mehrere Tausend Stellen abzubauen, gibt es darüber Nachrichten. In der Summe sind von den vielen kleinen Schließungen jedoch auch viele Menschen betroffen. Deren Geschichten erreichen selten das Licht der Öffentlichkeit.


Es wird heute viel über Diffamierung, verletzte Gefühle und ungerechte Sichtweisen geredet. Ich frage mich, ob dabei nicht oft konstruierte Luxusprobleme behandelt werden. Existenzielle Not greift tiefer als Gefühlsregungen über verwendete Sprachausdrücke. Da sind ganze Familien betroffen, oft genug Kinder und der soziale Halt kann flöten gehen.
Deutschlands größte Landesbank, die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), malte über die hiesige Unternehmensentwicklung ein düsteres Szenario. „Die Nachfrage bei den Unternehmen bricht ein, die Aufträge bleiben aus, das werden wir bald massiv spüren – und zwar über alle Branchen hinweg.“ So schätzt die Finanzchefin der LBBW, Stefanie Münz, den wirtschaftlichen Trend ein. Und Bank-Chef Rainer Neske ergänzt: „Das Schlimme ist, die Unternehmen verlassen den Standort still und leise, einfach, indem sie nicht mehr hier, sondern an ihren ausländischen Sitzen investieren.“ Die anderen, sogenannte Kleinunternehmen, haben noch nicht einmal eine Chance, Arbeitsplätze zu verlagern. Solche Firmen sterben noch stiller. Wenn ein Ladenangebot aus dem Straßenbild verschwindet, wird das gerade noch im Vorbeigehen registriert. Man zuckt die Schultern, fühlt vielleicht für einen kurzen Moment Bedrückung und Ohnmacht gegenüber der Entwicklung. Über das Leben der betroffenen Menschen weiß man meistens nichts.


Doch längst befindet sich Deutschland im Strudel eines wirtschaftlichen Abschwungs. Die gesellschaftliche Sprengkraft, die damit verbunden ist, kann zerstörerische Wirkung entfalten. Nicht die politisch erzählte Geschichte über rechts, sondern aus dem Verlust an Existenziellem ist der Treibstoff, der oben und unten auseinanderreißt. Darüber eine politische Rechts-Links-Wolke ziehen zu lassen, sind nur Nebelschwaden, die den Durchblick verhindern.

Seite 3, Kompakt Zeitung Nr. 252, 20. März 2024

Schlagzeilen

Aktuelle Ausgabe

Edit Template

Über uns

KOMPAKT MEDIA als Printmedium mit über 30.000 Exemplaren sowie Magazinen, Büchern, Kalendern, Online-Seiten und Social Media. Monatlich erreichen wir mit unseren verbreiteten Inhalten in den zweimal pro Monat erscheinenden Zeitungen sowie mit der Reichweite unserer Internet-Kanäle mehr als 420.000 Nutzer.