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Digitale Ostereier

Axel Römer

Ein Gespenst geht in der Welt um: die Künstliche Intelligenz. Man kann ihr nicht beim „Arbeiten“ zuschauen, staunt aber über die Möglichkeiten. Letztlich ist sie ein Osterei, dass wir für uns selbst versteckt haben.

 

Ostern ist ein christliches Fest. Selbst die Symbolik eines Ostergeschenks geht auf das 10. Jahrhundert zurück. Im koptischen Christentum schenkte man sich als Zeichen der Auferstehung am Ostermontag gegenseitig haltbar gemachte, rot gefärbte Eier. Die sollten symbolisch für das Grab Jesu stehen. Warum wir nun Ostereier verstecken, ist nicht abschließend geklärt. Eine Theorie besagt, dass die Ostereisuche heidnischen Ursprung hätte. Um die heidnische Frühlingsgöttin Ostara zu ehren, wurden Eier, die auch als Fruchtbarkeitszeichen galten, verschenkt. Der Kirche soll dieser Brauch nicht gefallen haben. Und weil dieser deshalb verboten wurde, versteckte man die Eier.

 

Abgesehen von der Versteck-Tradition, haben wir heute eigentlich immer Ostern. Die Eier unserer Zeit sind digital. Versteckt sind sie beispielsweise auf den Servern von Internetseiten, in allen Suchmaschinen und natürlich auf jedem Smartphone. Und wir müssen diese Einer nicht einmal suchen. Sie finden uns, registrieren jeden Internetseitenbesuch und speichern die IP-Adresse unserer Endgeräte.

 

Inzwischen zieht die sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) in unseren Alltag ein. Damit legen wir uns ganz neue Eier in unseren Lebensgarten. Die Möglichkeiten der KI werden gepriesen, als würden sie uns Wege in eine schillernde Zukunft ermöglichen. Die Speicher- und Verarbeitungspotenziale in riesigen Rechenzentren sind die digitalen Eier-Produzenten. Inzwischen können die Rechenmaschinen künstliche Bilder, Videos, Sprach- oder Musikdateien und komplexe Texte ausspucken. Alles, was digital abbildbar ist, kann mittels Computern neu zusammengesetzt, verändert, manipuliert oder zerlegt werden. Der Mensch schaut und hört hin, ist fasziniert und lässt sich von den Inszenierungen fesseln. Eine Ursache, warum das alles möglich ist, wird dabei gern ausgeblendet. Nämlich, dass wir alle selbst Teil dieser virtuellen Welt weit über der realen sind. Ohne die unüberschaubare Menge Daten an Fotos, Texten, Musik und Videos, an denen alle ihren kleinen Erzeugungsanteil haben, könnte die KI gar nichts erzeugen.

 

Im vergangenen Jahr soll die gespeicherte Datenmenge über 126 Zettabyte betragen haben. Ein Zettabyte entspricht 10  hoch 21 Bytes. Das sind 1.000.000.000.000.000.000.000 Bytes bzw. eine Trilliarde Bytes. In diesem Jahr soll das Datenvolumen um 153,5 Zettabyte steigen. Für das Jahr 2027 schätzt man eine dazukommende generierte Datenmenge von 284,3 Zettabyte. Aus dem Internet, dass wir mit unseren Informationen gespeist haben, wird mehr und mehr ein Datenmonster, dass sich selbst mit neuen Speicherinhalten füllt. Da sei schon jetzt die Frage erlaubt, ob diese künstlichen Informationen für uns wirklich von Bedeutung sind?

 

Die EU hat gerade eine erste Regulierung für die Datentechnologiebranche verabschiedet. Der sogenannte „AI-Act“ droht Unternehmen, die gegen die Richtlinien verstoßen, mit Strafen von bis zu 35 Millionen Euro. Es heißt, die Tech-Giganten haben wegen nicht beherrschbarer KI-Gefahren selbst nach einem Moratorium gerufen. Doch es steht zweifelfrei fest, dass sich Künstliche Intelligenz auf Grundrechte auswirken wird. Biometrische Daten, Bildungsinhalte, Verkehrsüberwachung, Strafverfolgung oder Kreditvergaben – quasi alles, was von unserem persönlichen Leben speicherbar ist, kann auch genutzt werden, um Wahrscheinlichkeitsaussagen über Gesundheit, Verhalten und vieles andere mehr zu treffen.

 

Menschen, die bisher ihren Lebensunterhalt mit Kreativleistungen verdient haben, geraten in Gefahr als Urheber im Datendickicht unterzugehen. KI-Erzeugnisse geben keine Auskunft, wessen Aussagen an welcher Stelle zitiert und welche Daten wie miteinander verknüpft wurden. „Sicher ist der Rechtsschutz von kreativen Autoren auch mit dem Blick über die nationalen Grenzen keine einfache Angelegenheit und erfordert einen langen Atem. Die Diskussionsebene auch in Literaturforen sollte aber jetzt beginnen, bevor es zu spät ist“, schrieb Peter D. Schmidt, Mediensprecher der Hamburger Autorenvereinigung, in der „Frankfurter Allgemeinen“. Nicht nur Autoren, Musiker, Filmer, Fotografen, Bildende Künstler, Filmschauspieler, Grafiker – alle können betroffen sein.

 

Schon heute sehen wir, wie man im Shitstorm untergehen kann. Was erst, wenn hier KI mit weiteren Inhalten eingreift. Die freie Meinung, die wir als persönliches Grundrecht einfordern, kann im Ozean künstlich erzeugter Meinungen baden gehen. Welche Bedeutung sollte dieses Recht dann noch haben? So wie heute Milliarden an sogenannten Posts in Sozialen Medien eine Nebelwelt über die reale projizieren können – und diese Welt taugt nicht als Wirklichkeitsabbild – wird der virtuelle Nebel noch dichter werden.

 

Tatsächlich wundern sich heute viele über die massenhafte Verbreitung kruder Ansichten, Fake-News, Verschwörungstheorien oder ideologischer Themen. Das Internet lässt aber aufgrund von Kommentierungsflut und Daten-Blabla in der Regel nur Verzerrungen entstehen. Ein tausend Mal geteiltes und positiv wie negativ kommentiertes Foto von einer leckeren Speisezubereitung hat mit der eigentlichen Speise nichts zu tun. Dieser Vergleich lässt sich auf vieles übertragen. Das Fazit zur angeschauten Virtualität mit oder ohne KI wird mehr und mehr zur Fessel. Der Geist genügt sich selbst, weil er nur noch seine erzeugten Leistungen betrachtet. Daraus sind die Ostereier unserer Zeit.

Seite 20, Kompakt Zeitung Nr. 252, 20. März 2024

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