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„Sie hören einfach nicht auf“

Von Rudi Bartlitz

Die SCM-Handballer setzen ihren Siegeszug in Pokal und Meisterschaft fort. Keeper Sergey Hernandez überragt alle.

 

Wartete nach der Suspendierung von Stammtorhüter Nikola Portner mit grandiosen Leistungen auf: SCM-Keeper Sergey Hernandez. Foto: Peter Gercke

 

Es waren 124 Stunden, die zwar nicht die Welt erschütterten, den Handball-Kosmos des SC Magdeburg aber schon gehörig berührten. Im Positiven! Denn genau diese 124 Stunden lagen zwischen dem Pokalfinale in Köln gegen Melsungen und der für den Titelkampf in der Bundesliga vorentscheidenden Meisterschaftspartie in Flensburg. Und beide Male verließen die Magdeburger das Parkett als Sieger.


Was heißt das nun übersetzt? Es heißt, dass die Grün-Roten ihren seit zwei Jahren anhaltenden beeindruckenden Siegeszug fortsetzen, national wie international. Nach dem Super Globe im November 2023 (34:32 n.V. gegen Füchse Berlin), der inoffiziellen Vereinsweltmeisterschaft, gewannen sie vor gut einer Woche mit dem nationalen Pokal bereits ihre zweite Trophäe (von insgesamt vier möglichen) in dieser Saison. Und es sieht ganz so aus, als sollten sie mit 32:29 am Wochenende in Flensburg den Grundstein für eine weitere deutsche Meisterschaft gelegt haben, selbst wenn ihnen die Berliner Füchse mit nun zwei Minuspunkten Rückstand immer noch im Nacken sitzen.


ABER: Jetzt hat die Truppe von Cheftrainer Bennet Wiegert die Meisterschaft in der eigenen Hand. Muss nicht mehr den Füchsen hinterherrennen. Gewinnt sie die verbleibenden sechs Begegnungen – keine davon mehr gegen ein Top-Team – ist ihr der Titel nicht mehr zu nehmen. Es wäre der dritte nach 2001 und 2022.


Die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis des SCM, den viele Experten als derzeit beste Vereinsmannschaft der Welt bezeichnen, wurde in den zurückliegenden Monaten oft gestellt. Und wie immer in solchen Fällen lautet die Antwort: Es ist ein ganzes Bündel von Gründen. Der wichtigste dürfte wohl sein, dass dieses Team einen Geschwindigkeits-Handball vorführt, den es so nirgendwo anders gibt. Zelebriert von Spielern, die über Jahre genau für diese Art von Handball gesichtet und dann an die Elbe geholt worden sind. Hinzu kommt: Es scheint, dass derzeit jeder Einzelne der Stammformation an seinem Optimum spielt. „Es sind Mentalitätsmonster“, beschrieb es Ex-SCM-Legende Stefan Kretzschmar jüngst. „Sie hören einfach nicht auf. Die machen auf der Platte keine Dummheiten, brechen nicht aus ihrem Muster aus.“


Es wäre allerdings weniger als die halbe Wahrheit, käme nicht spätestens an dieser Stelle ein Name ins Spiel, nämlich der von Sergey Hernandez. Um seine Leistungen in den letzten Wochen ranken sich inzwischen wahre Heldengeschichten. Der spanische National-Keeper, der erst Sommer 2023 zu den Magdeburgern gestoßen war und den Dänen Mike Jensen ersetzte, hat nicht nur das Pokal-Wochenende in Köln, wie ganz Euphorische meinen, nahezu im Alleingang gewonnen. Auch in Flensburg gestaltete er das Torhüter-Duell eindeutig zu seinen Gunsten. Dabei war der 28-Jährige zunächst nur als Nummer zwei hinter dem Schweizer Nikola Portner gekommen.


Das, nennen wir es ruhig Phänomenale an Hernandez liegt wahrscheinlich in der unergründlichen Welt der Psyche. Vier Tage vor dem Pokal-Wochenende war bekannt geworden, dass Stammkeeper Portner bei einer Dopingprobe positiv auf Methamphetamine getestet worden war – ein Schock für die Magdeburger Mannschaft. Portner wurde bis auf weiteres vom Trainings- und Spielbetrieb suspendiert. Alle Verantwortung las-tete nun bei Hernandez.


Die Lücke, die Portners Suspendierung in den Kader gerissen hatte, füllte Hernandez jedoch problemlos – über 30 Paraden kamen in den zwei Pokal-Begegnungen auf sein Konto. „So etwas zeigt, was für ein Typ du bist. Entweder steigst du auf oder du wirst kleiner. Und Sergey ist größer geworden“, hatte Spielmacher Gisli Kristjansson schon nach dem Halbfinale gesagt. Auch Teamkollege Felix Claar war voller Lob für den Spanier: „Ich glaube, ich habe ihn noch nie so gut gesehen.“ Von einer besonderen Drucksituation für sich wollte Hernandez allerdings selbst nicht sprechen. „Wir haben diesen Sieg als Team geholt“, betonte er. „Ich wusste, was ich zu tun habe, aber sie haben mir auch mit der Abwehr geholfen ein paar einfache Paraden zu bekommen.“


Bemerkenswert ist die Lebensgeschichte von Hernández. Geboren wurde er im russischen Kropotkin, einer 80.000-Einwohnerstadt am Kuban-Fluss. Im Alter von drei Jahren adoptierte ihn das spanische Ehepaar José Luís Hernández und Gregoria Ferrer. Sein 2014 verstorbener Adoptivvater war Leichtathlet, dann Trainer und als Fitnesstrainer ab 2008 beim dänischen Verein KIF Kolding tätig. Seine Adoptivmutter nahm mit der 4-mal-400-Meter-Staffel an den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona teil. „Zu meiner russischen Familie habe ich keinerlei Information“, sagte Hernandez, der mit der beim Bundesligisten Borussia Dortmund verpflichteten spanischen Handball-Nationalspielerin Carmen Campos liiert ist, einmal. „Ich denke und fühle spanisch, denn abgesehen von Dänemark und Portugal habe ich mein ganzes Leben in Spanien verbracht. Doch meine Eltern haben meinen Vornamen so behalten, damit ich nie vergesse, woher ich komme.“


Seit Ende vergangener Woche nun ist ein Gerücht aufgetaucht, demzufolge der SCM an einer Verpflichtung des deutschen Nationaltorhüters Andreas Wolf, derzeit beim polnischen Spitzenklub Industria Kielce unter Vertrag, interessiert sein soll. Auf Nachfrage des Branchendienstes „handball-world“ äußerte sich Magdeburgs Geschäftsführer Marc Schmedt so: „Wir kommentieren grundsätzlich keine Gerüchte.“ Auch Wiegert wollte sich nicht dazu äußern. Er beantwortete eine entsprechende Nachfrage der TV-Plattform Dyn gelassen – aber dementierte zumindest nicht.


Fakt ist, Wolff besitzt in Kielce noch einen Vertrag bis 2028. Für einen vorzeitigen Wechsel müssten die Magdeburger also wahrscheinlich eine Ablösesumme bezahlen. Andererseits wäre es kaum verwunderlich, wenn der aktuelle Champions-League-Sieger nach einem neuen Torwart Ausschau hält. Denn Portner ist bis auf Weiteres gesperrt. Dem Schweizer droht im schlimmsten Fall eine lange Sperre, bis zu vier Jahre. In diesem Fall könnte die Verpflichtung eines neuen Keepers durchaus Sinn machen. Es darf weiter spekuliert werden.

 

Nr. 254 vom 23. April 2024
Seite 45

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