Römers Reich: Mehr Experten oder nicht?

Das Klagelied über zu wenige Experten in Regierungsämtern wird laut und oft gesungen. In jüngerer Vergangenheit hatten wir schon Menschen in Ministerämtern ohne oder mit zweifelhaften Abschlüssen. Und das – so wird es vielstimmig gerufen – sei verantwortlich für die Misere im Land. Ich denke, es ist eher wie immer: Je lauter und länger ein Problem dahergebetet wird, umso mehr wächst der Glaube über die Aussagen.

 

Übrigens will ich damit gar nichts über die Qualität von Entscheidungen oder Regierungstaten sagen. Mir geht es um das unendliche Wachstum im Expertenwesen. Das Volk schwang sich 2020 zu millionenfachen Experten zum Corona-Virus auf. Dann spaltete sich die Expertenschaft in Leute, die alles zum RNA-Impfstoff wissen wollten, in jene, die dessen positive Wirkungen erklären konnten und solche, die vor dessen Einsatz warnten. Jede Woche sitzen rund 10 Millionen Trainer-Experten vor Bildschirmen und in Stadien und wissen genau, was einem Team in der 1. Bundesliga am Sieg gefehlt hat.

 

Auf politischen Themenfeldern wie Energiewende und Klimawandel haben ebenfalls jede Menge Experten Hochkonjunktur. Interessant ist immer wieder, dass in deutschen Ministerien überall Verwaltungsexperten sitzen, die sich auf ihrem Gebiet fachlich ausgezeichnet auskennen und gleichsam noch Vorschläge für ihr effizienteres und unbürokratisches Arbeiten unterbreiten könnten. Angereichert werden die politischen Regieführer im Ministerkleid und ihre Verwaltungsexperten von einer nicht mehr überschaubaren Expertenschar. Und da sind die Fachleute auf europäischer Ebene, die sich ins Leben vor Ort einmischen, noch gar nicht mitgemeint. Von solchen Kritikern, die mehr Experten in politische Verantwortung schicken wollen, bleibt unberücksichtigt, dass solche wohl kaum gegen den eigenen Berufsstand entscheiden würden. In anderen Bereichen bezeichnet man solche Leute als Lobbyisten. Und die haben wirklich keinen guten Ruf. Echte Experten kommen stets aus dem Dunstkreis ihres Wirkungskreises. Unkonventionelle und echte Innovationen entstehen eher da, wo Experten fehlen oder in der Minderheit sind.

 

Gefährlich mag es werden, wenn Experten mit Glaubensgrundsätzen über das sogenannte Gute bewaffnet sind. Solches Expertentum birgt die Gefahr, ideologische Steuerungen mit Heilsbotschaften oder Untergangserzählungen anzureichern. Solche treten heute offenbar häufig in Erscheinung – und das stets im Expertengewand. Wenn Politiker heute von Bürokratieabbau reden, passt der Satz des griechischen Dichters Aristophanes: „Eulen nach Athen tragen“. Berufspolitikertum ist derart expertenhaft an die Bürokratie gefesselt, dass es sich aus deren Umklammerung nicht lösen kann. Ich plädiere dafür, das Experten-Wachstum einzudämmen. Je mehr wir nach Experten rufen, umso mehr Gremien entstehen, unter deren Expertise Lösungen verwässert werden. Bürokratieeffizienzerzeugen wir seit Jahrzehnten dadurch, dass wir neue schaffen. Aber was schreibe ich hier? Schließlich bin ich gar kein Experte.

 

Axel Römer

Nr. 278 vom 30. April 2025, Seite 3

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