Suche

Tickethotline 0391 79294310

KM_LOGO_rb_100px

Römers Reich:
Lügen haben lange Beine

Axel Römer

Wissenschaftliche Studien sind heutzutage wie Bestseller in der Literatur. Oft verbreiten sich Botschaften daraus wie ein Lauffeuer. Natürlich ist so ein Lauffeuer-Tempo nicht mit der heutigen Internetrasanz vergleichbar. Jedenfalls erhalten heute Studien aus sozialwissenschaftlichen Bereichen eine enorme Aufmerksamkeit. Manchmal bestätigen sie uns die Wahrnehmungen über unser Verhalten, ein anderes Mal widerlegen sie sie. Alles, was sich um den Menschen dreht, ist für den Menschen interessant und eben nicht für die Fische. Deshalb verbreitet sich Klatsch im privaten Bereich genauso schnell wie die Gerüchte über Promis in Medien.


Komisch wird es jedoch, wenn solchen Studien Widersprüche oder gar Fehler nachgewiesen werden. Noch schlimmer, wenn vorsätzlich gelogen wird. Die Ikone der Verhaltensökonomie, die Harvard-Professorin Francesca Gino, hat aktuell ein Problem mit ihrer Forschungsarbeit. Gino und ihre Kollegen hatten aus ihrer veröffentlichten Studie heraus 2012 behauptet, dass sich Bürger ehrlicher verhalten würden, wenn sie auf jedem Formular oder Vertrag eine Ehrlichkeitsverpflichtung unterschreiben müssten. Und die Klausel sollte unbedingt ganz oben auf einem Dokument stehen. Drei Studien zog Francesca Gino für ihre Behauptung heran. In der ersten mussten Autofahrer Angaben über ihre jährliche Kilometerleistung machen. Die Crux war nur, die Daten der Versicherung waren gefälscht. Das hatte der Psychologe Dan Ariely nicht überprüft oder eben verheimlicht. Daten in einer weiteren Studie, in der Probanden Angaben über ihre korrekten Lösungen von Matheaufgaben machen, sollen ebenfalls manipuliert sein. Aufgrund Ginos Arbeit druckte das populärwissenschaftliche Magazin „Harvard Business Review“ einen Artikel, der glauben machen sollte, der Fiskus würde Millionen an Steuergeldern mehr einnehmen, wenn alle Steuerformulare so eine Wahrheitsklausel enthielten. Der Fiskus in Guatemala probierte das bei über drei Millionen Steuererklärungen aus. Das Ergebnis war gleich Null.


Natürlich stehen Wissenschaftler unter Druck. Sie müssen nämlich unbedingt wissenschaftliche Veröffentlichungen produzieren. Originelle Studienergebnisse werden in der Regel häufiger zitiert. Und Zitate sind bare Münze auf dem Konto der Wissenschaftsreputation. So wurde aus der Gino-Studie 563-mal zitiert, sogar noch als sie wegen ihrer Ungereimtheiten schon zurückgezogen war. Die wesentlich größere Feldstudie aus Guatemala fand nur 47-mal Aufmerksamkeit.


Die Sozialpsychologin Amy Cuddy behauptete schon 2012, dass Menschen mit bewusst souveräner Körperhaltung selbst souveräner würden. Leider konnten die Ergebnisse ihrer Forschung nie mehr repliziert werden. Aber 68 Millionen Leute haben sich ihren Vortrag seither angehört. Die Gläubigkeit gegenüber der Wissenschaft ist groß. Eine gesunde Skepsis wäre angebracht. Wie die Beispiele zeigen, können „Lügen“ in Studien ziemlich lange Beine haben, entgegen der sprichwörtlichen Redewendung. Und das ist keine Lüge.

Seite 3, Kompakt Zeitung Nr. 235

Schlagzeilen

Aktuelle Ausgabe

Edit Template

Über uns

KOMPAKT MEDIA als Printmedium mit über 30.000 Exemplaren sowie Magazinen, Büchern, Kalendern, Online-Seiten und Social Media. Monatlich erreichen wir mit unseren verbreiteten Inhalten in den zweimal pro Monat erscheinenden Zeitungen sowie mit der Reichweite unserer Internet-Kanäle mehr als 420.000 Nutzer.