Vom Privileg, am Theater zu arbeiten
Tina Heinz
Die Magdeburger Bühne ist für Sabine Schramm kein unbekanntes Brett. Bereits Ende der 1990er Jahre spielte die gebürtige Oberbayerin am Puppentheater der Landeshauptstadt. Nun, mehr als 20 Jahre später, kehrt sie zurück an die Elbe – berufen als künstlerische Intendantin, mit Vorfreude, Respekt und Ideen im Gepäck.
Ein paar Holzstufen muss Sabine Schramm erklimmen, bis sie ihr Interimsbüro in der villa p. des Puppentheaters Magdeburg erreicht hat. Vorbei an der FigurenSpielSammlung und dann noch ein paar knarzende Stufen weiter, bis sie ganz oben angekommen ist. Dort, in der obersten Etage, wurde die Puppenspielerin, Schauspielerin und Regisseurin einquartiert – freilich nur, bis sie mit dem Start der neuen Spielzeit offiziell das Amt der Puppentheater-Intendantin übernimmt. Michael Kempchen geht (das Abschiedsinterview ist in der ersten Juli-Ausgabe erschienen), Sabine Schramm kommt. Und selbstverständlich ist auch ihr Kommen mit einem Gehen verbunden. Nach zwölf Jahren verabschiedet sie sich von Thüringen, wo sie am Theater Altenburg Gera das Puppentheater leitete.
„Allmählich kommt das bei mir an. Natürlich weiß ich schon seit längerem, dass ich Gera verlasse, um etwas Neues in Magdeburg zu beginnen. Und in den vergangenen Wochen und Monaten habe ich auch jede freie Minute in Magdeburg verbracht. Aber wirklich realisiert habe ich das erst bei meiner offiziellen Abschiedsfeier“, erzählt die gebürtige Oberbayerin und ein wenig Wehmut schwingt in ihrer Stimme mit, unterstrichen von leicht glänzenden Augen. Seit ihrer Verabschiedung sei sie in der Stadt mehrmals angesprochen worden. „Die Menschen möchten plötzlich noch einen Kaffee mit mir trinken gehen, bevor ich Gera verlasse. Das freut mich sehr.”
Ob sie sich das in Magdeburg auch vorstellen könne? „Durchaus! Ich habe hier schon viele offenherzige Menschen kennengelernt“, meint Sabine Schramm, während sie das Fenster schließt. Von draußen dringt jetzt nur noch leise Musik in das Büro. „Die kommt von den Handwerkern, die sich um die Baumaßnahmen am Alten Kutscherhaus kümmern – und die wollen bei der Arbeit ja auch ein bisschen Spaß haben, gell?“ Die Interjektion „gell“ ist fast der einzige Hinweis auf die Herkunft der designierten Intendantin. Nur hin und wieder verrät das Durchschimmern des Dialekts, dass ihre Wurzeln im Süden Bayerns liegen.
Dort, in Oberbayern, nahm alles seinen Anfang. „Ab der 10. Klasse habe ich in München ein musisches Gymnasium besucht. Dass wir uns neben Musik auch mit Kunst und Literatur auseinandergesetzt haben, war selbstverständlich“, erinnert sich Sabine Schramm. „Außerdem fand ich die Art der Kommunikation und den Zusammenhalt innerhalb unseres Klassenverbandes ganz wunderbar. Das hat mich geprägt.“ Die bildende Kunst rückte in den Vordergrund und so reifte in ihr der Wunsch, Bildhauerin zu werden. „Nach dem Schulabschluss habe ich bildende Kunst auf Lehramt studiert, war mir nach dem ersten Staatsexamen jedoch nicht sicher, wohin die Reise gehen soll. Im Rahmen eines Pilotstudiengangs nahm ich dann an einem Theaterprojekt teil. Meine Dozenten waren sich sicher, Theater sei das richtige für mich. Ich hingegen war mir sicher, dass ich weiterhin Bildhauerin werden möchte.“ Sabine Schramm macht eine kurze Pause und beobachtet den Regen, der auf Buckau niederprasselt. „Und dann habe ich das Puppentheater als Schnittstelle zwischen der Bildenden und Darstellenden Kunst für mich entdeckt.“
Es folgen entsprechende Studien in Stuttgart und Wien und inzwischen 25 Jahre Erfahrung als Schau- und Puppenspielerin, Regisseurin und Theaterleiterin bei internationalen Festivals und an deutschen Bühnen – darunter Stuttgart, Tübingen, Regensburg, Rostock, Gera und Magdeburg. Von den vielseitigen, kreativen Möglichkeiten stets mitgerissen und inspiriert, begann sie nach etwa zehn Jahren das zu hinterfragen, was sich jenseits der Bühnen abspielte. „Ich habe mich gewundert, warum es hinter den Kulissen immer wieder knirscht und habe angefangen, mich mit dem Thema Personalentwicklung zu beschäftigen.“
Was aufgrund der zurückhaltend formulierten Worte so klingt, als habe sich die designierte Puppentheater-Intendantin einige Bücher zu diesem Sujet durchgelesen, gipfelte tatsächlich im Abschluss des Master-Studiengangs Personalentwicklung. „Ich habe mir angeschaut, welche Instrumente es in der freien Wirtschaft gibt und wie man diese auf den Kulturbetrieb übertragen kann. Aber es ist schwierig, dies in ein Raster zu pressen“, schildert Sabine Schramm. „Personalentwicklung und Kunst – ein Widerspruch? Sind probate Maßnahmen der freien Wirtschaft auf die künstlerische Organisation Theater übertragbar?“ – so lautet der Titel ihrer wissenschaftlichen Arbeit, für die sie 2011 mit dem Alfons-Fleischmann-Preis für akademische Exzellenz gewürdigt wurde. 2018 untersuchte sie zudem in einer weiteren wissenschaftlichen Arbeit („Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarungen“) ein strategisches Instrument für ein modernes Theatermanagement am Beispiel des Staatstheaters Hannover.
Die Fragen, wie Menschen einander begegnen, wie sie sich gegenseitig zu Höchstleistungen animieren, treiben Sabine Schramm in ihrem Beruf um. „Viele können im kreativen Zusammenspiel mehr als einer allein leisten. Und im Theater geht nichts ohne Teamarbeit – alle Gewerke arbeiten dafür, dass der Vorhang aufgeht. Und das ist es, was ich am Theater liebe und weshalb ich es als Privileg ansehe, hier arbeiten zu dürfen.“ Die Begeisterung für ihren Beruf ist nicht zu überhören. Mit sanfter, aber dennoch ausdrucksstarker Stimme erzählt sie von einem Ausflug nach Magdeburg, den alle am Puppentheater Gera Engagierten im Rahmen des vergangenen Internationalen Figuren Theater Festivals BLICKWECHSEL unternommen hatten. „Auch die mitgereiste technische Mannschaft war begeistert von den Produktionen und hat mit den internationalen Kollegen über Licht und Ton gefachsimpelt.“
Obwohl Sabine Schramm in keiner Weise aufgeregt wirkt, geben ihre Stimme, ihre Mimik und ihre Augen Auskunft darüber, wie sehr sie sich auf die neue Herausforderung am Puppentheater Magdeburg freut. „Michael Kempchen, Frank Bernhardt, das gesamte Team – alle haben in den vergangenen Jahren Großartiges geleistet und dieser Einrichtung zu internationalem Renommee verholfen. Dass ich an dieser Stelle anknüpfen darf, ist eine Bereicherung für mich.“ Dann knüpft sie an ihre vorherige Aussage an und betont erneut, welch Geschenk es sei, im Bereich der Kultur tätig sein zu können. „Ob wir an einem Stück für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene arbeiten – am Anfang wissen wir nie, was am Ende dabei herauskommt. Unsere Kunst ist per se innovativ. Welche Figuren, welche Objekte, welche Puppenspieler kommen zum Einsatz? Wie wird das Bühnenbild aussehen? Wie werden Licht und Ton eingesetzt? Jemand gibt einen Anstoß und am Ende ist etwas auf der Bühne. Die Anfangsidee wird weiterentwickelt. Und obwohl man manchmal nur einen geringen Anteil daran hat, ist man stolz auf die Leistung des Teams und das Ergebnis.“
Sabine Schramm ist in ihrer besonnenen Schwärmerei nicht mehr zu bremsen – würde da nicht der nächste Termin im Kalender stehen. Wer sich bislang nicht so richtig für das Puppentheater begeistern konnte, sollte sich bei Gelegenheit mit der zukünftigen Intendantin unterhalten … vielleicht bei einer Tasse Kaffee.
Foto: Viktoria Kühne
Seite 10/11, Kompakt Zeitung Nr. 237