Gedanken- & Spaziergänge im Park: Ohne Bodenhaftung
Von Paul F. Gaudi
„Hin und wieder beschleicht mich das Gefühl, ob wir nicht so eine neue Art des Feudalismus erleben,“ meinte Gerd nach kurzer Begrüßung. Meine überraschte Miene sehend, fuhr er fort: „Schau dir doch nur einmal an, für was alles die Regierung und ihre Politiker so unter anderem viel Geld ausgeben. Als kürzlich in der Zeitung stand, dass die führenden Politiker von SPD, FDP und den Grünen 2022 etwa 1,5 Millionen Euro für Fotografen, Friseure und Visagisten ausgegeben haben sollen, konnte ich das zuerst kaum glauben. Nach den Angaben des Bundes der Steuerzahler sind das fast 80 Prozent mehr als im Vergleich zu 2021, als die Große Koalition unter Angela Merkel noch regierte. Der größte Teil dieser Ausgaben würde vom Ministerium von Frau Baerbock verursacht. Und diese Friseure, Visagisten und Fotografen reisen oft auch auf den Auslandsreisen der Ministerin mit und verursachen dann auch entsprechende Reisekosten. Aber auch Markus Söder (CSU) spart diesbezüglich nicht. Für seine Fotografen zahlten die Steuerzahler 2022 knapp 180.000 Euro, das ist das Zehnfache dessen, was sein Vorgänger Horst Seehofer dafür ausgeben ließ.“ „Ja, das hat wirklich etwas Feudales. Früher hatten die Könige und Fürsten ihre Hofmaler, die ihre Herrschaften vorteilhaft darzustellen hatten.“ „Das betrifft aber nicht nur die jetzt Regierenden. Das Bundeskanzleramt bezahlt laut Tagesspiegel auch noch für Frau Merkel weiterhin eine professionelle Assistentin für Kosmetik und Frisur, auch bei nichtöffentlichen Terminen.“ „Hat sie das bei einer monatlichen Rente von etwa 15.000 Euro nötig?“ „Das frag ich mich auch. Der Präsident des Steuerzahlerbundes, Reiner Holznagel, wundert sich, dass der Regierung Äußerlichkeiten so viel Geld wert sind und meint, dass es der Bevölkerung kaum zu vermitteln sei, dass sie für Visagisten und Hairstylisten von Politikern aufkommen muss.“ „Das Neu-Feudale zeigt sich auch daran, dass die Minister ihren ‚Hofstaat‘ stetig vergrößern. Die Zahl sogenannter Staatsminister und Staatssekretäre hat sich wie die Zahl der Regierungsbeamten bei der Ampelregierung deutlich vergrößert.“ „Trotz dieser beträchtlichen Zunahme der Regierungsmitarbeiter braucht man außerdem noch fast 40 ‚Beauftragte‘ für alles Mögliche. Wieso können das eigentlich nicht leitende Beamte in den zuständigen Ministerien erledigen?“ „Ja, nimm nur z. B. den Ostbeauftragten. Was soll das? Gibt es auch einen Beauftragten für das Saarland oder für Bayern? Ich brauche keinen Ostbeauftragten, bislang konnte ich ganz gut selber für mich sorgen.“
Sorgen werden bagatellisiert
„Doch trotz dieses stattlichen Beamtenhofstaates stagniert die Wirtschaft. Oder vielleicht sogar deswegen? Viele klagen über die ausufernde Bürokratie mit immer mehr Vorschriften. Aber mit der Wirtschaft scheint es bergab zu gehen. Große Betriebe wandern aus Deutschland ab, manche kleinere geben auch ganz auf. Aber unser aller Kanzler fährt durch die Lande und erklärt den Menschen, dass es doch eigentlich immer besser wird. Er interpretiert manches auch völlig anders, als es das dumme Volk tut. In einem kürzlichen Sommerinterview gab es dafür ein typisches Beispiel: Darauf angesprochen, dass sich einige Konzerne aus Deutschland teilweise zurückziehen und lieber ihr Geld im Ausland investieren, deutete er das in das Gegenteil um und meinte, dass es doch ein Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Stärke sei, wenn diese Firmen nun zusätzlich auch noch im Ausland wachsen! Auf diesen vorbereiteten Treffen bagatellisiert er die Sorgen der Menschen und wischt sie lächelnd weg. Wer verkennt hier eigentlich die Wirklichkeit?“ „Im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern von Andersen ruft wenigstens ein Kind aus der applaudierenden Masse: ‚Der Kaiser ist ja nackt!‘, aber hier?“ „Da irrst Du aber! Hier gibt es sehr viele ‚Kinder‘, die das rufen. Laut einer Anfang August veröffentlichten Umfrage ist die übergroße Mehrheit von rund 78 Prozent der Befragten des ARD-DeutschlandTrends gar nicht oder weniger zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Nur 21 Prozent waren mit der politischen Leistung der Bundesregierung zufrieden und lediglich 1 Prozent sehr zufrieden. Das Tragische aber daran ist, dass diese Unzufriedenen, immerhin ganze vier Fünftel der Bevölkerung, von der Regierung nicht zur Kenntnis genommen werden, jedenfalls nicht öffentlich, sondern man fährt weiter diesen Kurs, von dem Wirtschaftler sagen, dass er eine schleichende Deindustrialisierung bewirken würde. Der alte Henry Morgenthau, der 1944 einen Plan vorlegte, wie man Deutschland deindustrialisieren und zu einem rückständigen Agrarland machen solle, würde heute vor Freude in die Luft springen, wenn er das noch erleben würde. Doch selbst der Agrarstaat würde Not leiden, da das bäuerliche Engagement durch immer neue Vorschriften von der EU und vom Landwirtschaftsminister Özdemir stetig eingeengt wird. Doch wie früher lebt die Regierung weit oben in einem Schloss und hat keine Ahnung, was die da unten wirklich bewegt. Oder aber, was noch schlimmer wäre, sie weiß es und übergeht es mit Missachtung.“ „Dabei werden die berechtigten Sorgen der Bevölkerung sogar noch stärker werden, weil man den CO2-Preis ab 2024 von 30 auf 40 Euro erhöhen will, was für uns bedeutet, dass alles teurer wird. Die Produktion von Waren und ihr Transport, die Heizung und die Energie und vieles mehr.“ „Was für hässliche pessimistische Töne! Schließlich soll das doch alles dem hehren Ziel dienen, dass Deutschland die Welt vor dem Untergang durch eine
Klimakatastrophe errettet.“
Bürgerrat für Ernährung
Um zu zeigen, wie sehr der Regierung und unseren Politikern die Beteiligung des Volkes bei wichtigen Entscheidungen angeblich am Herzen liegt, griffen sie eine Idee der selbsternannten „Letzten Generation“ auf, die einen Klima-Gesellschaftsrat fordert und schlugen vor, einen „Bürgerrat“ zu bilden. Und brav stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages am 10. Mai einem gemeinsamen Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und der Linken zu und beschlossen die Einsetzung eines Bürgerrates zum Schwerpunkt „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“. Dieser Bürgerrat soll aus 160 ausgelosten Mitgliedern bestehen, die nach Alter, Geschlecht, regionaler Herkunft, Gemeindegröße und Bildungshintergrund fair beteiligt werden. „Zudem soll der Anteil der sich vegetarisch oder vegan ernährenden Personen an der Bevölkerung im Bürgerrat abgebildet werden“, heißt es. Gerd meinte, dass es nicht leicht sei, dabei ernst zu bleiben und wunderte sich, dass die üblichen Genderisten nicht einen „Bürger- und Bürgerinnenrat“ gefordert hätten, statt des nur maskulinen Bürgerrates. Auch könne er sich schlecht vorstellen, wie die 160 Plätze im Rat fair verteilt werden sollen, wenn man allein die von LGBT-Spezia-listen anerkannten 60 verschiedenen Geschlechter berücksichtigen würde. Amüsant findet er, dass dieser Rat über etwas höchst Privates wie die Ernährungsgewohnheiten befinden soll, in das bisher noch keine Regierung hineinregiert hat, ausgenommen verschiedene Religionsgemeinschaften. „Weißt Du“, sagte er, „wenn das ein Rat wäre, der zu politischen Fragen Stellung nimmt, über Kulturpolitik und Sprachregelung, über Migration und ähnliches, das gäbe vielleicht noch Sinn. Oder wenn sogar Volksabstimmungen eingeführt würden, noch besser. Aber Ernährung? Das ist meine Sache und ich kann das in meinem Leben ohne Räte sehr gut für mich regeln. Außerdem: Solche Räte erwecken in mir böse Assoziationen, wie Räterepublik oder ‚alle Macht den Sowjets‘. Alle diese Räte waren nie objektiv oder neutral, sondern nach kurzer Zeit immer parteipolitisch gelenkt und besetzt.“
Die Linke rückt nach links
Bei dem Stichwort „alle Macht den Sowjets“ fiel uns die Linke und ihr gegenwärtig jämmerlicher Zustand ein. Von heute aus gesehen, scheint der Zusammenschluss der PDS mit der westdeutschen WASG 2007 kein erfolgreicher Entschluss gewesen zu sein. Denn nachdem die SED sich zur PDS umbenannte, führten durchaus relativ gemäßigte Mitglieder die Partei in den bürgerlichen Parlamentarismus. Es fühlte sich teilweise auch so an, als würde sie in der Tat die Interessen der unteren Schichten des Volkes vertreten. Seit dem Zusammenschluss zu „Die Linke“ hat man den Eindruck, dass Leute in die Führung gelangen, denen Themen einer grün-radikalen, intellektuellen Schicht deutlich wichtiger sind als das, was der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung auf der Seele brennt. Nach der Wahl von Frau Wissler und Frau Hennig-Welsow schien sich der Kurs des Vorstandes zu radikalisieren und Risse zwischen dem Parteivorstand und den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linken wurden sichtbar. Frau Hennig-Welsow, ein DDR-Gewächs und zu der Gruppe Ramelow gehörig, verließ nach gut einem Jahr 2022 den Vorstand. Die Gründe, die sie dafür anführte, erscheinen nicht sehr stichhaltig. Eher hatte man den Eindruck, dass die Zusammenarbeit mit der Co-Vorsitzenden Janine Wissler zu schwierig war. Wissler gehörte zum Unterstützerkreis der trotzkistischen Organisation „Marx21“ und zur „Sozialistischen Linken“, zwei radikale, vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierungen. Aus denen trat sie zwar für den Parteivorsitz aus, aber einen Mitgliedsausweis kann man leichter abgeben als eine jahrelange Gesinnung. Die neueste Idee ist, die Kapitänin Rackete, die nicht Mitglied der Linken ist, als Zugpferd zur Europawahl aufzustellen. Das wird wohl kaum ein Erfolgsmodell für die Linke werden.
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder im Online-Shop bestellt werden.
Seite 9, Kompakt Zeitung Nr. 239