Bedeutender Knotenpunkt

Von Michael Ronshausen

Vor 150 Jahren, am 9. September 1873, wurde der Magdeburger Hauptbahnhof im Stil eines toskanischen Palazzo eröffnet. Die Strecken der Berlin-Potsdam-Magdeburger-Eisenbahn, Magdeburg-Halberstädter-Eisenbahn und Magdeburg-Leipziger-Eisenbahn wurden dort vereint. Ein Ausflug in die regionale Verkehrsgeschichte / Teil 1

Der Magdeburger Hauptbahnhof in den 1930er-Jahren

Das 19. Jahrhundert spielte bei der Entwicklung des Eisenbahnwesens auch in Deutschland eine entscheidende, aber nicht immer „richtungsweisende“ Rolle. Nach 1835 wurden in wenigen Dekaden zehntausende Kilometer Gleise verlegt und die dazugehörige Infrastruktur geschaffen. An der Spitze der gesamteuropäischen Entwicklung stand am Anfang natürlich Großbritannien, welches jedoch aufgrund der topografischen Besonderheit der eigenen Insellage schnell von den deutschen Staaten beim Eisenbahnbau überholt wurde.

 
Wie auch in England dampften bald tausende Lokomotiven durch alle Lande und verbanden nicht nur die bedeutenden Ländermetropolen, sondern auch eher unbedeutende Kleinstädte mit der großen und weiten Welt. Am Anfang dieser Entwicklung stand auch Magdeburg – in den ersten 20 Jahren noch ohne einen damals modernen Hauptbahnhof – schnell im Fokus dieser raumgreifenden Technologie und wurde zu einem bedeutenden Knotenpunkt des Eisenbahnwesens.

 
Heute ist das einstmals vorhandene Eisenbahnnetz stark geschrumpft. Die Bahnverantwortlichen konzentrieren ihre Bemühungen lieber auf die Schnellfahrstrecken zwischen den großen Städten. Regionale Bahnstrecken verschwanden und verschwinden nach wie vor. In Deutschland kam es besonders in den Neuen Bundesländern nach der Wende zu einer erheblichen Eisenbahn-Abbauwelle. Doch ganz neu ist dieses Phänomen nicht. Bereits vor 150 Jahren, 1873, wurde nahe Magdeburg ein langes Stück der von Berlin kommenden und 1847 in Betrieb gegangenen Eisenbahnlinie aufgegeben und auf veränderter Strecke neu errichtet. Zu diesem Zeitpunkt, im August 1873, wurde die neu gebaute Linienführung über die ebenfalls neue Herrenkrug-Elbbrücke an den nun bereitstehenden Magdeburger Hauptbahnhof angeschlossen.

 
Die umfangreichen Reste dieser historischen Bahnanlage liegen jedoch zu großen Teilen bis heute sichtbar in der Landschaft. Magdeburg ganz allgemein mit dem wenige Kilometer entfernten Hohenwarthe zu vergleichen, fällt schwer. Doch immerhin hätte der kleine Ort an der Elbe beinahe den gleichen Stellenwert einer multiplen Verkehrsanbindung erlangt, wie ihn sich die sachsen-anhaltische Landeshauptstadt heute auf die Fahnen schreiben kann. Die Ortschaft liegt mit einer eigenen Anschlussstelle an einer überregional bedeutenden Autobahn (wie Magdeburg ein paar Kilometer weiter westlich), an beiden Orten fließt die Elbe vorbei (in Magdeburg ein paar Kilometer weiter südlich) und noch vor dem Wechsel in den Elbe-Havel-Kanal liegen beide Orte heute unmittelbar am Mittellandkanal und sind durch diese überregional bedeutende Bundeswasserstraße miteinander verbunden.

 
Man könnte Hohenwarthe dementsprechend fast als überregionalen Knotenpunkt verschiedener Verkehrswege bezeichnen, gäbe es da nicht das Problem der fehlenden Eisenbahn. Doch genau diesen Verkehrsweg auf Schienen – mit Bahnhof und allem Drum und Dran – hat es auch in Niegripp, Hohenwarthe und Lostau einstmals für rund 25 Jahre gegeben, lange bevor jemand auch nur an Bauten wie den Mittellandkanal oder die Autobahn dachte. Um die baulichen Überbleibsel dieser historischen Verkehrsanlage in umfassender Form zu betrachten, reicht ein wenig geografisches Verständnis und ein Blick auf Google-Earth. Nord/nordöstlich von Hohenwarthe bahnt sich bis heute der gewissermaßen parallel zur Elbe verlaufende Bahndamm seinen Weg in Form eines Bogens durch die Landschaft zwischen Mittellandkanal und der Schleuse am Niegripper Verbindungskanal. Auch darüber hinaus ist der alte Eisenbahndamm 150 Jahre nach seiner aktiven Nutzung zumindest abschnittsweise noch immer deutlich erkennbar. Er endet, durch einen See und noch einmal – jetzt durch den Elbe-Havel-Kanal – unterbrochen, erst im Nordosten der Stadt Burg. Dort, von wo aus seit 1872 die Berlin-Magdeburger-Eisenbahn nach Süden weitergeführt wird.

 
Auch südlich von Hohenwarthe zeigen sich bis heute großzügige Reste der alten Eisenbahnanlage. Unmittelbar an der Elbortschaft ist der frühere Verkehrsweg zwar heute durch Mittellandkanal und Bundesautobahn unterbrochen, aber insbesondere im Weichbild von Gerwisch und auch im Ort selbst ist seine Struktur gut erhalten und oftmals auch noch sichtbar. Selbst auf kopfsteinernen Feldwegen lassen sich die ehemaligen Durchkreuzungen des Schienenweges immer noch gut erkennen. Überall neben dem ab 1873 entfernten Gleisweg finden sich auch heute noch kleinere Spuren der alten Anlage.

 
So dienen beispielsweise kurzgesägte Schienen als Zaunpfähle und als Pfosten für Brückengeländer. Bei Biederitz kreuzt die aufgegebene Strecke die moderne Bahnlinie und zwischen Biederitz und Heyrothsberge liegen noch immer Schienen auf der alten Berlin-Magdeburger-Bahn, wenn auch in anderen verkehrshistorischen Zusammenhängen. Ihren damals vorläufigen Endpunkt fand die Bahnlinie zuerst in Cracau, später dann über die Brücke über die Alte Elbe und die Hubbrücke zwischen Buckau und dem Alten Elbbahnhof. Ursprünglich der Idee unterworfen, mit dem neuen Verkehrsmittel möglichst viel Ortschaften – eben auch Hohenwarthe – anzuschließen, erwies sich insbesondere die Elbnähe und deren Hochwassergefahr schnell als ein immer wieder auftretendes Problem. Bereits vor der Gründung des neuen Kaiserreiches 1871 waren daher Fachleute zu der Überzeugung gekommen, den im Unterhalt recht aufwendigen Verkehrsweg verlegen zu müssen, was dann bis 1872 geschah. Doch damit zeigte sich auch, wie lange die Spuren eines aufgegebenen Eisenbahnpfades nach immerhin 150 Jahren erhalten und sichtbar bleiben können.

Seite 4/5, Kompakt Zeitung Nr. 240

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