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Meter 60: Jesus und die Kirche? Oder Otto und Editha?

Erzählungen aus der gotischen Kathedrale

Michael Ronshausen

Im Magdeburger Dom gibt es kunst- wie auch zeitgeschichtlich einige Fragen, die bis heute unbeantwortet geblieben sind – und die es mit hoher Sicherheit auch bleiben werden. Am bekanntesten ist der manchmal verzweifelt wirkende Versuch, eine der Skulpturen aus dem Dom zu deuten oder sie gar in persona zu identifizieren. Bei den dargestellten Figuren handelt es sich um das sogenannte gekrönte Herrscherpaar, entstanden um 1240 und seit rund 700 Jahren aufgestellt in der Sechzehneckigen Kapelle – einer Symbolisierung des Heiligen Grabes in Jerusalem. Ihren Platz finden die beiden Gekrönten seit einigen Jahrzehnten auf einem ungenutzten Nebenaltar, was wohl einem Zufall zuzuschreiben ist, denn ursprünglich war das hier beschriebene Herrscherpaar für einen repräsentativeren Ort bestimmt. Denkbar ist beispielsweise die Verwendung in einem Wimperg als zentrale Figur oberhalb einer der Domportale, möglicherweise auch gemeinsam mit einigen anderen Skulpturen aus der mittelalterlichen Zeit des 13. Jahrhunderts.


Tatsächlich ist aber auch diese Idee – trotz aller Wahrscheinlichkeit – eine Vermutung, die sich nicht beweisen lässt. Ebenso im Dunkeln bleibt die Zuordnung der Figuren. Der Gedanke, in den beiden DEN gekrönten Herrscher Jesus Christus gemeinsam mit seiner Gemahlin, der Ecclesia, also der Kirche zu sehen, würde gut in die mittelalterliche Vorstellung passen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass der Gottessohn – gemeinsam mit der ihm angetrauten Kirche – vor 800 Jahren einen anderen Stellenwert hatte als heute. Im fast ausschließlich mit christlichen Inhalten gefüllten Leben der damaligen Zeit hat Jesus die wichtigste Rolle gespielt. Erst in moderneren Zeiten entstand die Vorstellung, die beiden zueinander gehörenden Skulpturen könnten auch einen weltlichen, auf Magdeburg ausgerichteten Bezug haben. Dabei kamen für die Magdeburger nur zwei gekrönte Häupter in Betracht: König Otto, den man später den Großen nennen wird, und seine erste Ehefrau, die angelsächsische Prinzessin und ostfränkische Königin Editha. Und natürlich lag und liegt die Wunschvorstellung nahe, in den beiden die historischen Figuren unserer eigenen großen Geschichte zu erblicken.


Nachvollzieh- oder historisch belegbar ist diese Vorstellung jedoch nicht. Der Dom ist im Besitz eines der bedeutendsten Kunstwerke der damaligen mittelalterlichen Bildhauerei. Glaubhaft aufzulösen ist das Rätsel – sofern es überhaupt existiert hat – nicht mehr. Und genau genommen spielt es auch keine Rolle. Zur Symbolik: Ecclesia hält in ihrer Hand ein aufgeschlagenes Buch, welches als Attribut kaum mit der realen Figur der Königin Editha in Verbindung zu bringen ist. Auch die 19 Tonnen Gold, die Otto der Große symbolisch auf einer Scheibe oder runden Tafel vor sich herträgt, entspringen wohl einer fantasievollen Zuschreibung. Tatsächlich dürfte es sich um eine astronomische Symbolik für die zwölf Sternzeichen und die damals bekannten Planeten (im geozentrischen Weltbild, mit Sonne und Mond) handeln. 

Seite 22, Kompakt Zeitung Nr. 242

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