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Essen und Trinken – und wie man davon singt

Reinhard Szibor und Günter Szibor

Hat man früher gemeinsam Volkslieder gesungen, findet das heute kaum noch statt. Dabei finden Angebote wie Konzerte zum Mitsingen Anklang. Das Magdeburger Weihnachtssingen in der MDCC-Arena bringt sogar tausende Sangesfreudige zusammen. Dieser Artikel ist ein Plädoyer für die Pflege des Volksliedes und beleuchtet einen speziellen thematischen Aspekt.

Die Biederitzer Kantorei hat ein Kochbuch herausgegeben, in dem es Kreationen von Speisen gibt, die an den geselligen Abenden des Chores mitgebracht werden, darüber hinaus auch weitere Rezepte und Tipps, die wir zum Nachkochen beziehungsweise zum Befolgen empfehlen und darüber hinaus kurzweilige Texte.


Wie wär´s, wenn wir unser Kochbuch, ganz chorgemäß, mit ein paar Liedern zum Thema „Essen und Trinken“ auflockern? So jedenfalls war unsere Idee. Weinlieder kennen wir viele, aber Lieder zum Essen fielen uns nicht gleich ein. Ja richtig, es gibt diesen Operetten- und Schlagerschatz. Der Zigeunerbaron singt davon, dass er Borstenvieh und Schweinespeck als seinen idealen Lebenszweck erkannt hätte. Die Älteren unter uns erinnern sich auch an Gus Backus, der singend bekundete, dass er nicht nur gerne Polka tanzt, sondern auch ein Faible für Sauerkraut hätte – er und auch seine Braut, die Edeltraud. Peter Alexander besang „Salzburger Nockerln“ und „Powidltatschkerln aus der schönen Tschechoslowakei“.


Und vor vier Jahren hörte man aus aktuellem Anlass im Rundfunk immer wieder Herbert Grönemeyer mit seinem Loblied auf die Currywurst, denn die wurde angeblich am 4. September 1949 erfunden, drei Tage vor der ersten Sitzung des Deutschen Bundestages. Letzterer beschäftigt sich gegenwärtig damit, wie man den Konsum von Fleisch, also auch den von Currywürsten zurückdrängen kann. Herbert Grönemeyer wird heute sicher seine damalige Lobpreisung des Fleischkonsums bedauern, ist er doch, wenn man seiner Selbstdarstellung glauben darf, zu einem Anhänger der woken Lebensweise mutiert. Nun ist er ein bekennender Greta-Fan, was nach seinem Lied „Kinder an die Macht“ nicht verwundert. Greta Thunberg, die jugendliche Klimaaktivistin aus Schweden, die seit dem Jahr 2018 die Schlagzeilen beherrscht, ist gegen Fleisch und Currywurst – des Klimas wegen, Grönemeyer jetzt bestimmt auch.


Sei‘s drum, die Schlager- und Operettenwelt steht nicht so sehr im Fokus der Biederitzer Kantorei. Also haben wir weder den Arien aus dem Zigeunerbaron noch Grönemeyers Wurstlied in unserem Kochbuch Platz eingeräumt. Auch nicht der Lobhudelei des Vegetarischen von Peter Alexander und Gus Backus. Auf der Suche nach dem Lob des Essens im deutschen Liederschatz griffen wir zum „Zupfgeigenhansl“, dem wohl bedeutendsten Volksliederbuch aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.


Trinklieder gab es da viele, aber zum Thema Essen fanden wir nichts. Sogar der „Liederschatz der deutschen Schank- und Gastwirte“ von 1908 bot dasselbe Bild. Also mussten wir im Kommersbuch nachschauen. Es ist das bekannteste Liederbuch für den Gebrauch in der studentischen Kneipe in Deutschland. Es erschien erstmals 1858 und erreichte im Jahre 2021 seine 167. Auflage.  In seiner neuesten Ausgabe enthält es über 700 Lieder, darunter hauptsächlich Studenten- und Volkslieder. Ob wohl heutige Studenten überhaupt noch solche Lieder singen? Naja, vielleicht die Minderheit der Burschenschaften, aber die sind in der veröffentlichten Meinung „rechts“, und somit negativ beleumundet. Und dies, obwohl die Burschenschaften historisch gesehen die Demokratisierung Deutschlands entscheidend vorangetrieben haben.

 

„ca, ca geschmauset“

 

Unser Vorhaben, Lieder herauszusuchen, die sich mit dem Essen beschäftigen, hat sich als schwierige Aufgabe herausgestellt. Wir haben den deutschen Liederschatz in den genannten Volksliederbüchern nachgeschaut. Das Ergebnis war unerwartet: Kaum Esslieder! „ca, ca geschmauset“ ist da eine Ausnahme, wo es heißt „edite, bibite …”, also das Essen an erster Stelle, vor dem Trinken. Oder der 7. Vers aus dem Lied „Wo soll ich mich hinkehren“: „Steck an die Schweinenbraten, darzu die Hühner jung! (sic)“, heißt es da. Doch dann haben wir rein gar nichts mehr gefunden, dafür hunderte Lieder vom Trinken. Auch in den beiden obigen Liedern geht es eigentlich ums Trinken.


Und dabei dreht sich alles um Wein. Bier ist eine Ausnahme. Wenn überhaupt, dann ist vom Gerstensaft die Rede, vom Gerstenwein oder schäumenden Gerstengetränken oder vom steinernen Krug. Dem Bier haftet etwas Profanes an. Im deutschen Volkslied trinkt man Wein und, wenn das nicht möglich ist, Wasser aus einem „Brünnlein kalt“. Saufen tun sie in den Volks- und besonders in den Studentenliedern wie die Tümpelkröten. Da trinkt der „Zwerg Perkeo“ im Keller des Heidelberger Schlosses ein Riesenfass ganz allein aus! Essen ist nicht!


Wovon ist sonst die Rede im deutschen Volkslied? Von Liebesfreud und Liebesleid, Treue und Untreue, von der Heimat und von der Ferne, vom Vaterland, vom Kampf, vom Sterben und Tod, vom fröhlichen Jagen und von der Natur. Und hier ist es fast ausschließlich der Frühling, der Lenz, der Mai. „Der Winter ist vergangen, ich seh’ des Maien Schein“. März, April und andere Monate sind nicht gefragt. Na gut, „Im Märzen der Bauer“, „Bunt sind schon die Wälder“ und „Der Winter ist ein rechter Mann“ gehören zu den Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Aber sonst fast immer der Mai! Und die Nachtigall! Vom Wandern ist die Rede und vom Auszug aus der Heimat. „Nun leb wohl, du kleine Gasse. Nun ade du stilles Dach! Vater, Mutter sahn mir traurig und die Liebste sah mir nach“. Ob sie ihm wenigstens ein ordentliches Stullenpaket mitgegeben haben?

 

„Ich liebe den Wein, mein Mädchen vor allen”

 

Aber das Hauptthema ist die Liebe, die Liebe und das Trinken. „Ich liebe den Wein, mein Mädchen vor allen, sie tut mir allein am besten gefallen. Ich bin nicht alleine bei meinem Glas Weine, mein Mädchen dabei: die Gedanken sind frei.“ Wenn der wandernde Handwerksbursche das Essen erwähnt, dann als Unmutsäußerung: „Sie, sie, sie und sie, Frau Meistrin (sic) leb sie wohl. Ich sag´s ihr grad frei in´s Gesicht, ihr Speck und Kraut, das schmeckt mir nicht …“ Auch bei den großen Komponisten ist es nicht anders. Von Johann Sebastian Bach gibt es zum Thema Essen nur einen Negativbericht in Form eines Kanons: „Kraut und Rüben haben mich vertrieben, hätt meine Mutter Fleisch gekocht, wär ich länger blieben!“ Hätte er nicht auch mal Gänsebraten mit Rotkohl und Thüringer Klößen „bekomponieren“ können, wo er doch in Thüringen aufgewachsen ist? Oder die Thüringer Rostbratwurst? Unfassbar, dass das Musikgenie Bach die Gelegenheit, ein populäres Wurstlied zu komponieren, Herbert Grönemeyer überlassen hat. Es fehlt im Bachwerkeverzeichnis ein Lied zur Thüringer Bratwurst, ausgestattet mit der gleichen Sympathie, wie er mit „Ei, wie schmeckt der Coffee süsse” das Kaffeetrinken thematisiert oder im Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach das Tabakrauchen lobt: „So oft ich meine Tabakspfeife, mit gutem Knaster angefüllt…“.


Dabei waren die großen Musikgenies dem Essen durchaus zugetan. Von Georg Friedrich Händel ist überliefert, er hätte sich jeweils nach der Vollendung eines größeren Werkes erst mal zurückgezogen, um einer Fress- und Sauforgie zu frönen. Und von Gioacchino Rossini findet man dieses Zitat: „Ich gebe zu, dreimal in meinem Leben geweint zu haben: Als meine erste Oper durchfiel, als ich Paganini die Violine spielen hörte und als bei einem Bootspicknick ein getrüffelter Truthahn über Bord fiel.“ Die letztgenannte Tragödie hätte doch gut und gern den Stoff für eine Oper abgeben können, vergleichbar mit der Dramatik der „La Traviata“. Aber es kam nichts. Themen über‘s Essen sind eben nicht opernfähig.


Spaß beiseite und zurück zum Volkslied: Ob die Lindenwirtin, die junge, noch rechte Freude an ihrem Wanderknaben hatte, nachdem dieser Ränzel, Mantel, Hut und Wanderstab in Wein umgesetzt hatte, muss man bezweifeln. Ohne Abendbrot, versteht sich, denn bekanntlich lässt man ja (zumindest im Volkslied), wenn man „im Wirtshaus abgestiegen“ ist, „Brot und Braten liegen und greift nach dem Propfenziehr (sic)“. Wenn wirklich mal vom Essen die Rede ist, dann höchstens bei den unteren Schichten, den Vaganten zum Beispiel, „Wo soll ich mich hinkehren“. Aber selbst dort wird der Heller lieber in Wasser umgesetzt und der Batzen in Wein. Essen Fehlanzeige! Oder das Essen wird verspottet: „Was er nicht frisst, das packt er ein, das arme Dorfschulmeisterlein“ oder in dem Lied vom Schneiderfest, auf dem ihrer neunzig, neunmal neunundneunzig an einer gebackenen Maus essen. Dabei hat doch das Essen in früheren Jahren eine große Rolle gespielt. Bei Ludwig XIV. sollen wahre Fressorgien stattgefunden haben, und der war schließlich über Jahrhunderte das Vorbild für ganz Europa.

 

Der Bauer muss am Sonntag sein Huhn im Topf haben

 

Beim kleinen Mann war wohl mehr die Beschaffung des Essens ein Problem. Noch vor 50 Jahren musste man eine Stunde arbeiten, um 10 Eier oder ein halbes Stück Butter kaufen zu können. Für den gegenwärtig in Deutschland festgeschriebenen Mindestlohn von 12 Euro bekäme man im Supermarkt, wenn man denn wollte, 6 Stück Butter oder 40 Eier, für den Durchschnittsstundenlohn eines Handwerkers sogar 70 bis 80 Eier! „Der Bauer muss am Sonntag sein Huhn im Topf haben“, hat der Alte Fritz gesagt. Der Bauer! Am Sonntag! Huhn! Im Topf! Gekocht also! Wie weit haben wir uns von diesen Essgewohnheiten entfernt! An der Imbissbude kostet der halbe Broiler etwa 4 Euro. Also, gut 600 Gramm Fleisch, schon lecker gebraten, für den Arbeitslohn, den ein Mindestlohnbezieher für 20 Arbeitsminuten erhält. Der halbe Broiler gilt heute als Snack zwischendurch. Für Liederdichter war das Essen einfach kein leichtes Thema.


Bei den Kinderliedern geht das noch ganz gut: „Backe, backe Kuchen …“. Das Rezept wird bis ins Detail besungen. Den Kindern kann man eben nichts vom Wein vorsingen. Das Jagen geschieht im Volkslied um seiner selbst willen: „Ich schieß den Hirsch im wilden Forst, im tiefen Wald das Reh …“. Der Adler, obwohl nicht essbar, wird dem Wildbret gleichgestellt. Aus unserer Sicht würde sich geradezu aufdrängen, dass die weiteren Verse von gespicktem Rehrücken in Sahnesoße und Hirschkeule mit Preiselbeeren handeln. Fehlanzeige! Als weiteres Thema wird nur noch die Liebe zugelassen, in anderen Jagdliedern auch das Trinken. Es ist wie beim Tontaubenschießen: Essen spielt keine Rolle!


Eines fand sich aber doch noch: „Wenn hier en Pott mit Bohnen steit, und dor en Pott mit Bri“. Was macht man dann wohl? Man muss natürlich justament in dem Augenblick zu seiner Marie: „Denn lat ick Bri un Bohnen stahn un griep na min Marie“. Dann geht es weiter, wie in den anderen Liedern, mit der Liebe. Wieder nichts mit Essen. Mit vollem Munde liebt man nicht! Und singt auch nicht! Essen und Singen passen eben nicht zusammen! Soweit also der Bericht von der Suche nach „Essliedern“.

 

Google findet doch noch Esslieder

 

Wie schon angekündigt, zum Schluss haben wir doch noch etwas gefunden. Möglich war es hauptsächlich durch „Google“, die Suchmaschine, die alle menschliche Such-Leistungskraft millionenfach übertrifft. Aber die gefundene Sammlung „Sei mir gegrüßt, mein Sauerkraut: Gedichte und Lieder vom Essen und Trinken“, Süddeutsche Verlagsanstalt Ludwigsburg, 1984, enthielt vorwiegend Gedichte.


Und schließlich steuern andere Chormitglieder noch eine vertonte Speisekarte bei. Es geht eben doch: Essen und Singen gehören genauso zusammen wie Trinken und Singen. Vor allem in der Biederitzer Kantorei bekennen wir uns gern dazu! Wir haben schließlich an unseren geselligen Abenden schon immer erst ausgekaut und den Mund mit Wein ausgespült, bevor wir „Wir lieben sehr im Herzen drei schöne Dinge fein“ angestimmt haben. Wir müssen da nicht umdenken und wissen es eigentlich schon lange: Es sind nicht nur drei Dinge fein (Musik, ein freundlicher Anblick in Gestalt eines zarten Jungfräuleins und ein frischer, kühler Wein) sondern es sind genau genommen vier Dinge fein. Das Essen, das wieder mal im Lied nicht vorkommt, gehört nämlich dazu! Und deshalb war es sinnvoll, dass wir ein Kochbuch geschrieben haben. Es enthält neben Rezepten und unterhaltsamen Texten auch Lieder, humorvolle Tischgebete und anderes mehr. Gegen eine kleine (oder besser größere) Spende für die musikalische Arbeit kann man das „Chorkochbuch – Kulinarisches. Musikalisches. Lustiges. Christliches. Informatives – ein Gemeinschaftswerk der Biederitzer Kantorei zum 30. Jubiläum” per Mail-Anfrage erhalten: foerderkreis@biederitzerkantorei.de 

Seite 14, Kompakt Zeitung Nr. 247, 10. Januar 2024

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