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Märchen und Realität

Von Rudi Bartlitz

Fußball-Zweitligist 1. FC Magdeburg bewegt sich derzeit auf einem schmalen Grat zwischen Zuversicht und Tristesse. Ein Hoffnungsträger aus dem Nichts.

Emir Kuhinja (r.) ist die jüngste Neuverpflichtung des 1. FC Magdeburg. Im Spiel gegen Holstein Kiel rettete er drei Minuten vor Spielschluss einen Tabellenpunkt für sein Team. (Foto: 1. FCM)

Er kam, Achtung!, vom Sport- und Gesangsverein im baden-württembergischen Freiberg und ließ bei seinem Debüt die FCM-Fans gleich in höchsten Tönen tirilieren: Emir Kuhinja. Unter den 20.000 in der MDCC-Arena schien sich am letzten Wochenende bereits Tristesse ob einer erneuten Heimniederlage breitzumachen, als Trainer Christian Titz den 21-Jährigen in einem Akt letzter Verzweiflung drei Minuten vor Ultimo aufs Feld schickte. Was dann passierte, ist eines jener kleinen Wunder, die den Fußball so unvergleichbar machen. Von dem sich die Leute noch nach Jahren erzählen.

 

Mit seiner allerersten Ballberührung erzielte der Mann, der bis dato noch keine einzige Sekunde im Profifußball in seiner Vita stehen hatte, den 1:1-Ausgleich. Er stand eben zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle. Wie es sich für einen richtigen Stürmer gehört. „Das sind halt diese Fußballmärchen, die man schreibt“, meinte er hinterher. Ziemlich cool, könnte man annehmen. Es gehört zu dieser unglaublichen Geschichte aber ebenso, dass der 1,88-Meter-Mann eingestand, in der Nacht zuvor sehr schlecht geschlafen zu haben. „Irgendwann bin ich mit dem Gedanken aufgeschreckt, eingewechselt zu werden und ein Tor zu schießen.“ Märchen eben.

 

Nicht ganz so märchenhaft erscheint allerdings, was derzeit sonst so beim Magdeburger Zweitligisten passiert. Von einer „sorgenfreien Weiterentwicklung“, wie sie Sportgeschäftsführer Otmar Schork zu Saisonbeginn gewünscht hatte, ist Anfang Februar weit und breit wenig auszumachen. Im Gegenteil: Das Abstiegsgespenst geht um, zu den ganz gefährlichen Tabellenplätzen ist es nur ein Hauch. Wer das negiert, glaubt auch an das Funktionieren einer veganen Wärmepumpe …

 

Fremdwort Abstiegskampf

Obwohl, hört man die Spieler in den letzten Tagen, ist das Wort Abstiegskampf unter ihnen ein Fremdwort. „Das ist bei uns überhaupt kein Thema“, sagte Stürmer Luca Schuler gegenüber Journalisten. „Das Wort kommt bei uns überhaupt nicht vor.“ Ähnliches war von Keeper Dominik Reimann und Vizekapitän Baris Atik zu vernehmen. Wird hier die Realität verdrängt? Will man einfach nicht sehen, wie sehr man unten drinhängt? Selbst Sportgeschäftsführer Otmar Schork hatte im November das Wort Abstiegskampf in einer 40-minütigen Medienrunde nicht einmal explizit in den Mund genommen. „Wir wissen, wo wir stehen“, antwortete er seinerzeit auf eine KOMPAKT-Frage.

 

Mit nur drei Siegen aus den letzten 15 Partien sieht es wahrlich nicht berauschend aus. Kritik kommt immer wieder ob der Spielweise nach dem Titz‘schen System auf. „Sie haben sich zu lange mit eigenem Ballbesitz berauscht, ohne tatsächlich gefährlich zu werden“, brachte es Sky-Kommentator Markus Gaupp auf den Punkt. Club-Legende Axel Tyll beschrieb es in seiner „Volksstimme“-Kolumne schmerzlos so: „Ballbesitz schießt keine Tore.“ Es fällt zudem ins Auge, dass das Gros der FCM-Akteure in der individuellen Klasse hinter vielen Konkurrenten herhinkt. Nun mag über den absoluten Aussagewert von Ranglisten zu streiten sein, ein Fingerzeig sind sie allemal. Und da schneidet Magdeburg im Winter-Ranking des Fachmagazins „Kicker“ nicht unbedingt blendend ab. Um die 100 Spieler sind gelistet, nur fünf Blau-Weiße (Piccini, Bockhorn, Gnaka, Atik, Ceka) schafften es in den illustren Kreis. Sogar nur einer, Bockhorn, taucht in die Kategorie „herausragend“ auf, die anderen unter „auffällig“. Bei drei der insgesamt sieben Positionen, die der „Kicker“ bewertete, steht beim FCM sogar ein Strich – im Tor, im offensiven Mittelfeld und im Sturm.

 

Ein Hoch ist gefragt

Nach Kiel kommen jetzt weitere richtige Riesen – zumindest den Namen nach – in den nächsten Wochen. Erst der souveräne Spitzenreiter St. Pauli, dann die früheren Bundesliga-Dinos Hertha BSC und Schalke 04. Da wird sich zeigen, ob den Blau-Weißen ein ähnliches Hoch gelingt wie vor Jahresfrist, als mit einem wahren Parforceritt vorzeitig der Klassenerhalt gelang. Der stand drei Tage vor Saisonschluss fest. Endplatzierung: Elfter.

 

Aber auch jenseits des Rasens gab es dieser Tage Turbulenzen. Quasi über Nacht wurde der kaufmännische Geschäftsführer Alexander Wahlen gefeuert. „Mit sofortiger Wirkung“, wie es hieß. Dabei hatte der Geschasste sich noch Ende 23 stolz in die Brust geworfen, von einer guten wirtschaftlichen Entwicklung des Vereins gesprochen und, immerhin, einen Gewinn von knapp zwei Millionen Euro im zurückliegenden Geschäftsjahr verkündet. Andererseits: Ganz so überraschend kam der Abgang wiederum nicht. Bereits mehrfach war in den zurückliegenden Monaten hinter vorgehaltener Hand getuschelt worden, in den Leitungsgremien sei man mit der Arbeitsweise Wahlers keineswegs zufrieden. Das soll vor allem den Umgang mit Sponsoren betroffen haben.

 

Bedarf an den Außenbahnen

Selbst wenn der FCM bereits mit Ex-Torhüter Martin Geisthardt ab März einen Wahler-Nachfolger verpflichtet hat, bedeutet dies in der Praxis, auf Schork kommen gezwungenermaßen zusätzliche Aufgaben zu. Und das in einer Zeit im Frühjahr, wo überall das Basteln an neuen Kadern in vollem Gange ist. Wie kompliziert dies sein kann, hat sich gerade erst in der Winter-Transferperiode gezeigt. Auf den beiden Außenbahnen in der Abwehr, wo der Bedarf mit am dringendsten ist, kam es zu keiner Neuverpflichtung. Die Unterschrift des Offensivmannes Kuhinja unter einen FCM-Vertrag – als Unterstützung der oft verletzt fehlenden Schuler und Luc Castaignos – sollte also durchaus als hoffnungsvolles Signal gesehen werden. Wenn es erlaubt ist, ein kleiner Rat an den Club: Sorgt dafür, dass Kuhinja, siehe oben, weiter (schlecht) träumt …

 

Zum Heimspiel des 1. FC Magdeburg gegen den FC St. Pauli gibt es wieder eine Ausgabe von MATCHDAY.

Seite 40, Kompakt Zeitung Nr. 249

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