Das ist der Gipfel
Rudi Bartlitz
In der Handball-Bundesliga können der SC Magdeburg und die Füchse Berlin die Meisterschaft diesmal unter sich ausmachen. Am 10. März kommt es in der Getec-Arena zum Aufeinandertreffen der beiden Erzrivalen.
In Handball-Magdeburg, und drumherum natürlich genauso, gibt es seit Wochen nur noch ein richtiges Gesprächsthema: das bevorstehende Duell zwischen dem SCM und den Berliner Füchsen. Da kam zuletzt selbst das Champions-League-Highlight gegen den FC Barcelona kaum heran – so außergewöhnlich hochklassige sportliche Kost es zweifellos bot. Und selbst wenn in diesem Duell das Beste zu sehen war, was diese Sportart in Europa derzeit zu bieten hat, der aktuelle Titelträger auf den Rekordsieger des kontinentalen Meisterwettbewerbs traf. Nein, darauf bestehen die Fans, das Duell mit dem Erzrivalen aus der Hauptstadt, das ist das Maß der Dinge.
Warum das so ist, darüber muss, bei aller seit Jahren ohnehin schwelenden „Sport-Feindschaft“ beider Klubs, nicht lange gerätselt werden: Weil sich am 10. März in der Getec-Arena die deutsche Meisterschaft 2024 entscheiden kann. Weil dann der Tabellenführer aus Berlin auf den Zweitplatzierten trifft, der nur einen Minuszähler zurückliegt. Weil es dann der Verlierer nicht mehr in der Hand hat, aus eigener Kraft den Gipfel zu erklimmen; es sei denn, der andere lässt anderswo noch Federn. Was in einer Liga, in der in diesem Jahr das Wort Ausgeglichenheit in noch einmal neue Höhen getrieben wird, nicht als ausgeschlossen anzusehen ist. In einer Liga zudem, die in den zurückliegenden Monaten jedenfalls ihrem eigenen Anspruch, die beste der Welt zu sein, mehr als gerecht geworden ist.
„Ich finde, die Liga ist unglaublich stark geworden – und sehr ausgeglichen”, sieht es Kiels Kapitän Patrick Wiencek, der mit dem Rekordmeister aller Voraussicht nach diesmal nicht mehr in den Titelkampf wird eingreifen können. Sein THW musste unter anderem schon in Leipzig und Hannover Punkte lassen – und daheim gegen den SCM. „Wir haben uns das alle anders vorgestellt, aber so ist es im Sport. Bis auf Berlin und Magdeburg haben schon alle Topmannschaften überraschend viele Punkte auf der Saldo-Seite.”
Richtig, so spannend wie in Deutschland geht es in keiner anderen Liga der Welt zu. In der französischen Star-Ligue sieht derzeit alles danach aus, dass Paris St. Germain zum zehnten Mal in Folge Meister wird. Auch in der Liga Asobal in Spanien führt seit 2011 kein Weg am FC Barcelona vorbei. In der Bundesliga jedoch gab es allein in den letzten sieben Jahren vier verschiedene Meister (Kiel, Flensburg, Rhein-Neckar Löwen, SCM).
2024 sieht es nun also nach einem Wettstreit zwischen Magdeburgern und Berlinern aus. Für die Füchse wäre es die erste Meisterschaft in ihrer Chronik überhaupt. Entsprechend wirft man sich ins Zeug. Da wird alle Zurückhaltung, die sich die Hauptstädter in den letzten Jahren – zumindest nach außen hin – auferlegten, abgeworfen. „Wir haben eine gute Mischung aus jung und erfahren, aus Weltstars und Teamplayern“, betont Trainer Jaron Siewert. „Wir haben keine Hypothek eines schlechten Saisonstarts und sind bisher super durchgekommen. Das macht uns aus.“ Gegenüber dem SCM haben die Füchse das vermeintlich schwerere Restprogramm. Vor allem die Auftritte gegen Kiel und in Hannover können zu Stolpersteinen werden. Doch mit üppigem Vorsprung vor Flensburg und dem THW ist zumindest der zweite Platz mit der Teilnahme an der Champions League so gut wie sicher – und damit auch beträchtliche Einnahmen, die den Füchsen mehr finanzielle Beinfreiheit liefern würden.
Und noch etwas anderes charakterisiert die Füchse: Sie sind dabei, den schnellen SCM-Handball zu adaptieren. Andere würden vielleicht sagen: zu kopieren. Mit dem Dänen Mathias Gidsel, für viele der derzeit beste Handballer der Welt, weiß man dafür einen echten Diamanten in seinen Reihen. „Er ist unser X-Faktor“ schwärmt Manager Bob Hanning. „Die Achse mit ihm und Nils (Lichtlein, d. Red.) und ihrer Geschwindigkeit funktioniert unheimlich.“ Dennoch hält Siewert hohe Stücke auf den Kontrahenten: „Er spielt super Handball. Sie machen mit der Breite im Kader viel wett. Da stimmen die Abläufe, und sie haben es nun schon über Jahre sehr gut gemacht.“
In den Reihen des SCM hingegen war der Bundesliga-Gipfel in der vergangenen Woche noch so etwas wie ein Tabu-Thema, ganz weit weg. „Da können wir noch nicht dran denken, noch gar nicht“, erklärte Wiegert. „Wir haben erstmal noch zwei Champions-League-Spiele vor der Brust.” Das erste wurde beim 29:28 gegen Barcelona inzwischen genauso erfolgreich gemeistert wie das schwere Liga-Auswärtsspiel beim VfL Gummersbach (38:30). Der Reisestress nimmt unterdessen kein Ende: Am Donnerstag geht es in der Champions League beim ungarischen Star-Ensemble MKB Veszprem um den direkten Einzug ins Viertelfinale dieses Wettbewerbs, bevor dann die Füchse in der Getec-Arena aufkreuzen. „Jedes Spiel“, bemerkte Rechtsaußen Tim Hornke lapidar, „ist für uns jetzt ein Endspiel.“
Blieb es seitens der Kombattanten (von den 33 Liga-Begegnungen bisher gewannen die Füchse immerhin 19) bisher erstaunlich ruhig, sorgte die in den Medien allgegenwärtige Handball-Legende Stefan Kretzschmar zumindest für kleine Scharmützel rund um den Handball-Gipfel am 10. März. Mehrfach brachte er, im Hauptamt Sportvorstand der Füchse (!), Magdeburgs Erfolgs-Coach Wiegert als neuen Bundestrainer ins Gespräch. Das stieß vielen in der hiesigen Ballwerfer-Gemeinde recht sauer auf. Vermuteten sie dahinter doch eine Kabale des einstigen SCM-Akteurs. Motto: Das bringt vor dem Ost- Derby vielleicht die eine oder andere Unsicherheit in die Reihen der Elbestädter. Die Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten. Schlagen wir doch, schrieb einer in einem Leserbrief an seine Regionalzeitung, einfach Füchse-Coach Siewert als neuen Bundestrainer vor. Es geht doch …
Seite 34, Kompakt Zeitung Nr. 251, 5. März 2024