Suche

Tickethotline 0391 79294310

KM_LOGO_rb_100px

Die Anfänge sozialer Arbeit:
Ein historischer Überblick

Elisa Wiegmann

Im Jahr 2022 arbeiteten deutschlandweit 444.000 erwerbstätige Personen, deren Anforderungsprofil einer akademischen Ausbildung entspricht, im Bereich der Sozialen Arbeit, Sozialpädagogik oder Sozialberatung. 116.000 Studierende waren im Wintersemester 2021/22 für einen Studiengang im sozialen Bereich eingeschrieben. Das waren sieben Prozent mehr als im Vorjahr und gleichzeitig so viele wie nie zuvor. Diese Zahlen gingen aus den Ergebnissen des Mikrozensus im Jahr 2022 hervor. Seit Jahren steigt die Zahl der Menschen, die in einem sozialen Beruf tätig sind, vor allem bedingt durch den demografischen Wandel und die zunehmende Fluchtmigration. Doch wie sahen die Anfänge unseres heute so weitreichenden sozialen Systems aus? Auf welche Hilfe konnten sich unsere Vorfahren schon vor einigen Jahrhunderten verlassen? Im folgenden Artikel werden wir uns auf eine Zeitreise begeben, die bereits im Mittelalter beginnt, um ebenjene Fragen zu beantworten.


Wir Menschen sind soziale Wesen, was bedeutet, dass wir schon immer auf die Hilfe unserer Mitmenschen angewiesen waren und im Gegenzug diesen unsere Unterstützung anboten. Doch dies geschah vor allem im privaten Kreis der Familie und Nachbarn. Krankenhäuser oder Kindergärten, wie wir sie heute kennen, gab es nicht. Dennoch entstanden die ersten sozialen Institutionen schon im Mittelalter. Dabei handelte es sich vor allem um Klöster, Findelhäuser und städtische Spitäler, die kranken, armen, alten, schwangeren, reisenden Menschen etc. Unterkunft, Verpflegung und geistliche Betreuung boten. Die medizinische Versorgung stand hierbei normalerweise nicht im Vordergrund.


Auch Waisenhäuser gab es bereits seit dem Mittelalter, doch obwohl die Kinder dort wenigstens ein Dach über dem Kopf hatten, litten sie teilweise sehr. Der Autor Jürgen Kuczynski erwähnt in seinem Werk „Geschichte des Alltags des deutschen Volkes 2“ das 1710 gegründete Stuttgarter Waisenhaus, in dem mit den dort lebenden Kindern unter schrecklichsten Bedingungen eine Baumwollspinnerei betrieben wurde. Hunger, Überanstrengung, Strafen und sogar Tod und Folter machten dieses Waisenhaus zu einem höchst gefürchteten Ort.


Eine Schulbildung stand nur den oberen sozialen Schichten zur Verfügung und auch als in Preußen im Jahr 1717 die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde, war es noch ein langer Weg, bis die Kinder tatsächlich regelmäßig die Schule besuchen konnten, statt wie bisher ihren Eltern in der Landwirtschaft zu helfen. So berichtet Kuczynski, dass es noch 1736 in vielen preußischen Dörfern keine Schulen gab und 1784 in einigen Bezirken Westpreußens weniger als ein Prozent der Kinder in die Winterschule gingen, von der Sommerschule ganz zu schweigen.


Von großer Relevanz waren hingegen die vielen Armenhäuser, die seit dem späten Mittelalter ins Leben gerufen worden waren, um bedürftigen Menschen Verpflegung und Unterkunft zu bieten. Doch bereits zu dieser Zeit fand durch den spanischen Humanisten und Philosophen Juan Luis Vives eine Unterteilung in sogenannte „würdige“ und „unwürdige“ Arme statt, die dazu führte, dass die „unwürdigen Armen“, darunter suchtkranke Personen oder Prostituierte, in Arbeits- und Zuchthäusern untergebracht wurden. Nicht nur dort, sondern in den meisten der damaligen Institutionen, wurden die Bewohner neben der materiellen Versorgung jedoch auch unter dem Begriff der „Erziehung“ diszipliniert, unterworfen und kontrolliert.


Die Kirche spielte mit ihrer Mahnung zum Almosengeben keine unerhebliche Rolle im Umgang mit den hilfsbedürftigen Menschen. Da diese Wohltätigkeit als etwas sehr Lobenswertes betrachtet wurde, versorgten Herrscher und Feudalherren an ihren Höfen viele Bettler mit Geld, Nahrung und Unterkunft. Das führte sogar dazu, dass in Zunft- und Stadtordnungen „Bestimmungen über die Fürsorge für Bettler“ Einzug fanden. Zudem führte der englisch-französische Krieg durch eine erschwerte Getreideeinfuhr, steigende Preise und Missernten zwischen 1796 und 1798 zur Errichtung zahlreicher Suppenanstalten. Diese verbreiteten sich schnell in ganz Europa und stellten spezielle Armensuppen mit wenigen Kalorien und Vitaminen zur Verfügung. Des Weiteren konnten Personen, die wenig Geld besaßen, im November 1800 auf Anordnung Friedrich Wilhelm III. Kommissbrot zum halben Marktpreis kaufen.


Doch im Laufe des 18. Jahrhunderts breitete sich die Ablehnung gegenüber Bettlern immer stärker aus. Denn je größer die Anzahl der Bettler, bedingt durch das enorme Gesamtwachstum der Gesellschaft, anstieg, desto mehr wurden sie mit Vagabunden oder Verbrechern gleichgesetzt und verachtet. Verstärkt wurde die breite Armut noch, indem trotz steigender Preise und zunehmender Geldentwertung die Löhne kaum oder viel zu verspätet angepasst und bei Krankheitsfällen gar nicht erst ausgezahlt wurden.


Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden grundlegende soziale Neuerungen in Folge der Sozialen Frage umgesetzt. Arbeitsschutz, Kranken- und Altenversicherung, eine Betreuung der Arbeiterkinder, bessere Bildungschancen für die Unterschichten oder die Gründung wirtschaftlicher Selbsthilfevereine, Rettungshäuser und Pflegeanstalten sind nur einige der Beispiele für neue Lösungsansätze. Diese endeten nicht alle erfolgreich, doch im Laufe der Zeit wurden sie immer weiter ausgebaut und sind damit die Grundlage heutiger sozialer Arbeit und Absicherungen.


Krankenkassen und moderne Krankenhäuser, eine verbindliche Schulpflicht, Altenpflege oder Flüchtlingshilfe sorgen heute für eine weitaus bessere Lebensqualität und vor allem größere Sicherheit, als es früher der Fall war. Seit dem Mittelalter hat sich unser soziales System in Deutschland sehr zum Positiven gewandelt, aber durch die noch immer wachsenden Bevölkerungszahlen und vielen neuen Herausforderungen muss es damals wie heute stetig ausgebaut, verbessert und angepasst werden.

Seite 20, Kompakt Zeitung Nr. 251, 6. März

Schlagzeilen

Aktuelle Ausgabe

Edit Template

Über uns

KOMPAKT MEDIA als Printmedium mit über 30.000 Exemplaren sowie Magazinen, Büchern, Kalendern, Online-Seiten und Social Media. Monatlich erreichen wir mit unseren verbreiteten Inhalten in den zweimal pro Monat erscheinenden Zeitungen sowie mit der Reichweite unserer Internet-Kanäle mehr als 420.000 Nutzer.