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Gedanken- und Spaziergänge im Park: Nachdenklichkeit braucht Courage

Paul F. Gaudi

Unser Freund Matthias machte eine kritische Anmerkung zu dem letzten Spaziergang und dem Rezitieren des Osterspaziergangs aus Faust. Er meinte zu Recht, dass in der heutigen kritischen Situation die paar Zeilen davor auch mitzitiert werden sollten, nämlich die, wo ein Bürger sagt: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten; dann kehrt man abends froh nach Haus und segnet Fried und Friedenszeiten.“ Ich muss ihm recht geben, besonders wenn ich an die Bundestagsdebatte vom 14. März zur eventuellen Taurus-Lieferung an die Ukraine denke. Fast alle Redner lieferten lautstarke Kriegsrhetorik, auch die Redner der Grünen, von denen die meisten interessanterweise den Wehrdienst verweigert hatten! Von all den Reden fiel uns nur eine auf, die aus dem Rahmen fiel. Es war die Rede von Rolf Mützenich (SPD), der als einziger eine nachdenkliche und kluge Ansprache an die Parlamentarier hielt. Unter anderem sagte er, dass man darüber nachdenken solle, wie sich der Krieg in der Ukraine „einfrieren“ ließe, um dann später vielleicht Frieden schließen zu können.

 

Wohlgemerkt: Er sagte nicht, dass man den Krieg sofort einfrieren müsse, sondern nur, dass man darüber nachdenken sollte, wie man ihn einfrieren könnte. Da brach ein Donnerwetter über ihm zusammen, veranstaltet von Parlamentariern der Grünen, der FDP, der CDU und sogar von den eigenen SPD-Genossen! Als Zuschauer dieser Sitzung fragt man sich, wie das sein kann, dass man nicht einmal über die Möglichkeiten eines Waffenstillstandes, denn das soll das „einfrieren“ wohl bedeuten, laut nachdenken darf, ohne dafür getadelt zu werden. Besonders empört zeigte sich auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, die FDP-Abgeordnete Strack-Zimmermann, die als lautstarke Kriegsbefürworterin in Erscheinung trat. Schon vorher stimmte sie als einzige Abgeordnete der Koalition für einen Antrag der Unionsfraktion, der Ukraine die Marschflugkörper vom Typ Taurus zu liefern.


Frau Strack-Zimmermann ist auch die Spitzenkandidatin der FDP für die kommende Europawahl. Dafür plakatiert sie sich mit einem Porträt auf dem steht „Oma Courage“! Das soll wohl ihre Durchsetzungsfähigkeit und ihre Tapferkeit darstellen. Vielen wird dabei natürlich das Theaterstück von Bertolt Brecht „Mutter Courage und ihre Kinder“ einfallen und dann fragt man sich, ob Frau Strack-Zimmermann dieses Drama kennt? Denn im Gegensatz zu ihren markigen Worten ist das ein Antikriegsdrama. Es spielt im dreißigjährigen Krieg und die Mutter Courage ist, wie auch Frau Strack-Zimmermann, zuerst eine eifrige Verfechterin des Krieges, der für sie als Marketenderin die Basis ihrer Geschäfte ist. Mutter Courage ist eine Kriegsgewinnlerin, bis im Verlauf des Stückes ihre drei Kinder getötet werden. Es ist zu bezweifeln, dass Frau Strack-Zimmermann sich wirklich mit dieser Figur identifizieren möchte. Vielleicht brauchte sie einen beleseneren Werbefachmann für ihren Wahlkampf? Was den Ausgang des Krieges in der Ukraine betrifft, ist Gerd sehr skeptisch. Nicht, dass er Putin einen Sieg gönnt. Ganz gewiss nicht, denn er hält Putin für einen skrupellosen und machtgierigen Diktator.

 

Aber das Problem sind die ungleichen Kräfte. Mögen die anderen europäischen Staaten der Ukraine noch so viel Munition und Waffen liefern, entscheidend sind letztendlich die Menschen. Denn wenn der letzte ukrainische Soldat schwer verwundet oder tot ist, dann kann Russland immer noch Hunderttausende gegen die Ukraine marschieren lassen. Es gilt immer noch die jahrhundertealte Regel, dass ein Krieg erst gewonnen ist, wenn der Infanterist seinen Fuß auf das feindliche Gebiet setzt. Allein von der Zahl seiner Soldaten ist Russland der Ukraine weit überlegen. Um dieses Minus auszugleichen, müssten Soldaten der NATO eingesetzt werden. „Und was das bedeutet“, schloss Gerd seine Argumentation, „weißt du auch. Das wäre der Weltkrieg, den sicher kein europäisches Land möchte.“ Dazu konnte ich nur traurig nicken. Denn der nächste Weltkrieg wäre mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Atomkrieg und Europas Untergang. Die Überlegungen von Rolf Mützenich sind ein Versuch, eine Lösung zu finden, von der jetzt noch keiner wissen kann, wie sie aussieht. Gefragt sind jetzt Diplomaten, auch Politiker der vergangenen Jahre, die vielleicht immer noch persönliche Verbindungen nach Moskau haben. Warum nicht auch Frau Merkel, die doch ganz gut mit Putin auskam. Oder unser Bundespräsident, der als Außenminister den russischen Außenminister Lawrow des Öfteren traf und sich gut mit ihm verstand, wenn man den Aufnahmen aus dieser Zeit Glauben schenken will. Gerd hielt es für einen Fehler, dass Steinmeier Putin nicht zu seiner Wiederwahl gratuliert hat. Er hält das für undiplomatisch. „Weißt du“, sagte er, „man kann Gratulationen auch so formulieren, dass dabei kritische Wünsche an den Beglückwünschten geäußert werden, was er eigentlich anders machen sollte. Als ehemaliger Diplomat weiß unser Bundespräsident so was doch.“ Dem konnte ich nur zustimmen und erinnerte, dass unser Präsident vor fünf Jahren der Führung in Teheran zum 40. Jahrestag der Machtergreifung durch die Ajatollahs  „herzliche Glückwünsche“ „auch im Namen meiner Landsleute“ übermittelt hatte. Und das an eine radikal-islamistische Diktatur, die Andersdenkende brutal unterdrückt und extrem israelfeindlich ist. „Also in meinem Namen hat er das jedenfalls nicht getan“, kommentierte Gerd trocken.

 

Kritisches Manifest zu ARD & ZDF

 

Auch die Landtagswahlen im Herbst werfen ihre Schatten voraus, besonders in Thüringen. Dort hat die Linke zu befürchten, dass ihr Ministerpräsident Bodo Ramelow abgewählt wird. So zeigt er sich anderen Parteien gegenüber sehr versöhnlich, indem er in einem Interview sagte: „Ich kämpfe nicht gegen irgendeine andere Partei. Wir stehen gemeinsam für die Demokratie und gegen Faschismus.“ Dabei wurde er auf einer Tagung in Erfurt auch von dem Linken-Chef Schirdewan unterstützt, der eine Koalition seiner Partei mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht oder auch der CDU in Thüringen nicht ausschließt: „Alle demokratischen Kräfte müssen in der Lage sein, miteinander zu reden, wenn es darum geht, den Aufstieg des Faschismus zu verhindern.“ Gerd erinnerte diese Zusammenhalts-Rhetorik an Kaiser Wilhelm II, der vor 110 Jahren zu Beginn des Ersten Weltkrieges erklärte: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Der Kampf gegen den Faschismus scheint immer eine wohlfeile Begründung zu sein, wie damals 1961 durch die SED für den Bau des „antifaschistischen Schutzwalls“ oder für den Überfall auf die Ukraine durch Putin vor über zwei Jahren.


Gegen ein falsches Einheitsdenken und eine zu geringe Berücksichtigung regierungskritischer Meinungen in den öffentlichen Medien wendete sich kürzlich ein Manifest von Mitarbeitern der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios. Die Unterzeichner konstatieren ein Abnehmen des Vertrauens der Bevölkerung gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen und fordern mehr Meinungs- und Informationsvielfalt, Ausgewogenheit, Fairness und Unabhängigkeit. Statt seinen Mitgliedern beizustehen, kritisierte ausgerechnet der Journalistenverband (DJV) das Manifest. Er stellte fest, dass einige der Unterzeichner bereits im Ruhestand oder kurz davor wären. Aber das ist wohl kein Wunder, denn daher haben sie kaum noch negative Folgen wegen ihrer Unterschrift zu befürchten. Ferner bemängelte der DJV, dass 30 Unterzeichner anonym bleiben wollten, aber ihre Unterschrift bei einem Notariat hinterlegt hätten. Das ist aber ebenfalls verständlich, denn diese Mitarbeiter könnten Nachteile bis hin zu einer eventuellen Kündigung befürchten. Interessant ist aber, dass der DJV früher, nämlich 2020, die politische Einseitigkeit bei einer Untersuchung von Volontären der ARD selbst festgestellt hatte. Auf die Frage nach ihrer politischen Präferenz gaben 57,1 Prozent der Volontäre die Grünen an, 23,4 Prozent die Linke und 11,7 Prozent die SPD. CDU und FDP mit zusammen nur 3,9 Prozent fielen unter ferner liefen! Also eine politische Einstellung, die völlig im Gegensatz zu den Wahlergebnissen der Bevölkerung steht. Nun könnte man einwenden, dass ja nur Volontäre befragt wurden. Das stimmt, repräsentativ ist es vielleicht nicht. Aber diese Volontäre werden von den Redakteuren und Mitarbeitern ausgesucht und ausgebildet, so dass man wohl gewisse Übereinstimmungen in den Standpunkten vermuten kann. Die Zeitung „Die Welt“ schrieb zu dieser Untersuchung am 8. November 2020: „Wenn die ARD so weitermacht, herrscht in deren Redaktionen bald eine Vielfalt wie beim chinesischen Volkskongress.“  Diese Prognose finden wir sehr übertrieben, doch Ansätze zum eintönigen Chorgesang sind heute kaum zu übersehen oder zu überhören.


Ein weiteres Unwetter scheint am politischen Horizont zu drohen: Die über 2.000 Seiten starken Protokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI), die auf Grund der Klage des Onlinemagazins Multipolar herausgegeben wurden, sind teilweise geschwärzt, wie z. B. der Anlass, dass die Risikoeinschätzung der Coronapandemie von einem Tag auf den anderen von „mäßig“ auf „hoch“ geändert wurde, mit all den bekannten einschneidenden Folgen für die Bürger und das gesellschaftliche Zusammenleben. Wir sind gespannt, was da zum Vorschein kommen wird.


„Aber weißt du, woran man im April auch denken sollte“, sagte Gerd zum Abschied, „am 3. April 1989, also vor 35 Jahren, informierte der Stabschef der NVA, General Streletz, dass Honecker den Schießbefehl an der Grenze aufgehoben habe. Und im gleichen Jahr gab es ab 22. April in Peking riesige Demonstrationen von Studenten für Demokratie und Pressefreiheit. Du weißt ja, wie das sechs Wochen später endete.“



Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Teil III erscheint in Kürze. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.

 

Seite 8, Kompakt Zeitung Nr. 253, 10. April 2024

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