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SPD: Wie grün wird’s noch?

Von Prof. Dr. Markus Karp

Die grüne Kanzlerschaft, die Ablösung der alten Tante SPD als führender Partei im linken Lager scheint seit eineinhalb Jahrzehnten immer mal wieder Gestalt anzunehmen: Rund um Angela Merkels Atomausstieg, im Abendrot der letzten großen Koalition, 2022: Schon des Öfteren war die politische Fantasie angeregt, sich dieses Szenario auszumalen. Wie beim Flug des Ikarus folgt aber auf die Umfrage- und Wahlergebnisrekorde stets ein ernüchternder Niedergang. Die Grünen erreichen ein ums andere Mal beinahe die nötige Flughöhe einer Volkspartei, können sie aber nicht halten. Woran mag das liegen?

Eine kürzlich erschienene Analyse in der im grünen Milieu gut orientierten Tageszeitung „TAZ“ benennt die Gründe ziemlich schonungslos: Um das aus grüner Sicht klimapolitisch Notwendige zu erreichen, habe die Mittelschicht zu verzichten. Die derzeitige Wohnfläche pro Kopf, mit dem Auto zur Arbeit pendeln, Urlaubsreisen: Alles Merkmale eines „Lebens im Luxus“, Schlussfolgerung: „Verzichten muss die Mittelschicht“. Die Autorin, Heike Holdinghausen, erkennt aber auch, dass der erhebliche Widerstand, welchen die Durchsetzung dieser Ziele nach sich ziehen wird, durch die Grünen allein nicht überwunden werden wird. „Die Partei stützt sich auf eine relativ kleine Öko-Klientel, mehrheitsfähig war ihr Programm nie, und das wird es auch nicht.“ Die Lösung sieht sie darin, dass die gesellschaftlich breiter verankerte Sozialdemokratie sich diese Agenda zu eigen macht und durchsetzt.

 
Aber ist der Rat gut, dass die SPD die gleichen Ziele wie die Grünen absolut setzt, indem sie sie über allen anderen priorisiert? Dass es so funktionieren könnte, diesen Absichten zum endgültigen Durchbruch zu verhelfen, ist ein Trugschluss. Eine Partei kann ja nicht allein deswegen beliebige politische Ziele durchsetzen, weil sie in der bundesdeutschen Gesellschaft breit verankert ist. Vielmehr ist die SPD noch immer in so vielen Milieus daheim und geographisch nahezu überall im Land politisch relevant, weil die sozialdemokratische Idee so attraktiv und anschlussfähig ist. Einseitig grüne Ziele über diese Idee zu erheben, ist damit nicht zu vereinbaren. Eine erfolgreiche Partei, insbesondere eine Volkspartei, spiegelt mehr oder weniger mehrheitsfähige Positionen, kann aber nicht qua Eigengewicht die Wünsche einer Minderheit allen verordnen, so einflussreich diese Minderheit auch sein mag. Das wäre eher ein Himmelfahrtskommando, welches mit der Preisgabe des Volksparteianspruchs verbunden wäre.

 
Ebendieser Anspruch ist noch immer gut unterfüttert: Sozialdemokratische Politik war in der Vergangenheit so erfolgreich, dass in der Politikwissenschaft seit Jahrzehnten die These von der Sozialdemokratisierung der Gesellschaft zirkuliert. Damit untrennbar verbunden ist eine ganze Reihe von Konstanten sozialdemokratischer Politik. Klassisch ist die Idee, Umverteilungsspielräume durch Wachstum zu eröffnen. Eine staatlich initiierte Dauerrezession verträgt sich damit gleich Null, auch wenn sie euphemistisch als „Verzicht“ verbrämt wird. Breiten Bevölkerungsschichten soll Teilhabe am Wohlstand ermöglicht, Ungleichheit abgemildert werden. Wenn Holdinghausen kühl feststellt, dass „die richtig Reichen [.] sich Klimaschutz ohne Einbuße leisten“ können, während die anderen den Gürtel enger zu schnallen haben, bedeutet das nichts weiter als ein Anwachsen der Ungleichheit. Mit sozialdemokratischer Politik ist das nicht kompatibel.


Die große historische Rolle der SPD ist auch untrennbar mit dem Bemühen um Reformen, Konsens und das Erringen demokratischer Mehrheiten verbunden. Ein Klassenkampf von unten steht dazu genauso in Widerspruch wie einer von oben, der klimapolitische Lösungen darin sieht, durch Verbote und gezielte Verteuerung den Zugang zum Wohlstand für viele wieder zurückzubauen. Die sozialdemokratische Wählerschaft erwartet sich daher demgegenüber maßvolle Ziele und einen Ausgleich der Interessen. Auch der Umwelt- und Klimaschutz kann sich dabei auf breite Zustimmung stützen. Der Himmel über dem Ruhrgebiet soll blau bleiben. Aber es ist nicht möglich, politisches Handeln auf dieses Ziel zu reduzieren. Die SPD muss viel mehr Milieus mitnehmen als die Grünen mit ihrer homogeneren Anhängerschaft. Denn dass beispielsweise auch Geringverdiener, Eckrentner und Studenten Zugriff auf Individualmobilität haben, weil sich in der nivellierten Mittelstandsgesellschaft der Bundesrepublik die meisten, die es wollen, ein Auto leisten können, ist nicht nur ein beklagenswertes Unglück, sondern auch soziale Errungenschaft und buchstäblich erfahrbares grundgesetzliches Freiheitsversprechen. Das gilt auch für Ernährung, Konsum, Reisen und Wohnen: Was in diesen Bereichen immer häufiger als klimaschädlich gebrandmarkt wird, ist vielen Menschen ein hart erarbeiteter Wohlstand, der nicht per Ukas weggenommen werden kann, ohne diese Menschen vom demokratischen Gemeinwesen zu entfremden.

 
Dass die SPD also ihre eigenen Inhalte mit grüner Programmatik überwölben und dieser unterordnen soll, ist parteipolitisch ein vergifteter Rat. Die Sozialdemokratie muss nicht noch grüner werden, um Erfolg zu haben. Auch für die repräsentative Demokratie wäre es ein immenser Schaden, dass die Sozialdemokratie integrative Kraft einbüßen würde, je mehr ihre Politik mit jener der Grünen austauschbar ist. Schon jetzt leidet die Partei unter dem Armdrücken zwischen den Vertretern der pragmatischen Kleine-Leute-Partei und urban und innerstädtisch geprägten Milieus, wie derzeit in Berlin zu besichtigen. Aber ob dieses Problem gelöst wäre, wenn der Konflikt einseitig entschieden ist?

Seite 4, Kompakt Zeitung Nr. 234

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