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Alles reine Nervensache

Rudi Bartlitz

Dem SC Magdeburg gelingt bei der Handball-Vereins-Weltmeisterschaft in Saudi-Arabien der viel umjubelte Hattrick.

Diese Nerven muss man erst einmal besitzen. Im Endspiel der Vereins-Weltmeisterschaft im saudi-arabischen Dammam wiesen die SCM-Handballer wieder einmal nach, dass sie augenblicklich wahrscheinlich das Team im internationalen Elitehandball sind, das über die stärksten Nerven verfügt. Beweise dafür? Die Grün-Roten lagen zur Pause zurück. Immerhin mit drei Treffern. Und blieben ruhig. Sie liefen dem Gegner bis Mitte der zweiten Halbzeit hinterher. Und machten weiter, immer weiter. Sie verwarfen kurz vor Schluss einen Siebenmeter. Und taten, als sei nichts passiert. Am Ende setzten sie sich im innerdeutschen Duell mit 34:32 nach Verlängerung gegen die Füchse Berlin durch. Die Trophäe wanderte zum dritten Mal nacheinander an die Elbe. Etwas, was bisher nur dem FC Barcelona gelang.


Für Trainer Bennet Wiegerts Mannschaft ist das nach dem Meistertitel 2022 und dem Erfolg in der Champions League im Juni dieses Jahres das nächste Ausrufezeichen hinter den Ambitionen des Vereins. Mit ihrem Selbstvertrauen, in den entscheidenden Sekunden genau das Richtige zu tun, waren sie, obwohl durch den Ausfall von Nationalspieler Philipp Weber erheblich geschwächt, den Berlinern an einer sehr relevanten Stelle siegbringend voraus – der vielzitierten Crunchtime. Das war nicht immer so – und zeigt den Entwicklungsprozess, den das Team in den letzten beiden Jahren vollzogen hat.


Im Endspiel gegen Berlin dann genügte es, die Ruhe zu bewahren, auf Torwart Sergey Hernandez zu vertrauen und im Rückraum gleichberechtigt zwischen den fünf dafür vorgesehenen Spielern zu rotieren. Auffällig: Wiegert, der lange nicht als Befürworter einer ständigen Rotation galt, setzt neue Akzente. Seit einiger Zeit bereits nutzt der 41-Jährige die Breite des Kaders gewinnbringender als noch vor Jahren, als er einer Stammreihe vertraute – bei 65 Pflichtspielen im Jahr muss er das auch. In Damman kam es dem Team sichtlich zugute.


Auch aus den Niederlagen im Mai 2022, als man 39:40 nach Verlängerung in der European League bei Benfica Lissabon unterlag und dem 34:36 nach Siebenmeterwerfen im deutschen Pokal gegen die Rhein-Neckar Löwen in diesem April wurden Lehren gezogen. „Aber genau das braucht es“, zitiert die „FAZ“ den Coach, „es lebt von der Erfahrung. Je mehr Finals du spielst, umso mehr steigerst du die Wahrscheinlichkeit, dort wieder hinzukommen.“ Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, hatte es aber erst das Champions-    League-Endspiel von Köln im Juni 2023 gebraucht, als der SCM den wichtigsten europäischen Titel errang.


Ob denn die Vereins-WM mit ihren zwölf Teams von fünf Kontinenten nun das Nonplusultra des Welthandballs sei, wird in den letzten Tagen zuweilen gefragt. Nein, antworten viele Experten. Gewiss nicht. Mit der europäischen Champions    League kann sie sich beim besten Willen nicht messen. Beim Super Globe verkörpern nur die jeweils vier Vertreter aus Europa (diesmal neben dem SCM und den Füchsen der FC Barcelona und Industria Kielce) absolute Weltklasse. Beim Championat auf dem alten Kontinent kommen noch einmal mindestens eine Handvoll weitere Top-Teams hinzu. Gefordert werden die Etablierten beim Super Globe nur in Halbfinale und Finale. Ergebnisse, wie das 57:14 des SCM in der Vorrunde gegen die Universität Queensland, sind eigentlich ein Witz. Kaum anders müssen die 96 Magdeburger Treffer in zwei Vorrundenpartien wirken. Und die 26 Tore (!) von Daniel Pettersson in einer einzigen Partie wirken nur in einem schnellen Zusammenschnitt (tack, tack, tack) erst so richtig toll – immerhin bedurfte es dazu mehr als zwei Minuten Sendezeit.


„Das Turnier ist sicherlich spannend, hat im Laufe der letzten Jahre auch ein gewisses Renommee gewonnen“, befand Füchse-Sportvorstand Stefan Kretzschmar. „Und die finanziellen Möglichkeiten – wenn man weit kommt – sind auch nicht zu unterschätzen. Aber es ist eine nicht zu unterschätzende Belastung. Das macht einem schon ein bisschen Kopfzerbrechen.“ Belastungen – dieses Stichwort gilt ebenso für den SCM. Nicht nur durch die Weber-Verletzung. Beim Sammeln von Flugmeilen gehören die Magdeburger dieser Tage sicher nicht zu den Schlechtbetuchten. Allein, was sie in der ersten Novemberhälfte auf ein imaginäres Konto einzahlten, dürfte manchen Globetrotter neidisch machen. Etwa 9.000 Kilometer waren es für die Reise zum Super Globe, am Wochenende zuvor schwärmten die Nationalspieler – deren stolze 14 (!) sind es mittlerweile – zu den Länderspielen ihrer Nationalteams aus, die Schweizer verschlug es dabei bis ins tunesische Hammamet. Wieder einige Tage zuvor war es per Charter in der Champions League nach Montpellier gegangen.


Es war also durchaus nicht alles Gold, was da im ansonsten so reichen Saudi-Arabien glänzen soll-te. Dass der SCM seinen mit 400.000 Dollar honorierten Sieg zwar im Konfettiregen, aber vor beinahe leeren Rängen bejubeln musste, wird den
Leistungen der Beteiligten einfach nicht gerecht. Ganz zu schweigen von der Turnhallen-Atmosphäre, die sich während der Gruppenspiele breitmach-te, als sich die Zuschauerzahlen im dreistelligen Bereich bewegten und jeder einzelne Ruf von der Bank zu vernehmen war und an leidige Corona-Zeiten erinnerte.


Sportlich, da waren sich alle einig, hatten die deutschen Vertreter überzeugt. „An anderer Stelle“, merkte die „FAZ“ an, „blieb die Leistung dürftig – beide Klubs versäumten es, eine angemessene Haltung zum Ausrichter des Turniers und dessen Menschenrechtsverletzungen zum Ausdruck zu bringen. So wurde die Reise nach Saudi-Arabien allein unter dem Gesichtspunkt des lockenden Preisgeldes verargumentiert.“ In dieselbe Kerbe schlug die Nachrichtenagentur dpa: „Vorbehalte gegen den Gastgeber werden ausgeblendet. Kritische Töne zu Menschenrechtsverletzungen oder dem durch die Bewerbung um die Handball-WM 2029 und 2031 intensivierten Bestreben Saudi-Arabiens, das eigene Ansehen durch die Ausrichtung internationaler Großveranstaltungen zu verbessern, gab es keine. Die sportlichen Meriten und zusätzlichen Einnahmen wiegen für die Vereine eben schwerer.“

Seite 37, Kompakt Zeitung Nr. 245, 22. November 2023

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