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Stadtmensch:
Auf ein Neues

Lars Johansen

Das alte Jahr neigt sich dem Ende entgegen und wir können uns jetzt auf ein neues freuen. Diese Zeit, die gerne als Zeit zwischen den Jahren bezeichnet wird, ist immer mit einer kleinen Rückschau verbunden. Wir feiern Weihnachten, und bitte lassen Sie sich von niemandem einreden, dass es nicht mehr gefeiert werden darf, sondern uns von wem auch immer genommen werden soll. Auch wenn der bayerische Ministerpräsident sich als Kämpfer für dieses Fest geriert, es ist in keiner Weise bedroht. Schließlich wurden ja schon von den frühen Christen die heidnischen Symbole des Julfestes okkupiert und umgewidmet. Der Weihnachtsbaum hat nichts mit der Bibel zu tun, und auch der Weihnachtsmann mit seinem Rentierschlitten ist alles andere als eine christliche Figur. Denn diese Mischung aus Nikolaus und Coca-Cola-Ästhetik ist ganz und gar so erst dem 20. Jahrhundert entsprungen. Bei den wenigen Christen in Sachsen-Anhalt wäre ohnehin die Sinnhaftigkeit christlicher Feste hierzulande zu hinterfragen. Aber wer will schon die Stimmung verderben. Und diese ist ohnehin so schlecht, dass ein wenig Besinnlichkeit nicht unbedingt schaden muss.


Jedenfalls blicken wir auf ein weiteres unruhiges Jahr zurück. Und auch die Zukunftsaussichten mögen vielen nicht rosig erscheinen, denn es sieht nicht so aus, als würden die großen Konflikte in der Welt ausgerechnet an uns vorbei gehen. Israel und die Hamas, Russland und die Ukraine, die Zahl der Kriege ließe sich problemlos weit fortsetzen, ein Ende ist nicht abzusehen. Die Fronten verlaufen auch quer durch unsere Gesellschaft. Und ob es geschickt ist, jedem Menschen, der in Sachsen-Anhalt die deutsche Staatsbürgerschaft erringen will, ein Bekenntnis zur Anerkennung des Existenzrechts von Israel abzuringen, scheint mir mehr als fragwürdig. Für mich ist das zwar eine Selbstverständlichkeit, aber die Einbürgerung davon abhängig zu machen, scheint mir ein zu großer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte zu sein. Außerdem müsste man da schon einigen Menschen, die hier geboren wurden, die Staatsbürgerschaft entziehen. Zwang war noch nie ein guter Lehrer. Wir müssen mehr Aufklärungsarbeit leisten. Und da liegt auch unser Hauptproblem, denn daran mangelt es. Auch deshalb, weil es zunehmend an Bildung mangelt. Die neueste PISA-Studie sieht uns nämlich mal wieder ganz weit hinten im Bildungsranking.


Seit 2000 gibt es PISA und seitdem sind wir in der Tabelle kontinuierlich abgerutscht. Anders gesagt, die Fußballspiele der Nationalmannschaft verlaufen auf dem gleichen Niveau wie unsere Bildung. Und doch ist die U-17 erstaunlicherweise Fußballweltmeister geworden. Also scheint die Jugend noch nicht ganz verloren zu sein. Bei der Bildung sieht es leider nicht so gut aus. Mittlerweile werden die Studien kaum noch ernst genommen. Man hat sich viel zu sehr daran gewöhnt. Aber wenn seit 23 Jahren nichts verbessert wird, sondern stattdessen eine kontinuierliche Abwärtsspirale eingesetzt hat, dann lässt sich das nur mit einer ungeheuren Dickfelligkeit der Verantwortlichen erklären. Es gibt nicht einmal eine Entschuldigung für das kollektive Versagen. Sogar der Verdacht der Vorsätzlichkeit kocht auf diese Weise hoch. Nahezu ein Vierteljahrhundert ist vergangen, ohne dass irgendjemand die Verantwortung übernommen hätte, um hier etwas zu verbessern. Der sich ständig wiederholende Spott darüber scheint niemanden anzuspornen, etwas zu tun. Das gesamte Bildungssystem in diesem Land kollabiert und Opposition und Regierung drücken die Schuldenbremse, statt endlich einmal Geld in die Hand zu nehmen, die Kompetenzen zu bündeln und den Saustall endlich auszumisten. Überall in der Welt verbessern sich die Kompetenzen, nur hier beharrt man auf einem Unterricht, der irgendwann in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts stehen geblieben ist. Auch die Ausbildung für das Lehramt wirkt wie aus der Zeit gefallen. So wird der Lehrerberuf auch immer weniger attraktiv, so dass es kein Wunder ist, wenn die Zahl der Berufsanfänger viel zu niedrig ist.


Es muss eindeutig mehr dafür getan werden, um Personal zu motivieren. Natürlich gibt es ein allgemeines Nachwuchsproblem, denn in den vergangenen Jahrzehnten wurden immer weniger Kinder geboren. Also wachsen zu wenig Fachkräfte nach. Jetzt die Grenzen dicht zu machen und vor Überfremdung zu warnen, ist fahrlässig kontraproduktiv. Natürlich fliehen keine ausgebildeten Fachkräfte zu uns, aber wir könnten sie dazu machen. Doch das bedeutet, man kann es gar nicht oft genug sagen, dass Geld in die Hand genommen werden muss, um die Strukturen diesen Bedarfen anzupassen. Das ist mühselig und gewiss nicht kurzfristig von Erfolg gekrönt, zugleich aber auch unumgänglich, denn die Zeit für Witzeleien ist beendet.


Allerorten mangelt es an der Empathie, das Abwälzen der Schuld auf die Kinder und Jugendlichen beißt sich selber in die eigenen Weichteile, wenn man nur darauf schaut, dass schon die Eltern der heute frisch Schulpflichtigen diesen Fehlern ausgesetzt waren. Sie können sich dadurch auch nicht daran erinnern, dass es einmal anders und besser funktioniert hätte, denn über so eine positive Erfahrung verfügen sie einfach nicht. Schon meine Generation hat nur sehr bedingt ein besseres Bildungssystem erlebt. Ich erinnere mich noch gut an die missglückte Reform der reformierten Oberstufe vor 40 Jahren. Seitdem hat es keine Veränderung zum Besseren gegeben. Aber geredet wurde und wird immer wieder darüber. Vielleicht gibt es tatsächlich keinen Willen dazu. So wie wir im Energiebereich eine Wende vorangetrieben haben, müssen wir das auch in der Bildung schaffen. So wie ohne deutschen Atomstrom die Lichter nicht erloschen sind, so kann es auch hier gelingen, neu zu beginnen. Früher war nicht alles besser, aber heute ist vieles, was davon übrig ist, nur noch schlecht. Ein guter Vorsatz für das neue Jahr ist es, hier endlich einmal wirklich anzupacken.

Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 246, 10. Dezember 2023

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