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Stadtmensch: Wir verdienen
mehr als wir verdienen

Lars Johansen

 

Gerne fragen wir uns und andere, was wir oder sie eigentlich verdienen, und das ist immer durchaus doppeldeutig gemeint. Natürlich geht es in erster Linie um das Einkommen, aber es schwingt auch immer mit, was für ein Leben wir verdienen. Gerne wird darauf verwiesen, dass es gerade alte Menschen schwer haben, denn die Renten sind nicht üppig und immer wieder sehen wir Menschen, die Pfandflaschen sammeln, um über die Runden zu kommen. Es gäbe andere Möglichkeiten und das Beispiel ist gewiss plakativ, aber wenn wir ehrlich sind, trifft es uns, wenn Senioren Flaschen sammeln.


Eigentlich sind die Renten im Osten im Schnitt immer noch besser als die im Westen, aber das Wort „noch“ ist ein wichtiges in diesem Satz. Denn das ändert sich immer mehr. Altersarmut steigt an und wenn man durch Berlin geht, dann sieht man, was auf viele Menschen zukommen kann. Obdachlosigkeit ist in einem der reichsten Länder der Erde selbstverständlich geworden. Wir haben uns daran gewöhnt, dass in der Sparkassenfiliale im Winter nachts Menschen schlafen, nicht nur in Berlin, sondern auch hier in Magdeburg. In Berlin ist die Wohnungssituation katastrophal, hier noch nicht, aber das wird sich ändern. Spätestens, wenn die Arbeitskräfte für Intel in der Stadt ankommen und nach Wohnraum suchen, dann werden wir bemerken, dass es angespannter wird. Es entsteht immer noch zu wenig Wohnraum. Aber darum soll es hier nicht gehen. Denn im Moment müssen wir uns über die drohende Altersarmut nicht wundern, denn wer hier arbeitet, ist ärmer dran als der Rest der Deutschen. Wir liegen in Sachsen-Anhalt 19 Prozent unter dem durchschnittlichen Einkommen in Deutschland. Wir verdienen fast ein Fünftel weniger als die Nachbarn im Westen, aber auch weniger als in den anderen ostdeutschen Bundesländern. In Hamburg verdient man brutto fast 5.000 Euro im Monat, in Magdeburg 3.700 Euro.

 

Zwischen Ost und West klafft im Schnitt eine Lücke von 824 Euro, zwischen Sachsen-Anhalt und den östlichen Nachbarn noch einmal ein guter Fünfziger. Das wird natürlich Auswirkungen auf die Rente haben. Und, eine ernstgemeinte Frage an den Wirtschaftsminister: Warum sollten Fachkräfte hierherkommen, wenn sie so lausig bezahlt werden? Nun, die Antwort ist vermutlich einfach: Sie werden nicht so schlecht bezahlt. Wenn Intel kommt, dann werden die Menschen dort gut verdienen, denn sonst kommen sie nicht hierher. Die Firma weiß das und wird sie entsprechend entlohnen. Das ist einerseits gut, andererseits wachsen dann in der Stadt selber die Unterschiede, denn dann treffen gut bezahlte Fachleute auf die Durchschnittsverdiener in Magdeburg. Wir bauen schon jetzt soziale Ungleichheiten auf, die Auswirkungen haben werden, welche jetzt noch gar nicht abzuschätzen sind. Und wenn diese gutverdienenden Fachkräfte auch noch aus dem Ausland kommen und das werden sie gewiss, dann wird es eine Neiddebatte geben, die auch in Handgreiflichkeiten münden kann. Leicht zu lösen wäre das Problem, wenn es auch Fachkräfte von hier geben würde, aber das erscheint angesichts der hausgemachten Bildungsmisere eher unwahrscheinlich. Diese unterbesetzten und überfüllten Schulen, in denen von eher schlecht bezahltem Personal mit den Methoden von gestern unterrichtet wird, vermögen nur bedingt Fachkräfte hervorzubringen. Ich mag dem Lehrpersonal da keinen Vorwurf machen, sondern ärgere mich über die schlechte Verteilung der Gelder für die Bildung. Gerade in den prekären Stadtteilen muss mehr passieren, aber eben nicht nur dort, denn wer mag schon hierbleiben, wenn man anderenorts besser verdient. Wir bauen uns hier eine Zweiklassengesellschaft auf, die in nicht allzu weiter Ferne zu Problemen führen wird, die wir dann gar nicht mehr lösen können.


Ein schickes neues Viertel mit Loftwohnungen auf einem ehemaligen Fabrikgelände in Fermersleben kontrastiert dann mit der übrigen Bebauung dort. Armut und Reichtum in unmittelbarer Nachbarschaft, da sind Konflikte vorprogrammiert. Die Werbung für neue Mieter oder Eigentümer richtet sich direkt an zukünftige Mitarbeiter von Intel. Hier entstehen Inseln für Besserverdienende in einem Meer von Armut. In den USA ist die Situation schon weiter fortgeschritten. Trump hat schon angedeutet, dass es, wenn er die Wahl verliert, blutig werden könnte. Wer weiß, was passiert, wenn er gewinnt. Aber bei diesen sozialen Unterschieden in unserem Land mag ich einen möglichen Bürgerkrieg hier nicht länger ausschließen. Denn scheinbar interessiert es die Landesregierung, aber auch den Bund nur bedingt, was sich hier zusammenbraut. Klar hat die Regierung die Hoffnung, dass Intel andere Firmen nach sich zieht und so im Umfeld besser bezahlte Arbeitsplätze entstehen. Nur muss man für diese Hoffnung eben die Bedingungen schaffen. Subventionen sind das eine, Investitionen in die Zukunft der Bildung das andere. Wenn man sehen möchte, was passiert, wenn die sozialen Unterschiede so weit auseinanderklaffen, dass es wehtut, dann möge man mal in Frankfurt am Main durch die Taunusanlage gehen, die sich im Schatten der Bankenhochhäuser befindet. Dort kann man die Drogenabhängigen sehen, die von den Geldern der Hochfinanz ausgeschlossen sind. Nur wenige Meter entfernt sitzt das Kapital, das bis in die Wolken hinein baut, um das Elend nicht sehen zu müssen. Und in Hessen haben sie im Schnitt viel mehr Geld als wir. Und nicht nur mehr Geld, nach neuesten Studien verlieren wir obendrein bis 2040 12,3 % der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt. Vielleicht klinge ich zu dramatisch, aber ich bin gerne hier und besorgt um unsere Zukunft. Das haben wir nicht verdient.

 

Nr. 254 vom 23. April 2024, Seite 7

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