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Mit etwas Autismus lebt es sich leichter

Von Prof. Dr. Peter Schönfeld

Dustin Hoffman hat in dem Film „rain man“ die Lebenswelt von Autisten einem breiten Publikum bekannt gemacht. Ein autistisches Verhaltensspektrum scheint auch in der Politik Fuß zu fassen, obwohl es dafür keine komplexe Wechselwirkung zwischen Mutationen und Umweltfaktoren gibt.

Autisten erscheinen uns oft wie tief in sich Zurückgezogene. Ein Detail aus einem Bild von Francesco des Cossa (um 1473/74, Santa Lucia, National Gallery of Art, Washington, Open Access) könnte nach der Sicht des Autors diesen Zustand grob veranschaulichen.

Die Beschaulichkeit und das Innehalten über die Weihnachtstage und den Jahreswechsel sind längst schon wieder von den kleinen und größeren Sorgen und Auslenkungen des Alltags abgelöst worden. Haben Sie, lieber Leser, angesichts von Stimmungsschwankungen nicht auch schon einmal den Wunsch verspürt, ein wenig ein Autist zu sein? Das wäre in bestimmten Lebenslagen durchaus von Vorteil. Dann würden schlafraubende Fake News oder Pläne der Politiker zur Klimarettung und Stabilisierung der Staatsfinanzen an uns ablaufen wie die Tropfen von einem aufgespannten Regenschirm.

 

Eingeschränkte soziale Kontakte

Im gesellschaftlichen Umfeld hat der Autismus aber durchaus Nachteile, denn Autisten mangelt es an der Fähigkeit, soziale Kontakte aufzubauen oder diese zu leben. Sie können ihre Gefühle schlecht mitteilen und haben oft die Schwierigkeit, die Körpersprache eines Gesprächspartners zu verstehen. Außenstehende verstört bisweilen ihre stereotype Körpermotorik, wie ein Wippen des Oberkörpers. Ein solches Verhalten macht die zwischenmenschliche Kommunikation schwierig. Autisten fällt es auch schwer, wichtige von unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Dafür fehlt ihnen der Filter. Weil sie auch permanent unter einer Reizüberflutung leiden, kapseln sie sich von der Umwelt ab. Gefährliche Situationen werden von ihnen oft unterschätzt. Trotz ihrer kognitiven Behinderung verfügen Autisten in seltenen Fällen über eine Inselbegabung auf kleinen Teilgebieten. Diese, das Savant-Syndrom (frz., savoir = wissen), kann sich in einem außergewöhnlichen mathematischen oder musikalischen Talent oder einem photographischen Gedächtnis ausdrücken. Das alles zusammengenommen erinnert mich an einen Thriller mit dem Schauspieler Bruce Willis, der als FBI-Agent einen autistischen 9 Jahre alten Jungen vor Dunkelmännern des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA beschützen will. Im Film („The Mercury Puzzle“) wird erzählt, dass vom Secret Service ein Geheimcode (Mercury = Quecksilber) entwickelt wurde, der als nicht dechiffrierbar galt. Um das zu testen, wurde der Code in einem Kreuzworträtsel versteckt. In dem äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass es doch gelingen sollte das Rätsel zu lösen, würde der Code-Brecher eine Telefonnummer finden und mit deren Anruf ein Geschenk erhalten. Den Code knackte der eingangs erwähnte kleine Junge. Aber statt eine Belohnung zu erhalten, galt er fortan als ein zu eliminierendes Sicherheitsrisiko.

 

Eine „Kühlschrank-Mutter“ ist nicht die Ursache

Aber wie kommt es eigentlich zu einem autistischen Verhalten? Um dieses verstehen zu können, müssen wir uns auf das Feld der Neurowissenschaften begeben. Am Beginn der Erforschung, etwa bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts, war die Auffassung weit verbreitet, dass ein autistisches Kind eine „Kühlschrank-Mutter“ haben muss. Also eine Mutter, die nur zu schwach ausgeprägten mütterlichen Gefühlen ihrem Kind gegenüber fähig ist. Dieser frühe Erklärungsversuch ist aber längst obsolet.


Im Gehirn sind in der linken Großhirnrinde die Fähigkeiten (skills) für die Entwicklung von sozialen Kontakten verankert. Deshalb wird heute vermutet, dass die Ursache für ein späteres autistisches Merkmalsspektrum eine Reifungsstörung in dieser Hemisphäre während der embryonalen Entwicklung ist. Dazu passt, dass autistische Säuglinge oft nicht fähig sind mit ihren Augen der mütterlichen Handbewegung vor ihrem Gesicht zu folgen. Für die Störung werden Mutationen in bestimmten Genen auf dem X-Chromosom (einem von den beiden geschlechtsbestimmenden Chromosomen X und Y) verantwortlich gemacht. Aber es gibt auch Hinweise dafür, dass eine Wechselwirkung der mutierten Gene mit bestimmten Umwelteinflüssen die Ausprägung der autistischen Veranlagung begünstigt. Eine besondere Form des autistischen Merkmalsspektrums ist das Asperger-Syndrom, von dem beispielsweise die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg und der englische Filmschauspieler Anthony Hopkins betroffen sind.

 

Knaben sind auffällig anfällig 

Statistisch gesehen verhält sich eines unter 47 Kindern autistisch, wobei Knaben 4mal häufiger die Leidtragenden sind als Mädchen. Wie lässt sich diese Anfälligkeit des männlichen Geschlechts verstehen? Andere Beispiele für „männliche Erbkrankheiten“ sind die Hämophilie (Bluterkrankheit), die Rot-Grün-Blindheit oder die (Duchennne-)Muskeldystrophie. Übrigens, durch die Töchter der Königin Victoria (1819 -1901) wurden einige europäische Herrscher-Dynastien mit der Hämophilie infiziert, was dort in der Folge zu tragischen Entwicklungen beigetragen hat. Warum ist aber das weibliche Geschlecht seltener vom Autismus betroffen? Die Antwort ist einfach. Frauen besitzen zwei X-Chromosomen und das macht es wenig wahrscheinlich, dass beide die gleichen Mutationen enthalten. Ein X-chromosomaler Ursprung als Erklärung für die Häufung des männlichen Autismus scheint aber nur die halbe Wahrheit zu sein, denn im Fruchtwasser der Mütter von autistischen Söhnen wurde auch viel von dem männlichen Sexualhormon Testosteron gefunden. Dieses hat viele Wirkungen auf das Äußere und das Leben der Männer, und das Politikmachen ist mit einem erhöhten Blutspiegel des Testosterons erfolgreicher. Zu dem Letzteren fällt mir ein Bundeskanzler ein, der „Testosteronkanzler“. Die Bildung dieses Hormons wird beim Embryo von einem Protein (TDF = testis-determining factor) am Ende der 6. Schwangerschaftswoche angestoßen. Für dessen Bildung muss aber zuerst das „Sex Region“-Gen am Y-Chromosom (SRY) aktiviert werden. Mit der Aktivierung wird zugleich die Weiche für die Entwicklung eines Embryos mit einer X- und Y-Chromosomen-Ausrüstung zum Knaben umgelegt. Erst dadurch bilden sich bei einem genetisch-männlichen Embryo die Hoden (Bildungsort des Testosterons). Nur wenn der Embryo immun gegenüber Testosteron ist (Androgenresistenz-Syndrom), wird dieser später äußerlich eine Frau.

 

Zurück zum Autismus. Erhöhtes Testosteron im Fruchtwasser legt nahe, dass dadurch vermehrt defekte Protein-Baupläne von den mutierten Genen auf dem X-Chromosom kopiert werden. Das wiederum macht eine Störung der Hirnreifung bei den männlichen Embryonen verständlich, denn das Testosteron ist ja auch an der Bildung von Kontaktstellen zwischen den Neuronen (Synapsen) beteiligt. Wenn aber die Protein-Bausteine für die Bildung der Kontaktstellen defekt sind, dann muss das Auswirkungen auf die Weiterleitung der Signale bei den Neuronen haben.

 

Umweltfaktor Darmbakterien

Wenn Umweltfaktoren an der Entstehung des Autismus beteiligt sind, dann denkt man nicht unbedingt daran, dass die Quelle dafür auch im Darm sprudelt. Allerdings darf man sich den Darm nicht nur als einen primitiven Schlauch vorstellen, der nur eine biegsame Hülse der Verdauung ist. Vielmehr sind in der Darmwand eine riesige Zahl von Nervenzellen integriert, und dieses Darm-Nervensystem kommuniziert wechselseitig mit dem Gehirn. Weil molekulare Signale aus dem Gehirn zum Darm geleitet werden und andererseits der Darm molekulare Signale zum Gehirn sendet, spricht man von einer Darm-Hirn-Achse. Aber wer bildet denn die Signale im Darm? Das ist eine der vielen Aufgaben der Bakterien im Dickdarm (dem Darmmikrobiom), deren Anzahl die aller Körperzellen um eine Größenordnung übersteigt. Außerdem ist die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms von Mensch zu Mensch verschieden. Deshalb unterscheidet sich auch die Zusammensetzung der bakteriellen Stoffwechselprodukte voneinander. Damit sind wir bei der vom Darm geschaffenen Umwelt und ihrem Einfluss auf den Körper angekommen. Die Nützlichen unter den Bakterien sind Verdauungshelfer, Vitamin-Produzenten oder Sparringpartner unseres Immunsystems. Andere bilden Glückshormone und beruhigen damit das Gefühlsleben. So kann uns ein Cocktail von bakteriell-erzeugten Aminosäure-Derivaten, zu dem auch das Serotonin gehört, vor den Fall in eine Depression schützen.

 

Risikofaktor Kaiserschnitt-Geburt 

Die Bösewichte unter den Darmbakterien können Unannehmlichkeiten bereiten. Deshalb leiden autistische Kinder oft an Bauchweh, Durchfall oder Erbrechen. Bei diesen Kindern gibt es auffällig viele Bösewichte, wie die vom Stamm Clostridium. Eine Unterart (Clostridium tetani) bildet ein Neurotoxin, das über den Vagusnerv zum Gehirn gelangt und dort die Kommunikation zwischen bestimmten Neuronen blockiert. Außerdem wird von dem autistischen Darmmikrobiom eine Menge an Propionsäure gebildet, die als ein Hemmstoff der Proteinsynthese gilt. Woher haben aber die autistischen Knaben die bakteriellen Bösewichte? Eine wichtige Etappe in der bakteriellen Kolonisation des frühkindlichen Darmes ist der Geburtsvorgang. Vieles deutet daraufhin, dass die auf natürlichem Weg geborenen Babys im Vergleich zu den „Kaiserschnitt-Geborenen“ eine nützlichere bakterielle Ausstattung für den Lebensweg mitbekommen. Das lässt sich mit dem engen Kontakt des Neugeborenen mit der vaginalen Flora der Mutter erklären. Im Gegensatz dazu dominiert bei der Kaiserschnitt-Geburt der Kontakt mit den Umweltbakterien des Krankenhauses (OP-Personal!). Nach einer aktuellen Studie haben diese Babys ein deutlich erhöhtes Risiko autistisch zu werden.

 

Vorteilhaft für Politiker

Ein kleinwenig autistisch veranlagt zu sein ist für Spitzenpolitiker durchaus von Vorteil. Dann hört man nämlich das Rumoren in der Bevölkerung weniger laut. Außerdem macht ja auch der Autismus für Gefahren blind, so dass riskante Finanzierungsgeschäfte leicht von der Hand gehen. Vor einigen Wochen wurde mit dem Bundeskanzler Scholz ein Pressegespräch („Berlin direkt“) geführt. In diesem wurde er gefragt, ob er sich nicht für die versuchte Trickserei der Ampel-Koalition bei der Umwidmung der für die Corona-Krise gedachten Gelder öffentlich entschuldigen will. Die Frage drang offenbar nicht zu ihm durch, denn er setzte das Gespräch in der ihm eigenen Manier fort, ohne auf diese einzugehen. Auch später, bei seiner Neujahrsansprache, hat er eine Entschuldigung nicht nachgeholt. Nach seiner Sicht ist es alleinig das Karlsruher Gerichtsurteil, das den derzeitigen Geldmangel im Bundeshaushalt verursacht hat. Im Nachgang wurde allerdings bekannt, dass es genügend Warnungen von kompetenter Seite aus gegeben hat, die Hände von der Umwidmung zu lassen. Fazit: Autismus hilft Politikern, abgeschottet von störenden Einflüssen der sie umgebenden Realität, Visionen zu entwerfen und zu verkünden. Das kann auch erklären, warum in der Neujahrs-Ansprache des Bundeskanzlers keine Gründe für den von ihm prophezeiten Zukunfts-Optimismus benannt wurden.   

Seite 36/37, Kompakt Zeitung Nr. 249

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