Meter 67: Martin Luther, die Nullbrüder und der Magdeburger Dom - Erzählungen aus der gotischen Kathedrale
Von Michael Ronshausen
Reformator Martin Luther und den Magdeburger Dom in einer Geschichte zu vereinen, könnte erzählerisch ein interessantes Unterfangen sein. Und warum auch nicht – Luther, damals noch keine 14 Jahre alt, wird sich während seines einjährigen Schulbesuches in Magdeburg vermutlich die kurz vor ihrer Vollendung stehende Kathedrale angeschaut haben und vielleicht besuchte er im Dom die eine oder andere Messe. Immerhin war dies keine lästige Pflicht, sondern auch für jüngere Menschen eine Selbstverständlichkeit. Tatsache ist aber, dass es weder aus Luthers eigener noch aus anderer Hand dafür einen schriftlichen Beleg gibt. Der spätere Reformator wird aus heutiger Sicht gern als Schüler der damaligen Domschule verortet, womit die Kathedrale zu seiner Hauskirche geworden wäre. Doch auch hierfür fehlen Beweise.
Luther verbrachte zwischen 1497 und 1498 ungefähr ein Jahr in Magdeburg. Nach allem, was bekannt ist – und was Luther ein viertel Jahrhundert später selbst überliefert hat –, verbrachte er dieses Jahr im Schatten des Doms. Irgendwo zwischen Domplatz, Möllenvogteigarten und Elbe, vielleicht dort, wo sich heute das historische Gebäude des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes befindet, hatten sich wenige Jahre vor Luthers Magdeburger Zeit die sogenannten Nullbrüder angesiedelt. Wobei sich der Begriff Null von der Nolle, dem kopfbedeckenden Teil des klösterlichen Habits ableitete. Die Brüder verfolgten die klassischen Regeln des kontemplativen Klosterlebens jedoch nur eingeschränkt. Sie fanden als Laienkommunitäten zueinander und gehörten über einige Jahrzehnte zu den Wegbereitern einer geistlichen Reformbewegung. Ob sich die Zeit bei den Nullbrüdern später auf Luthers Weg zur Reformation ausgewirkt hat, kann heute nur vermutet werden. Unwahrscheinlich ist der Zusammenhang jedoch nicht.
Nicht geklärt ist die Frage, ob die Nullbrüder in Magdeburg einen Schulbetrieb unterhielten. Dies ist jedoch wahrscheinlich, weil es anderenfalls keinen Grund gegeben hätte, den jungen Luther bei ihnen in Pension zu geben. In den frühen Lebensjahren war die geistliche Entwicklung des späteren Reformators nicht abzusehen. Luthers Vater hatte für seinen Spross eine weltliche Laufbahn ins Auge gefasst. Am Ende wird die Frage, ob Luther die Bank in der Domschule oder bei den „Nullen“ gedrückt hat, dauerhaft unbeantwortet bleiben.
Reagiert hat hingegen vor einigen Jahren die Evangelische Domgemeinde, konkret der damalige Domprediger Giselher Quast. Die sachsen-anhaltische Kulturstiftung als Hausherr wollte mit dem am Dom angebrachten Tourismuslogo „Luther war hier“ an dessen Wirken erinnern und die Kathedrale zu einem „Lutherort“ machen. Diese Marketingaktion konnte verhindert werden – denn es gibt für Luthers Zeit in Magdeburg keine Informationen im Zusammenhang mit dem Dom oder der Domschule. Auch nach seinen späteren Aufenthalten in der erzbischöflichen Residenzstadt hat sich Luther nie über den Magdeburger Dom geäußert, wohl aber über sein Jahr bei den benachbarten Nullbrüdern.
Seite 16, Kompakt Zeitung Nr. 249