Stadtmensch: Über Aufspaltungen

Von Lars Johansen

Dieses Land ist zutiefst gespalten. Das ist zugegebenermaßen keine umwerfend neue Erkenntnis, aber ich bin trotzdem immer wieder überrascht, wie tief sich diese Risse durch unsere Gesellschaft ziehen. Es scheint nahezu unmöglich, noch einen gemeinsamen Dialog herzustellen. Denn schon das Reden mit Menschen, die anders denken, funktioniert nicht mehr wenigstens einigermaßen zivilisiert. Das bemerke ich durchaus auch bei mir, denn es gibt Argumente, die ich nicht bereit bin, länger zu ertragen. Und mit Menschen, die sie verwenden, mag ich nicht in einen Austausch treten. Denn sogar Selbstverständlichkeiten sind nicht mehr selbstverständlich. Und wenn Menschen unsere Demokratie als System bezeichnen, welches sie gerne abschaffen möchten, dann kann ich darüber nicht diskutieren, denn ich halte den Erhalt dieser Staatsform für existenziell und nicht disponibel.

 

Nun ist es so, dass ich in der Demokratie mit den sehr unterschiedlichen Meinungen leben muss und eigentlich auch will, weil ich sie als erfrischend empfinde. Einem gesunden Konservatismus ist in Diskussionen von meiner Seite vieles entgegenzusetzen, aber man ist sich eben über viele Grundpfeiler einig. Und das Aushandeln von Kompromissen ist eine Kunst, die immer mehr verloren zu gehen droht, aber eine Voraussetzung für ein demokratisches Miteinander ist. So weit, so banal. Nun bin ich aber in jüngster Zeit über zwei Dinge gestolpert, welche beide im Kulturbereich geschehen sind und die mich beide sehr ärgern, denn sie spalten mit Absicht und nichts anderes ist das Ziel. Ich kann mir direkt vorstellen, wie da an beiden Positionen Menschen formuliert haben, die völlig ignorant in einer eigenen Welt leben und auch weiter leben wollen, die jeden anderen ausschließt. Und gerade, weil es sich dabei in beiden Fällen um Kultur, die mich durchaus interessiert und an der ich teilhaben mag, handelt, ärgert es mich besonders.


Zum einen gibt es in Hannover das „Real Dance“-Festival, welches sich, wie auch schon das Festival „Theaterformen“ in der gleichen Stadt im vergangenen Jahr, dieses Jahr neue Regeln auferlegt hat, die für Menschen, welche hier zuschauen möchten, gelten. Da ist natürlich ganz abstrakt die Rede von Achtsamkeit, was ich für richtig halte, aber dann wird an einer Stelle präzisiert, dass man des Festivals verwiesen werden könnte, wenn man als Besucher andere Besucher, bevor man mit ihnen in einen Austausch tritt, nicht erst einmal nach dem bevorzugten Personalpronomen fragt. Ich darf also nur mit anderen Menschen reden, wenn ich haargenau weiß, wie sie präzise angesprochen werden wollen. Wenn ich die Formulierung lese, dann spüre ich nachgerade, wer sie verfasst hat. Es muss eine Person sein, die keinerlei Erfahrung mit Öffentlichkeit oder einem Publikum hat. Und vor allem kein Interesse daran, das zu ändern. Es ist gut, Rassismus und Beleidigungen von einem solchen Festival fernzuhalten. Vorzuschreiben, dass man andere erst fragen muss, wie sie präzise angesprochen werden wollen dagegen, macht wirkliche Kommunikation unmöglich. Denn es wird genug Menschen geben, die sich zurecht angegriffen fühlen, wenn man sie nach ihrem bevorzugten Pronomen fragt. Einfache Zufallsbegegnungen in der Kassenschlange oder in der Pause werden zu sozialen Zeitbomben. Das erinnert in seiner Rigidität an das absolute Monarchentum im Barock, wo jede kleine Geste am Kaiserhof eine Bedeutung hatte und sich das auch auf den Theaterbühnen wiederfand. Aber gerade Spontaneität wird dadurch nahezu ausgeschlossen, Empathie da vorgeschrieben, wo sie sich von alleine ergeben sollte. Das ist undemokratischer Mumpitz, der Menschen entmündigt. Wenn wir nicht in der Lage sind, das unter uns zu klären, dann sind wir ohnehin nicht überlebensfähig in der Gesellschaft anderer.


Zum anderen fiel mir jüngst die erstmalige Veröffentlichung eines italienischen Genrefilms in die Hände, welche sorgfältig erstellt worden war und über Zusatzmaterial von sehr klugen und angenehmen Menschen verfügte, die mir zum Teil auch persönlich bekannt sind. Doch die Inhaber des Labels hatten sich leider entschlossen, auf die Hülle des Mediabooks, welches den Film enthielt, „genderfrei“ drucken zu lassen, als ob es ein Qualitätsmerkmal wäre. Es gab Menschen, die das humorvoll fanden, aber die meisten potenziellen oder tatsächlichen Kunden konnten darüber nicht lachen. Denn witzig ist es nicht und läuft auch hier nur darauf hinaus, zu spalten. Eine öffentliche Diskussion wird verkürzt mit einem launigen Statement versehen, das nebenbei von geringer Intelligenz zeugt, denn der Begriff „Gender“ wurde hier komplett nicht verstanden. Gender benennt das soziale Geschlecht im Gegensatz zum rein biologischen und Männer und Frauen tauchen in dem Film sehr wohl auf, er ist also sicher nicht genderfrei. Genderfrei könnte möglicherweise eine Dokumentation über Amöben sein, aber ansonsten wird es sehr schwer. Hier wird mit einem Reizwort operiert, um die eigene Meinung in die Welt zu trompeten. Empathie und Intelligenz fehlen komplett und stattdessen überwiegt bei mir der Ärger darüber, dass da jemand sein Sprachverhalten nicht einfach für sich behalten mag.


Zwischen diesen beiden Extrempositionen also bewegt sich die Kulturvermarktung. Das ist nicht hilfreich und vor allem wenig kompromissfähig. Es bleibt nur, sich von beiden Positionen zu distanzieren, um die Verantwortlichen dazu zu bringen, einen gangbaren Mittelweg zu finden. Wohlgemerkt, ich meine damit nicht die Kultur, sondern ihre Vermarktung, denn Kultur selber darf und muss extrem sein. Die Aufgabe der Distribution ist das aber gewiss nicht.

Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 249

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