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Banca rotta

Dieter Mengwasser, Dipl.-Dolmetscher u. -Übersetzer

Banca rotta – das ist doch nicht deutsch, höre ich Sie sagen. Richtig, das ist nicht deutsch, sondern es soll italienisch sein. ‚banca‘ ist ein Substantiv und heißt auf Deutsch ‚Bank‘. ‚rotta‘ ist die feminine Form des Partizips Präteritum, ‚rompere‘ ist der Infinitiv.


Nun, liebe Leserinnen und Leser, denken Sie bitte nicht, dass ich Sie hier ärgern will. Aber diese Ausdrucksweise mit ‚feminine Form des Partizips Präteritum, ‚rompere‘ ist der Infinitiv‘ soll Anlass zur Fragestellung sein: Wie weit können wir gehen, wenn Menschen mit Fachausdrücken konfrontiert werden? Dabei geht es hier nicht um die Fremdsprache Italienisch. Auch im Deutschen haben wir Partizipien, nämlich das sogenannte Partizip I, damals bei uns in der Grundschule noch ‚Mittelwort‘ genannt. Beispiele: ‚singend, spielend, glänzend, schreiend‘. Dies alles sind Formen des Partizips I, auch als Partizip Präsens bezeichnet, das auch als Adjektiv auftreten kann: ‚der glänzende Spiegel, das schreiende Kind‘ usw. Und dann gibt es das Mittelwort der Vergangenheit, das sogenannte Partizip II, auch Partizip Perfekt genannt: ‚gelesen, geschlagen, verwundet, he-rausgerissen, zerbeult‘ usw. Viele von Ihnen haben solche Ausdrücke der Grammatik in der Schule zumindest gehört, aber, da ja niemals wieder Kenntnisse dieser Art von Ihnen abgefordert wurden, haben Sie sie wieder vergessen. Und einen weitgehenden Lateinunterricht, bei dem Wissen dieser Art nötig sein könnte, gibt es heute in den wenigsten Schulen.


Aber zurück zu ‚banca rotta‘. Italien scheint in der Geschichte des Geldes eine herausragende Rolle gespielt zu haben. Denn viele Ausdrücke, die mit dem Ausreichen von Krediten, dem Wechseln, dem Verleihen und dem Rückzahlen von Geld zusammenhängen, stammen aus diesem Land und sind bei uns, mitunter nach Anpassungen in der Schreibweise, im Deutschen üblich: Konto, Saldo, Kredit, netto, brutto, Skonto u. a. Bereits im Mittelalter gab es in Italien Geldverleiher auf öffentlichen Plätzen oder in Gebäuden; zu ihren Arbeitsgeräten gehörten längere Tische, als ‚banca‘ bezeichnet, an denen die Verhandlungen geführt und die Geldbeträge getauscht wurden. Wenn nun ein Geldwechsler selbst in Schwierigkeiten geriet und seine Geschäfte nicht mehr ausführen konnte, dann wurde seine ‚banca‘ zerbrochen. Auf Italienisch heißt dies ‚banca rotta‘. Aus diesem Ausdruck entstand unser deutsches Wort ‚Bankrott‘ mit seinen Bedeutungen Zahlungsunfähigkeit, Zahlungseinstellung, Insolvenz, Konkurs, Pleite. ‚rotta‘, das Partizip Perfekt, ist abgeleitet von ‚rompere‘ = brechen, zerbrechen.


Es lohnt, sich die zahlreichen Ableitungen aus diesem Verb ‚rompere‘ anzusehen, denn sie werden in unserer deutschen Sprache, aber auch in anderen Sprachen, viel genutzt. Im Französischen bedeutet ‚rompre‘ = brechen, zerbrechen. Das Substantiv hierzu ist ‚rupture‘, also auf Deutsch ‚Bruch, Riss‘. Aus dem Englischen ist Ihnen ‚to interrupt‘ bekannt, ins Deutsche übersetzt mit ‚unterbrechen‘. Von ‚Eruption‘ wird bei einem Vulkanausbruch gesprochen. Und ob ‚coitus interruptus‘ eine sichere Verhütungsmethode ist, das können die Beteiligten einschätzen. Von ‚corruptus‘ (lateinisch = verdorben, schlecht, beschädigt, verletzt, bestochen) stammt unser ‚korrupt‘, ‚Korruption‘.


Dieses Wort ‚Bankrott‘ hat auch Eingang in das deutsche Strafgesetzbuch unter dem Paragraf 283 gefunden. Dieser Paragraf stand in der Vergangenheit unter dem Abschnitt „Konkursstraftaten“, inzwischen ist letzterer ersetzt durch „Insolvenzstraftaten“. Auch in Unterpunkten des StGB wurde ‚Konkurs‘ durch ‚Insolvenz‘ ersetzt (ebenfalls in Zusammensetzungen wie ‚Konkursmasse‘, ‚Konkursverfahren‘). Im allgemeinen Sprachgebrauch ist es jedoch noch üblich, von ‚Konkurs‘ zu sprechen, und daher ist es für uns in unserer Kolumne „Ich spreche Deutsch“ interessant, auch dieses Wort ‚Konkurs‘ näher zu betrachten. Ja, es ist Synonym zu ‚Bankrott‘ und den Erläuterungen Insolvenz, Pleite, Zahlungsunfähigkeit. Abgeleitet ist es vom lateinischen ‚concursus‘, und das bedeutet ‚das Zusammenlaufen‘, ‚der Auflauf‘, ‚das Zusammentreffen‘. Im Zusammenhang mit den Geldgeschäften, von denen oben die Rede war, gab es einen ‚concursus‘, wenn ein Unternehmen Pleite machte, nicht mehr zahlungsfähig war, und die Gläubiger des Bankrotteurs zusammenkamen (‚concursus crēditōrum‘), um das noch verbliebene Vermögen des Schuldners unter sich aufzuteilen.

 

‚Konkurs‘, zwei Silben: ‚kon‘ und ‚kurs‘. Es handelt sich um zwei sehr produktive Silben, das bedeutet, dass sie in sehr vielen zusammengesetzten Wörtern vorkommen, und dies auch in unserer modernen deutschen Sprache. Sehen wir uns ‚kon‘ an. Was gibt es da doch viele Wörter, die mit dieser Silbe beginnen: Konföderation, Konsens, Konflikt, Konfrontation, konsolidieren, Konglomerat, konkurrieren, Kontext, Kommune, Kommunismus, Komposition usw. usf. In allen Fällen geht ‚kon‘ letztlich auf lat. ‚com‘ und die Präposition ‚cum‘ zurück, und diese haben die Grundbedeutung ‚zusammen, gemeinsam mit, zusammen mit, zugleich mit‘. Aber nochmals zu ‚Konkurs‘: Da gibt es im Französischen das Substantiv ‚concours‘. Vorsicht, es ist nicht der Konkurs, wie wir ihn bei uns in Deutschland kennen! Hier haben wir es mit einem „Falschen Freund“ zu tun, denn ‚concours‘ bedeutet ‚Mithilfe, Zusammenkommen; Wettbewerb bei Bewerbungen an einer höheren Lehranstalt; Wettkampf bei sportlichen Veranstaltungen‘. Mit solchen Bedeutungen ist ‚concours‘ auch ins Russische gekommen: ein фотоконкурс ist ein Wettbewerb um das schönste Leserfoto. 


Aufgrund sogenannter Assimilation, d. h. Angleichung von benachbarten Lauten, ist nicht immer erkennbar, dass der Ursprung dieser Wörter auf der Zusammensetzung mit ‚kon‘ oder ‚cum‘ beruht. Bei ‚Komfort‘ ist der Buchstabe ‚n‘ zu ‚m‘ geworden. Dabei ist dieses Wort aus dem Englischen zu uns gekommen und hat die Bedeutung ‚keine Anstrengung verursachend‘ ‚ohne Mühe benutzbar‘: ‚ein komfortables Auto‘, ‚eine komfortable Wohnung‘, ‚komfortabel eingerichtete Hotelzimmer‘, ‚sich komfortabel fühlen‘ (sich wohlfühlen), ‚die Mannschaft geht mit einem komfortablen (durch Gegner kaum aufholbaren) Vorsprung in das Rückspiel‘, ‚eine sehr komfortable Software‘. Im Französischen jedoch wird es ‚confort‘ geschrieben und hat auch die oben genannten Bedeutungen. Oder, wenn das mit ‚kon‘ verbundene Substantiv mit einem Konsonanten beginnt, dann wird das ‚n‘ weggelassen: Kovorsitzender, Kopilot, Koproduzent, Kodirektor, Kopräsident (mögliche Schreibweisen auch Ko-Direktor, Ko-Präsident).


Vielleicht mussten Sie im Rahmen einer Bewerbung auch schon einmal einen Curriculum Vitae abgeben. currere (cursum) (= ‚laufen, rennen, eilen‘, frz. ‚courir‘) ist Ausgangswort für eine sehr große Menge von deutschen Begriffen, angefangen bei der zweiten Silbe von ‚Konkurs‘.  Und in wie vielen Bedeutungen kommt ‚Kurs‘ vor: ‚Preis von Wertpapieren, Devisen, Waren; Wechselkurs von Zahlungsmitteln; Lehrgang; Rennstrecke; Fahrtrichtung; Fahrtroute‘ u. a. Da steht etwas ‚hoch im Kurs‘, ‚es kursieren Gerüchte‘. ‚der Kurier‘ entstammt ebenfalls diesem Verb. Selbst wenn Sie am Computer sitzen und den ‚Kursor‘ bewegen – alles zurückzuführen auf ‚currere‘! Gleiches gilt für ‚konkurrieren‘ = zusammen, miteinander laufen, dem selben Ziel zustreben.


Wie Sie sehen, liebe Leserinnen und Leser, sind im Laufe von Jahrhunderten Wörter aus anderen Sprachen in unsere deutsche Sprache gekommen, häufig in Verbindung mit neuen, bisher in unseren Landen unbekannten Sachverhalten. Könnte es interessant sein zu untersuchen, ob und wie die gegenwärtige Übernahme einer übergroßen Zahl von Ausdrücken aus dem englischsprachigen Raum mit neuen, bisher in unseren Landen unbekannten Sachverhalten verbunden ist?

 


Buch-Tipp: Die Beiträge von Dieter Mengwasser sind als Buch unter dem Titel „Ich spreche Deutsch! – Sprachbetrachtungen eines Sprachkundigen“ erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.

 

Seite 38, Kompakt Zeitung Nr. 252

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