Gedanken- & Spaziergänge im Park:
Rückblicke und Aussichten
Paul F. Gaudi
Das neue Jahr 2023 hat begonnen und die Frage, was es uns bringen wird, bewegt sicher nicht nur Gerd und mich. Er ist recht skeptisch, besonders wenn er an den Krieg in der Ukraine denkt: „Im Spanienkrieg von 1936 bis 1939 probierten die militärisch hochgerüsteten Staaten Italien, Deutschland und die Sowjetunion ihre modernen Waffensysteme dort aus. Kurze Zeit später brach der II. Weltkrieg aus. Ich weiß, du wirst sagen, dass man das doch nicht gleichsetzen kann. Vielleicht hast du recht, aber mir macht es Angst. Dazu kommt noch die sich verschärfende wirtschaftliche Situation und die Inflation. Auch das gab es in Deutschland schon einmal in verschärfter Form 1923, vor genau 100 Jahren. Und auch damals war die letzte Welle einer weltweiten Seuche, die Spanische Grippe, gerade vorbei! Gut, eine gewisse Teuerung begann schon Ende 1922. Aber als Deutschland mit seinen Reparationszahlungen gegenüber Frankreich im Rückstand war, besetzten im Januar 1923 60.000 französische und belgische Soldaten das Ruhrgebiet, besetzten die Betriebe und Verwaltungen. 150.000 Personen wurden in das unbesetzte Deutschland ausgewiesen. Die deutsche Regierung unter dem damaligen Reichskanzler Cuno (1922-1923) rief die Bevölkerung zu Streik und passivem Widerstand gegen die Besatzer auf. Der Widerstand blieb aber nicht nur passiv. Vor allem Kommunisten und Nationalsozialisten führten Sabotage- und Sprengstoffanschläge gegen die Besatzer durch, zum Teil gemeinsam!
Nebenbei bemerkt: Von einer „Brandmauer gegen rechts“ war anscheinend nicht die Rede. Offenbar störte es damals eine Partei nicht, wenn der politische Gegner gleiche Auffassungen vertrat, im Gegensatz zu heute, wo man manchmal lieber den eigenen Standpunkt aufgibt, nur weil eine gewisse Partei die gleiche Meinung vertritt. Da die Reichsregierung für die Löhne der Streikenden aufkam, aber keinerlei Einnahmen aus dem Ruhrgebiet kamen, stieg die Inflation in für uns heute astronomische Höhen. Kostete ein Dollar 1914 4,20 Mark, so kostete er im November 1923 4,2 Billionen! Besser noch ein Beispiel aus dem Alltag: In Berlin kostete ein Ei im Juni 1923 schon 800 Mark, am 1. Dezember unvorstellbare 320 Milliarden Mark! Die Bevölkerung verarmte, ihre Ersparnisse waren nichts mehr wert! Die darauf folgende deutsche Geschichte hat auch in dieser Zeit ihre Wurzeln. In seinem Buch „Die Welt von Gestern“ schrieb Stefan Zweig: „Nichts hat das deutsche Volk – dies muss man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.“ Jetzt verstehst Du vielleicht, warum ich nicht so optimistisch in die Zukunft blicken kann wie unser Kanzler oder der Bundespräsident in ihren Feiertagsreden. Neuerdings bin ich manchmal froh, dass ich nicht unsere Kinder bin!“ Früher hätte ich vielleicht über Gerds letzten Satz gelacht, aber heute?
Sicher, so schlimm wie vor 100 Jahren ist unsere Zeit nicht. Aber positive Zeichen zu einer Trendwende zum Besseren sind auch nicht zu verzeichnen. Im Gegenteil: Der Krieg wird härter und intensiver geführt, die Preise steigen und immer häufiger hört man von Schließungen von Lokalen, Geschäften und Betrieben. Heute gilt es schon als eine Erfolgsmeldung im Rundfunk oder der Presse, wenn verkündet wird, dass im letzten Monat die Inflation nicht so sehr gestiegen ist wie im Monat vorher. Aber gestiegen ist sie doch! Für Otto oder Ottilie Normalverbraucher spielt es keine Rolle, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass die Preise für Autos sich kaum erhöht haben. Die Preise, die sie betreffen, sind die Waren des täglichen Bedarfs, die Strom- und Heizkosten und nicht die großen Investitionen. Der Verbraucherpreisindex für Deutschland ist von Oktober 2021 bis zum Oktober 2022 um 10,4 Prozent gestiegen. Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich im selben Zeitraum aber um 20,3 Prozent! Ein Einzelbeispiel: Der Verbraucherpreisindex für ein Stück Butter betrug noch im Juli dieses Jahres 1,69 €, im November aber 2,24 €. Das ist eine Steigerung um etwa 32 Prozent. Das alles ist auch der Energiepreispolitik der Ampelkoalition zu verdanken. Denn erhöhte Steuern auf Energie und CO2-Ausstoß wirken sich natürlich auf die Fabrikation und auf den Transport der Nahrungsmittel aus und werden selbstverständlich an den Verbraucher weitergegeben. So ist es mit allen anderen Waren und Dienstleistungen.
Nicht für alle ist die Inflation von Nachteil. Die Abgeordneten und Angestellten der EU, einschließlich Frau von der Leyen, erhalten nun zum zweiten Mal in sechs Monaten einen kräftigen Inflationsausgleich von insgesamt knapp 7 Prozent. Automatisch, ohne Streik oder Tarifverhandlungen. Aber manchen reicht das noch nicht: In Brüssel wurde durch die belgische Polizei eine große Bestechungsaffäre aufgedeckt und fünf Personen verhaftet, darunter die griechische Vizepräsidentin Eva Kaili. Dabei wurden 1,5 Millionen Bargeld sichergestellt. Gerd glaubt, dass das nur die vergoldete Spitze des Eisberges ist, denn laut Schätzungen sind mindestens 1.500 Lobbyisten in Brüssel im Auftrag von Konzernen, Unternehmen, Verbänden, Beratungsfirmen und einigen Staaten mit einem Budget von rund 100 Millionen Euro unterwegs, um die Entscheidungen des Brüsseler Parlamentes und der Kommissionen zu beeinflussen. Die Organisation Lobby Control schreibt sogar von 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro! Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo dazwischen. Zum Teil sind die Lobbyisten auch ehemalige EU-Beamte, die natürlich dort bestens vernetzt sind. „Du glaubst doch nicht etwa, dass die Lobbyisten nur mal eine Konzertkarte oder ein Abendessen spendieren“, meinte Gerd. Wir waren uns einig, dass das ein großer Skandal ist. Besonders auch deshalb, wenn man bedenkt, wie rigoros die EU Ungarn behandelt und dem Land die ihm zustehenden Fördermittel und Coronahilfen in Milliardenhöhe wegen angeblicher Korruption vorenthält. Eigentümlicherweise behandelt die EU Bulgarien nicht ebenso, das in schöner Regelmäßigkeit wegen Korruptionsfällen in der Presse erwähnt wird. Vielleicht geht es im Falle Ungarn gar nicht so sehr um Korruption, sondern darum, dass das ungarische Volk entgegen den Wünschen der EU-Politiker seine recht konservative Regierung wiedergewählt hat?
Unsere Regierung versucht durch verschiedene Aktionen die Folgen der Inflation für die Menschen zu mildern. Da gibt es einen Zuschuss zum Wohngeld, zum Kindergeld und einen Heizkostenzuschuss und anderes. Das ist willkommen, bedeutet aber auch, dass der Staat mehr Schulden macht, die z. T. schönfärberisch als „Sondervermögen“ bezeichnet oder auch infantil „Doppelwums“ genannt werden. Nichtsdestotrotz sind es Schulden, die den Geldwert inflationär mindern und irgendwann dem Steuerzahler auf die Füße fallen werden. Die Inflation wird aber vermutlich noch steigen, da immer neue Gesetze zum „Klimaschutz“ verordnet werden, wie z. B. die Vorschriften für die Wärmedämmung von Gebäuden, auch von Altbauten, die die Mieten zwangsläufig verteuern werden, noch dazu in einer Zeit, wo Material und Handwerksleistungen aus den vorgenannten Gründen schon teuer geworden sind. Kontraproduktiv zu der Sparsamkeit ist das sture Beharren der Regierung auf dem endgültigen Abschalten der Kernkraftwerke und dem vorgezogenen Ende der Kohlekraftwerke. Stattdessen wird von einer Wasserstoffwirtschaft fantasiert, die erst noch Zukunftsmusik ist und deren derzeit mögliche Variante „Blauer Wasserstoff“ nicht umweltfreundlich ist, da zu seiner Herstellung erstens klimaschädlich Gas oder Kohle verbrannt werden muss und zweitens mit dem so produzierten Wasserstoff weniger Energie gewonnen wird, als zu seiner Herstellung verbraucht wurde! Aber wen stört das schon, wenn es um das Prinzip geht. Wolkenkuckucksheime sind ganz billig zu planen, aber furchtbar teuer in der Ausführung – wenn sie überhaupt möglich sind.
Gerne benutzen die Regierenden Begriffe, die bedeutsam klingen, aber eigentlich keinen erkennbaren oder klar definierten Inhalt haben. Es sind gewissermaßen verbale Hohlkörper. Wohlgemerkt um Missverständnisse zu vermeiden: Die Begriffe, nicht die Politiker! So spricht Frau Baerbock von einer „wertebasierten Außenpolitik“. Das bedeutet eigentlich gar nichts oder jedenfalls nichts Bestimmtes. Denn jede Außenpolitik jeden Staates war und ist „wertebasiert“. Es sind eben nur recht unterschiedliche Werte, die verschiedene Staaten für wichtig erachten. Die grüne Parteivorsitzende Ricarda Lang wollte nun hinter Frau Baerbock nicht zurückstehen und forderte kurz vor Weihnachten eine „feministische Wirtschaftspolitik“. Aber wie sieht die aus? Davon sagte sie wenig. Wie auch? Laut ihrer Biografie stand Frau Lang nie in einem Arbeitsverhältnis in der Produktion oder der freien Wirtschaft. Gerd fiel dazu der Jahresrückblick der ARD mit Dieter Nuhr ein. Nuhr sagte: „Den Beruf Politiker lernt man nicht, sondern man wird dazu gewählt. Ich bin bloß froh, dass das bei Elektrikern nicht auch so ist!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Seite 11, Kompakt Zeitung Nr. 224