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Ist das Wissen oder kann das weg?

Thomas Wischnewski

Wissen – das ist ein komisch Ding. Alle glauben, es zu haben und brauchen doch Quellen, an denen sie die Richtigkeit ihres Wissens nachweisen können. Da erheben sich die selbstvergewisserten Wissenden über die angeblich Unwissenden, aber die Unwissenden wissen letztlich wiederum davon, wovon die Wissenden nichts wissen können. Was ist verbrieft? Was sollte man wissen? Und wer weiß, was man wissen sollte? Wissen wir, dass Wissende wissen, ob sie wirklich Wissen verbreiten? Wer Bescheid weiß, wird in vielen Fällen anderen kein Wissen vorschreiben, sondern Angebote unterbreiten, Wissen zu wählen. Die einen haben auf manchen Gebieten Wissen, andere auf anderen Gebieten.

 

Inzwischen verbreitet sich vor allem innerhalb der älteren Generation die oft zugespitzte Behauptung, dass junge Menschen „nichts“ mehr wissen würden. Selbstverständlich gibt es zwischen Generationen, die sich ihre Wissensschätze in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts als junge Menschen aneigneten und den sogenannten Generationen XYZ, die in eine Onlinewelt hineingeboren wurden, Unterschiede. Grundlagen wie Lese- und Schreibfähigkeiten, Mathematik und naturwissenschaftliche Kompetenzen bleiben genauso wichtig wie zuvor. Die Welt und ihre Wirkmechanismen werden nicht verstanden, wenn man die Fundamente dafür nicht verinnerlicht hat. Hier werden Wissensmängel heute vielfach zurecht kritisiert. Die PISA-Ergebnisse aus Deutschland sind dafür ein trauriger Beleg.

 

Allerdings werden für das moderne Leben mit seinen vielfältigen Computereinflüssen, ihren virtuellen Sphären und Anwendungsveränderungen eben auch neue Kompetenzen abverlangt. Solche verinnerlichen Heranwachsende oft nebenher. Häufig, wie wir wissen, überblicken ältere Menschen die Dynamik, die von dieser neuen Welt ausgeht, nicht mehr. Nun werden von der Generation in der sogenannten dritten Lebensphase keine neuen Erfindungen oder bahnbrechende Ideen erwartet. Es ist jedoch zu vermuten, dass die entstandene Diskrepanz in Wissenspotenzialen auch zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt. Auch wenn nachfolgende Generationen bereits vor tausenden Jahren in der Kritik standen, scheinen die gegenseitigen Bewertungen weiter auseinanderzudriften. „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.“ So steht es schon vor rund 3.000 v. Chr. auf einer Tontafel der Sumerer geschrieben.

 

Die Technik, die heute allgegenwärtiger Lebensbegleiter ist, funktioniert nicht ohne Mathematik. Das, was manchmal massenhafte Verbreitung findet – angeheizt durch Algorithmen – kann großer geistiger Quark sein, entfernt von jedem verbrieften Wissen. Die sozialen Medien sind voller privater Verheißungen, schäumen über an politischen Wünschen, Ziele, Prognosen und Pseudo-Deutungen vernebeln einen klaren Blick, verschleiern Wissen und unterlaufen Erkenntnisse. Und je mehr sich ein heranwachsender Mensch dieser Welt ausliefert, um so faszinierter, interessierter und beeinflusster wird sein aufsaugender Geist in diesem Nebel umherirren.

 

Natürlich sollen Menschen nach ihrer Façon leben. Dass soziale Geschlechtervorstellungen eine Vielfalt hervorgebracht haben, liegt eben auch an den Kreativitätspotenzialen unseres Hirns, dass in seinem intensiven Zusammenspiel mit Hormonen eben eine neue innere Vorstellungswelt erschaffen kann. Allerdings laufen deshalb in einer Zelle noch immer dieselben Stoffwechselprozesse ab. Und da-rüber sollte man etwas wissen.

 

Inzwischen operieren eine Menge Menschen an der deutschen Sprache herum, ohne jemals etwas von der Entwicklung der Sprachphilosophie, von deren Protagonisten, noch von deren Schriften gehört oder gelesen zu haben. Es werden Behauptungen aufgestellt, weitergetragen und schließlich fortgeschrieben, ohne über einen Schimmer an sprachphilosophischer Kompetenz zu verfügen. Studierende im Fach Journalismus erfahren innerhalb ihrer Ausbildung nichts dazu. Aber sie sind fest davon überzeugt, Sprachkompetenzen zu besitzen, den Hintergrund von Begriffsdimensionierung oder Vorstellungsprojektionen zu verstehen.

 

Mit der Schnelllebigkeit und dem Zuwachs heutiger Wissenswelten müssen wir uns arrangieren. Und doch bedarf es eines Zurückblickens. Wenn eine Familie durch die Stadt spaziert und das Kind fragt, wer auf dem Denkmalssockel steht, können Eltern vielleicht erklären, dass dies ein Bismarck war und die Person in den historischen Zusammenhang der Kolonialzeit einordnen. Stehen im öffentlichen Raum keine Zeugnisse vergangener Epochen – weil sie dem Trend einer „Chancel Cultur“ zum Opfer fallen, werden Kinder keine Fragen stellen, geschichtliche Ereignisse aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwinden und eine angemessene Einordnung unmöglich sein. Um zu wissen, was bedeutsames Wissen ist, muss man auch scheinbar Unbedeutendes erkennen. Alles Wissen ist wichtig. Deshalb darf Altes nicht vergessen werden, naturwissenschaftliche Grundlagen nicht zurückgeschraubt und Verbindungen mit allem Neuen hergestellt werden.

 
 

Seite 13, Kompakt Zeitung Nr. 226

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