Ein Frühling vor 50 Jahren
Thomas Wischnewski
Der Albin-Müller-Turm im Stadtpark soll einen Anbau erhalten. Bereits vor drei Jahren hatte sich der Magdeburger Stadtrat dazu positiv positioniert. Derzeit sind Hyparschale und Stadthalle Baustellen. 2024 könnte dann eine weitere dazukommen. Der Anbau soll dann auch ein neues Café sowie Räume für einen Souvenirladen und Toiletten beherbergen. Das einstige Café in der Spitze des Turmes wird nicht wiederbelebt. Eine wirtschaftliche Betreibung sei aufgrund der geringen Platzkapazität nicht realisierbar.
Eva und Arno-Udo Pfeiffer schauen mit ein wenig Wehmut auf das verwaiste Café im Turm. Schließlich waren die beiden mit der Eröffnung vor 50 Jahren, nämlich am 7. April 1973, das erste Betreiberpaar für die Turm-Gastronomie. Eva und Arno-Udo hatten sich 1972 während der Kellner-Ausbildung im Ratskeller kennengelernt und im März 1973 geheiratet. Arno-Udos Vater, Heinz Pfeiffer war ebenfalls Gastronom und in den 1970er Jahren Leiter der entsprechenden Betriebe im Stadtpark. Das Turmcafé galt zu der Zeit als sogenanntes „Jugendobjekt“. Und deshalb wurde dem jungen Paar der Betrieb übertragen.
Die damals angebotenen Kaffeespezialitäten hießen „Kaffee schwarz“, „Kaffee mit Milch“, „Kaffee mit Zucker“ sowie „Kaffee komplett“. Außerdem gab es „Selters“ und „Club Cola“. Alkohol gehörte anfangs nicht zum Angebot. Als Speisen konnte man „Wiener Würstchen“ mit Brot sowie eine kleine Auswahl an Kuchen bestellen. Wegen des kleinen Gastraumes war der Aufenthalt auf eine Stunde begrenzt. Doch in der Anfangszeit war das Café belebt. Die Gäste standen Schlange und nahmen lange Wartezeiten in Kauf. Bereits nach vier Wochen begrüßte das Café-Personal die tausendste Besucherin.
Aber nicht nur beim Otto-Normal-Magdeburger war der Ausblick vom Turmcafé aus beliebt. Auch die damaligen Stadtoberen hielten sich hier gern auf und luden Gäste der Stadt ein. Dann war das Angebot vielfältiger. Es gab bei solchen Gelegenheiten auch Bier, Wein, Sekt, Spirituosen, ein kaltes Büfett u. a. mit Ölsardinen, Hähnchenkeulen, ungarischer Salami, Weintrauben und Äpfeln. Tatar samt Eigelb nebst Sardellenring gab es ebenfalls. Letzteres bestellte gern der damalige Oberbürgermeister Werner Herzig. Herzig galt bald als ständiger Stammgast und er lud nach dort oben ausgewählte Stadt- und Parteifunktionäre sowie prominente Gäste ein, die gerade in der Stadthalle gastierten. David Oistrach, Karel Gott und Frank Schöbel gehörten beispielsweise dazu.
An ein Missgeschick in der Anfangszeit erinnert sich Arno-Udo auch noch: „Ich goss einem Mitglied der SED-Bezirksleitung, einem gewissen Heinz Hanke, eine ganze Dose Ölsardinen über die Anzughose. Der Mann nahm es allerdings überraschend gelassen. Er meinte: Ach, das sieht keiner, ist doch ein Präsent-20-Anzug.“
Die gastronomische Laufbahn von Arno-Udo Pfeiffer dauerte jedoch nicht lange. Bereits im Mai 1973 musste er den Pflichtwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee antreten. Nur Ehefrau Eva arbeitete noch eine Weile weiter im Café. Nach der Armeedienstzeit studierte Arno-Udo Pfeiffer Geschichte und Literatur. War dann wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Magdeburger Universität und später Fachschullehrer für Ästhetik und Literatur am Institut für Lehrerbildung in Staßfurt. Bekannt wurde er ab den 1990er Jahren als Radiomoderator und TV-Journalist beim MDR und bis vor kurzem trat er noch als Schauspieler am „Theater in der Grünen Zitadelle“ auf.
Der Frühling vor 50 Jahren war für Eva und Arno-Udo Pfeiffer der Beginn eines neuen, kurzen Lebensabschnitts, auf den viele weitere Wegabzweigungen folgten. Ihre Geschichte ist Geschichte, genauso wie das Café in der Spitze des Albin-Müller-Turms für Magdeburg nur noch aus Erzählungen lebendig werden kann.
Seite 21, Kompakt Zeitung Nr. 227