Wer trägt wessen Last?

Thomas Wischnewski

Die Jugend ist die Zukunft! So wird das verstanden, wenn die nachfolgende Generation in die Fußstapfen ihrer Eltern und Großeltern treten soll. Das erscheint heute etwas komplizierter zu sein als noch vor 20 Jahren. Wir haben da die sogenannte „Letzte Generation“, die sich deshalb so nennt, weil sie angeblich die letzten seien, die sich dem „totbringenden“ Klimawandel entgegenstellen können und Angst vor einer bedrohlichen Zukunft haben. Für das apokalyptische Szenario trügen die Eltern- und Voreltern-Generationen Verantwortung. Ja, die Frage ist wichtig: Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern?

 

Die Debatte um menschengemachte Änderungen des Klimas verengt allerdings wirkmächtigere Einflüsse, die in den nächsten Jahren auf Deutschland zukommen. Und das, was zum Beispiel über den sogenannten Fachkräftemangel so geredet wird, blendet manche Realität aus. Wer erbringt hierzulande welche Leistung und sorgt letztlich für all die Leistungskraft, die das Geld für Bildung, Landesverteidigung, Gesundheitssystem, Justiz, Wirtschaftsförderung und Klimaschutz-Projekte bereitstellt? Hört man auf die zahlreichen Verlautbarungen zum Thema Fachkräftemangel, ist es um die Bundesrepublik schlecht bestellt. Der demografische Wandel wird im nächsten Jahrzehnt die sogenannten Babyboomer ins Rentensystem spülen. Genügend Nachfolger, die deren Plätze einnehmen und für den Fortgang an Wirtschaftskraft sorgen, sind aufgrund ständig geringer gewordener Geburtenraten kaum vorhanden.

 

Eine düstere Prognose dazu lautete: Mitte des Jahrhunderts werden deutlich weniger Menschen in Deutschland leben, möglicherweise sogar weniger als 70 Millionen. Die Zahl der Erwerbstätigen könnte auf 38,6 Millionen schrumpfen, also um rund ein Drittel. Gleichzeitig würde ein Drittel der Bevölkerung 65 Jahre oder älter sein. Ob das eintritt, weiß niemand. Doch blicken wir auf die aktuellen Zahlen: Mit 45,6 Millionen Menschen gab es noch nie so viele Erwerbstätige in der deutschen Geschichte. Auch die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist mit 34,4 Millionen so hoch wie noch nie zuvor. Die Superlative lassen sich fortsetzen: Jede Woche hören und lesen wir über den „Lehrermangel“. Und dass, obwohl es mit 799.314 registrierten Lehrkräften im vergangenen Jahr noch nie so viele Pädagogen gab. Dafür weiß das Bundesamt für Statistik, dass inzwischen 41 Prozent der Lehrer in Teilzeit arbeiten.

 

Zugenommen hat über die Jahre auch ebenso die Anzahl in Deutschland tätiger Mediziner. Ende des Jahres 2021 verzeichnete die Bundesärztekammer deutschlandweit rund 416.120 berufstätige Ärzte. Verglichen mit dem Jahr 1990 hat sich die Zahl berufstätiger Ärzte damit um rund 65 Prozent erhöht. Auch im Gesundheitssystem wird ebenfalls ständig von einem Ärztemangel gesprochen. Jahr für Jahr stiegen bisher die absoluten Zahlen in markanten Beschäftigungsbereichen und dennoch wird immerzu über einen Mangel an Fachkräften schwadroniert.

 

Man findet die Diskrepanz in einer unterschiedlichen Leistungsbereitschaft bei den Generationen. „In Deutschland stehen die Menschen länger im Erwerbsleben als noch vor zehn Jahren. Der Anteil erwerbstätiger Männer und Frauen im Alter von 55 bis 64 Jahren ist von 62 Prozent im Jahr 2012 auf knapp 72 Prozent im Jahr 2021 gestiegen.“ Das berichtete das Bundesamt für Statistik am 19. Januar dieses Jahres. Nun verzeichnen wir nicht nur eine schrumpfende Anzahl nachrückender Erwerbstätiger bei Jugendlichen, die in die Berufsausbildung gehen oder studieren wollen. Gleichzeitig legen die Jüngeren heute größeren Wert auf Teilzeitarbeit bzw. wollen nicht mehr so lange arbeiten wie vielleicht noch ihre Eltern. In der aktuellen Bevölkerungsprognose rechnet das statistische Bundesamt in den nächsten 15 Jahren selbst bei einer Nettozuwanderung von 1,6 Millionen Menschen mit einem Sinken der Erwerbstätigen im Alter von 20 bis 66 Jahren um rund 4,8 Millionen Menschen. Vielleicht sollte hier für die Leistungsfähigkeit noch die durchschnittliche Wochenarbeitszeit angeführt werden. In Deutschland liegt diese aktuell im Schnitt bei 34,8 Wochenstunden. Im EU-Vergleich arbeiten übrigens die Griechen durchschnittlich 41,7 Stunden pro Woche. Man bedenke, dass diese Durchschnittswerte bereits die in Teilzeit Arbeitenden berücksichtigen. Noch eine Vergleichszahl, weil man in Deutschland gern neidisch auf das frühere gesetzliche Renteneintrittsalter in Frankreich schaut. Bei einer Lebensarbeitszeit von angenommenen 40 Jahren kommen die Franzosen bei einer Wochenstundenzahl von 37,1 auf rund 77.800 Lebensarbeitsstunden. Die deutsche Vergleichszahl beträgt dagegen nur rund 72.400 Stunden.

 

Blickt man außerdem auf die exorbitant gestiegene Staatsverschuldung, die sich durch Corona-Hilfen und nun den Aufwuchs für Verteidigungsausgaben angesammelt haben, erscheint der Schuldenberg, der auf künftigen Generationen lastet, kaum bewältigbar. Gleichzeitig sollen aber die heutigen Leistungsträger bei den Älteren noch viel höhere Investitionen in emissionsarme Technologien schultern. Selbst wenn die Zuwanderung ausreichender und leistungswilliger Menschen aus anderen Teilen der Welt nach Deutschland gelänge, ist schwer vorstellbar, dass nachfolgende Generationen die Leistungskraft ihrer Vorgenerationen erreichen werden. Wachstum wird es wohl deshalb nicht endlos geben. Das kann man positiv bewerten. Damit einher geht jedoch automatisch der Verlust von Wohlstand. Ob also künftige Generationen weiterhin deutsche Spitzenleistungen in Technologie und Fortschritt erzeugen können, bleibt angesichts der Leistungsdaten fraglich.

Seite 18, Kompakt Zeitung Nr. 227

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