Zurück auf null
Rudi Bartlitz
Die Handball-Bundesliga hat ab August einen neuen TV-Partner. Dyn statt Sky: Erstmals löst ein Streaming-Dienst einen linearen Sender ab. KOMPAKT sagt, auf was sich der Zuschauer einzustellen hat.
Alles zurück auf null. So könnte, notgedrungen, das Motto all derjenigen lauten, die die Handball-Bundesliga bisher live im TV verfolgten. Und das sind, wir wissen es, in Magdeburg und Umgebung nicht gerade wenige. Nun findet in diesem Sommer gewissermaßen ein Stabwechsel statt: Der Bezahlsender Sky hat die Übertragungsrechte an der Liga verloren und muss gehen – Dyn übernimmt.
Dyn was? könnte nun der unbescholtene Laie fragen. Die Antwort: Dahinter verbirgt sich ein neuer Streaming-Dienst, der im August seinen Sendebetrieb aufnimmt. Gründer und Gesellschafter von Dyn Media ist Christian Seifert, der ehemalige Chef der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Mit an Bord, vor allem wirtschaftlich: der Springer-Konzern. Der neue Streaming-Dienst sei die Zukunft des Sportfernsehens, behauptet Seifert. Wieviel Wunschdenken dahinter steckt, sei einmal dahingestellt. Und er fügt selbstbewusst hinzu: „Dyn wird mehr sein als ein Sportsender. Herzstück unseres Konzepts ist die Partnerschaft mit dem Sport und für den Sport. Indem wir mehr frei empfangbare Inhalte bereitstellen als jemals zuvor, steigern wir die Sichtbarkeit der Ligen und Wettbewerbe deutlich.“
Was sofort ins Auge fällt: Fußball fehlt im Portfolio. Bewusst, heißt es vom Sender. Die mit Abstand populärste (und damit teuerste) Sportart haben die Dyn-Macher von vornherein ausgeschlossen. Bei den dort aufgerufenen Preisen für die Übertragungsrechte mehr als nachvollziehbar. Ob sich dies am Ende aber nicht als Pferdefuß des Gesamtkonstrukts darstellt, wird sich in der Praxis erweisen. Erfahrungen jedenfalls liegen bei Dyn keine vor, der Redaktionsbetrieb musste in den zurückliegenden Monaten regelrecht aus dem Boden gestampft werden.
Neben dem Handball – wo auch die 2. Liga, der DHB-Pokal und durch entsprechende Sublizenzen die Bundesliga der Frauen sowie internationale Wettbewerbe wie European League und Champions League übertragen werden – kommen die Basketball-Bundesliga, die Volleyball-Bundesliga der Männer, die Tischtennis-Bundesliga und die Hockey-Bundesliga hinzu. Zu empfangbar sein wird all das über internetfähige Fernseher, PCs, Laptops, Tablets und Smartphones.
Mehr als 100 Millionen Euro hat Dyn eigenen Angaben zufolge in einen Sechsjahresvertrag mit der Handball-Bundesligavereinigung HBL investiert. Die Fans, heißt es, dürfen sich ab diesem Sommer auf ein einzigartiges Paket der Berichterstattung freuen. „Das ist das größte Investment, das es je gab in der Geschichte des Handballs“, frohlockt Dyn-Gründer Seifert. „Das leistet man nur, wenn man davon überzeugt ist, dass sich das lohnen kann.“
Natürlich ist nicht zu übersehen, dass sich Streaming in den letzten Jahren in der Sportberichterstattung immer kräftiger zu Wort gemeldet hat – auch international. Das gilt nahezu für alle Sportarten. In den USA streamen einige Ligen ihr Angebot inzwischen völlig autark und aus eigener Kraft. Auf die Frage, welcher Sport sich hierzulande im Livestream etablieren werde, meinte Dirc Seemann, Chefredakteur von Sport1, schon 2019 auf der Mediaconvention „republica“: „Das werden die Sportarten sein, die jetzt auch olympisch nachrücken, die halt eben jung sind. Du orientierst dich ja mit Streamingplattformen an den Sehgewohnheiten der Zuschauer. Die jungen Zuschauer sind eben nicht mehr gewohnt, lineares Fernsehen so intensiv zu nutzen, da werden die auch ihre jungen Sportarten da gucken.“
Der bevorstehende Umbruch seiner Sportart im TV lässt Bob Hanning, Deutschlands Handball-Mastermind schlechthin und Manager des Bundesligisten Füchse Berlin, regelrecht ins Schwärmen geraten. „Ich freue mich sehr“, schrieb er in seiner „Kicker“-Kolumne, „dass wir dort ein richtiges Zuhause für den Handball haben mit Champions League, European League, Bundesliga und 2. Bundesliga.“ Hanning nennt damit einen der Gründe, warum sich die HBL gegen Sky und für Dyn entschieden hat: ein umfassendes Angebot bei nur einem Anbieter. „Über Dyn können wir, das ist meine klare Meinung, als Sportart nochmal explodieren.“ Dies hatte Hanning zuvor bereits in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen“ erklärt: „Wir haben uns doch wirklich gut aufgestellt. Wir haben als Liga einen gigantischen neuen Fernsehvertrag. Sky hat uns auf ein neues Level gebracht, und dann leider nicht weiterentwickelt. Dyn bringt uns auf ein neues Niveau.“
Explodieren? Und das gleich „nochmal“? Trotz derart viel Lob und Überschwang, für die Hanning in der Szene ja bekannt ist, sollten Schwachstellen im System nicht übersehen werden. Die Wichtigste: Auch Dyn ist nicht für einen Apfel und ein Ei zu haben. Und umsonst schon gar nicht. Zwischen 12,50 und 14,50 Euro ist das Monats-Abo annonciert. Moment, werden jetzt manche einwenden, für Sky mussten wir doch auch bezahlen. Richtig, aber da gab es eben eine ganze Portion Fußball dazu. Unter anderem die 2. Liga – mit dem 1. FC Magdeburg! Wer künftig hierzulande also FCM und SCM live und in voller Länge sehen will, wird zweimal zur Kasse gebeten.
Es ist nicht nur das Pekuniäre, das derzeit Fragen offenlässt. Genauso wichtig: Wie steht es um das Journalistische? Wie ist Dyn da aufgestellt? Der heutige Stand der Technik lässt es natürlich problemlos zu, irgendwo eine oder mehrere Kameras zu installieren und dies dann – in allerhöchster Not auch ohne qualifizierten Kommentar – dem Kunden anzubieten. Aber der Zuschauer erwartet neben der reinen Live-Wiedergabe eines, sagen wir: hochklassigen Handballspiels, mehr. Fundierte Kommentare, Expertenmeinungen, Vor- und Nachberichterstattung. Und, ja, auch kritisches Hinterfragen. Da leis-tete Sky in den zurückliegenden sieben Jahren vielgelobte Arbeit und setzte durchaus Standards.
17 Millionen Menschen sollen sich laut von Dyn zitierten Studien für die Sportarten interessieren, die man im Portfolio führe. Aus diesem Pool will Seifert seine Kunden werben. „Wenn all die Fans, die über Jahre hinweg gesagt haben: Mensch, irgendwie nimmt uns keiner so richtig ernst, wir wollen eigentlich mehr, wir wollen mehr gewertschätzt werden. Wenn die alle zu uns kommen, dann sind wir da schon nah dran.“ Klare Ziele will Seifert aber noch nicht nennen. Er verweist nur auf bisherige Reichweiten, die diese Sportarten bei den Konkurrenten erreicht haben: „Da werden wir mit wenigen Zehntausend Zuschauern am Jahresende sicherlich nicht zufrieden sein.“
Von einem „Drahtseilakt“ beim Dyn-Projekt spricht hingegen einer der profiliertesten Wissenschaftler im Bereich Sport und Journalismus, Prof. Dr. Thomas Horky von der Hamburger Hochschule Macromedia. „Es wird sich zeigen, wie sie die Rechte vermarkten können. Denn Dyn ist ja nicht der erste Versuch, andere Portale haben es bisher nie geschafft“ sagte er dem Fachjournal „Sportjournalist“. Die Frage sei, „wie die Inhalte an den Kunden gebracht werden. Die Remote-Technik lässt sich allenfalls für die Live-Spiele nutzen. Aber auch da sind die Zuschauer an gewisse Standards gewöhnt. Sie muss man produzieren, denn hat man sie nicht, wird es schwierig. Darüber hinaus müssen weitere Inhalte extra produziert werden.“ Das könne, so ist herauszuhören, teuer werden. Zumal „der Kreis der potenziellen Seher“, Handball vielleicht einmal ausgenommen, „sehr gering ist. Bislang ließ sich ein solches Portal nicht profitabel betreiben, und ich sehe nicht, was sich daran geändert haben sollte. Zumal die Schere zwischen Fußball und dem Rest des Sports durch die Corona-Zeit noch weiter auseinander gegangen ist.“
Nun hat Dyn in den letzten Tagen durchaus vollmundig verkündet, es habe ein qualifiziertes redaktionelles Team zusammen. 20 Namen tauchen allein im Handball auf einer Liste von Reportern, Moderatoren und Experten auf, darunter auch die von Stefan Kretzschmar, Pascal Hens und Andy Schmid. „Wir konnten ein hervorragendes Team für uns gewinnen, das unsere Live-Spiele und weitere Formate präsentieren wird“, so Seifert. Erstaunlich: Unter den Reportern ist auch ARD-Mann Florian Naß, der derzeit fürs „Erste“ die Tour de France kommentiert. Ab Herbst wird er für Dyn zusätzlich in seinem zweiten „Hauptfach“, dem Handball, tätig sein.
Und noch einen Trumpf glauben Seifert und die HBL in der Hand zu halten: einen Vertrag mit ARD und ZDF. Neben Live-Übertragungen umfasst die für vier Jahre geschlossene Vereinbarung auch die Berichterstattung zwischen den Spieltagen. Neben den Spielbildern für eine Highlight-Berichterstattung direkt am Spieltag erhalten die öffentlich-rechtlichen Sender Spielbilder zur Nutzung in allen Sendeformaten von ARD, ZDF und Dritten Programmen sowie Clips aller Spiele zur Verwendung in ihren Digitalangeboten wie Mediatheken und sozialen Medien. „Die Vereinbarung mit Dyn gibt uns auch zukünftig die Möglichkeit, regelmäßig ARD-weit von den wichtigen nationalen Ligen zu berichten. Vor dem Hintergrund, dass wir in unseren Sport-Angeboten möglichst vielfältig und abwechslungsreich berichten wollen, ist diese Zusammenarbeit für uns sehr wichtig“, ergänzt ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky.
Also, schau`n wir mal, was das neue Produkt bringt – und wer dafür bereit ist zu zahlen. Die Premiere steigt am 23. August, selbstverständlich mit Handball. Zumindest von der Ansetzung her erscheint der Auftakt vielversprechend: Beim Pixum Super Cup treffen der deutsche Handballmeister THW Kiel und Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen aufeinander.
Seite 36/37, Kompakt Zeitung Nr. 236