Der Muster-Legionär
Rudi Bartlitz
Mit 38 Jahren steht Robert Weber immer noch in der österreichischen Nationalmannschaft – auch bei der EM in Deutschland. Zehn Jahre lief er im Trikot des SC Magdeburg auf.
Publikumslieblinge hat es in der langen Geschichte des Magdeburger Handballs viele gegeben. Zu jeder Zeit. Und es waren nicht nur Einheimische, die sich der besonderen Gunst der Fans erfreuten. Beste Beispiele aus der Nachwende-Zeit sind solch begnadete Ballkünstler wie der Franzose Joel Abati, später sogar Ehrenbotschafter der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt, der polnische Kreisläufer Bartosz Jurecki oder derzeit der Isländer Gisli Kristjansson und der Däne Mikael Damgaard. Alles Spieler aus Nationen, bei denen der Handball hoch im Kurs steht. Dass es auch ein Österreicher in die erlesene Garde der vom Publikum besonders Verehrten schaffte, ist da schon nicht mehr so alltäglich. Doch Robert Weber gelang genau dies.
Und so begann alles: Irgendwann im Juni 2009 klingelte beim damaligen SCM-Präsidenten Eckhard Lesse das Telefon und ein junger Mann mit österreichischem Akzent meldete sich: „Hier spricht Robert Weber. Ich denke, in vielleicht zwei, drei Stunden bin ich dann da.“ Lesse, seinerzeit interimsmäßíg auch Geschäftsführer der Handballer, war irritiert. Wie jetzt, Robert Weber? Der schob gleich noch eine weitere Hiobsbotschaft hinterher: „Der Möbelwagen der Familie kommt dann unmittelbar hinter mir.“
Da war guter Rat wahrlich teuer – und Improvisationstalent gefragt. Denn irgendwie (und irgendwo) war in den Wirrungen der damaligen bewegten SCM-Zeiten wohl untergegangen, dass die Grün-Roten für den Saisonstart im Juli auf der Rechtsaußenposition einen neuen Spieler verpflichtet hatten: eben jenen Robert Weber. Zugegeben, ein in der großen weiten Handballwelt bis dato relativ unbeschriebenes Blatt. Einer, der zuletzt fürs Bundesliga-Kellerkind HBW Balingen aufgelaufen war. Allerdings nicht unbekannt genug, als dass dem Kennerblick eines Stefan Kretzschmar, vormals Sportdirektor des Clubs, das außergewöhnliche Talent des kleinen Linkshänders verborgen geblieben wäre. Und er ihn mit seiner Überzeugungskraft nicht umgehend nach Magdeburg gelotst hätte. Nach nur einem Jahr bei den Galliern von der Alb.
Es sollten für den heute 38-Jährigen, der einst in Bregenz aufgebrochen war, die Handballwelt zu erobern, zehn überaus erfolgreiche Jahre an der Elbe werden. Eine Laufzeit, die heute nur noch wenige Profis bei einem Verein in der selbsternannten stärksten Liga der Welt vorweisen können. Selbst wenn an Triumphe und Pokale, wie sie der SCM heute im Jahresrhythmus einfährt, seinerzeit nicht einmal im Traum zu denken war.
Schnell spielte sich Weber mit seiner unbekümmerten Art in die Herzen der Zuschauer. Mit seiner offenen Art sammelte der Austro-Strahlemann Sympathiepunkte en masse. „Ich fühle mich hier einfach pudelwohl“, diktierte er Reportern seinerzeit oft in die Notizbücher. Noch wichtiger: Auf dem Spielfeld gehörte er bald zu den absoluten Leistungsträgern. In der Saison 2014/15 wurde er mit 271 Treffern sogar als erster Spieler des SC Magdeburg überhaupt Torschützenkönig der Handball-Bundesliga. Der Pokalgewinn im Jahr darauf – der erste größere Erfolg der Elbestädter wieder seit nahezu einem Jahrzehnt – wurde von der Handschrift des Österreichers mitgeprägt. Mehr noch: In Magdeburg reifte der Mann, der zu den sichersten Siebenmeter-Schützen der Liga zählte, zu einem der besten Rechtsaußen der Welt heran. In seinem Heimatland galt er als bester Legionär, den das Alpenland bis dahin je besessen hatte.
Er war 34, als er 2019 in Magdeburg verabschiedet wurde. Er wäre, dies nur nebenbei, gern geblieben. Damals schien es zunächst so, als sollte sich die Erfolgsgeschichte Webers, der für die Nationalmannschaft seines Landes 213 Länderspiele (940 Tore) bestritt, langsam ihrem Ende nähern. Hinzu kam: Mit der HSG Nordhorn, wohin er vom SCM gewechselt war, stieg er 2021 in die 2. Bundesliga ab. Doch der Handball-Freak wollte einfach noch nicht loslassen. Als sich nichts anderes anbot, wechselte er 2022 eben in eine Diaspora der Ballwerfer, nach Griechenland, zu Olympiakos Athen.
Doch, oh Wunder, ausgerechnet am Fuße der Akropolis erreichte ihn noch einmal ein Ruf aus der Bundesliga. Es war beileibe kein Abstiegskandidat, der da lockte, sondern das Spitzenteam der Füchse Berlin, das für seine verletzte Dänen-Ikone Hans Lindberg dringend Ersatz suchte. Bei den Hauptstädtern sorgte Weber dann noch einmal für einen echten Knall: Am 11. Mai dieses Jahres erzielte er sein 2500. Bundesligator. Er ist damit in der deutschen Elite-Liga einer der fünf besten Torschützen aller Zeiten.
Als nun um den Jahreswechsel herum in vielen Staaten des Kontinents die letzten Vorbereitungen für die im Januar in Deutschland stattfindende Europameisterschaft getroffen wurden, tauchte auf der Liste des österreichischen Coachs Ales Pajovic – einst auch beim SCM unter Vertrag – erneut der Name Robert Weber auf. Zwei Monate zuvor war er nach kurzer vertragsloser Zeit in die heimische Liga zurückgekehrt. Er unterschrieb beim Erstligisten aus Bärnbach/Köflach; ein kleiner Ort, in dem die weltberühmten weißen Lipizzaner der Wiener Hofreitschule aufgezogen werden. Nach 15 Jahren in der Fremde. Ein Kreis schloss sich. Als Weber in der Halle vorgestellt wurde, bereiteten sie ihm stehende Ovationen. Gleich in der ersten Partie wurde er „Player of the Match“. Und sein erster Satz nach der Verpflichtung lautete: „Ich kann es kaum erwarten, wieder auf die Platte zu kommen.“
Seite 29, Kompakt Zeitung Nr. 247