Stadtmensch:
Die verkannte Verantwortung
Lars Johansen
Es gibt eine Menge nützlicher Apps, also Applikationen, für das eigene Telefon, aber es ist eine große Kunst, herauszufinden, welche wirklich nützlich, welche Schrott und welche möglicherweise gefährlich sind. In der Schule haben wir das nicht gelernt und auch heute lernen wir das dort nicht, denn da wird mit den Methoden aus dem 19. der Stoff aus dem 20. Jahrhundert gelehrt. Und das geht an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen des 21. Jahrhunderts weit vorbei. Selbst im dafür verantwortlichen Ministerium kann man mit dieser ungeheuren Neuheit namens Internet nur bedingt umgehen, wie möglicherweise verschickte E-Mails beweisen, die möglicherweise zum Löschen des Schriftverkehrs zu einem bestimmten Vorgang auffordern. Ich halte das bewusst sprachlich so vage, weil ich mich in laufende Verfahren nicht einmengen mag. Jedenfalls ist eher von solchen Dingen zu lesen als von der Arbeit an modernen Lehrmethoden. Und das finde ich schade. Denn ein wenig Innovation täte hier dringend Not.
Natürlich haben alle Jugendlichen heutzutage ein Smartphone, Ausnahmen bestätigen die Regel und sie eint, dass sie zwar mit der reinen Technik gewiss besser als ihre Eltern und Lehrer umgehen können, aber auch, dass sie das selbstständig gelernt haben, ohne große Unterstützung durch Erwachsene. So wissen sie zwar einiges von der grundlegenden Technik, aber die Konsequenzen ihres Tuns sind ihnen nur sehr bedingt bewusst. 13-Jährigen mag es egal sein, dass das Internet nichts vergisst, aber wenn sie älter werden, dann fällt es ihnen irgendwann vielleicht auf die Füße. Denn Fehler werden hier nur selten vergeben von den Servern und Speichern, die niemand mit ethischen Algorithmen ausgestattet hat, welche ihr Handeln bestimmen. Wie die Künstliche Intelligenz tun sie alles, was möglich ist und möglich ist nun einmal sehr viel. Es gibt nur oberflächliche Restriktionen und spätestens, wenn die Verantwortlichen im weiter entfernten Ausland sitzen, gibt es keine Möglichkeit sich dagegen zu wehren.
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen, was Ihnen möglicherweise mittlerweile geläufig ist, denn die Werbung für eine bestimmte App dürfte auch Ihnen in die Timeline, also die Liste Ihrer und der Aktivitäten Ihrer Freunde, gespült werden, wenn Sie in den sozialen Medien unterwegs sind. Die Kostenlosigkeit dieser bezahlen wir mit verstärkter Präsenz von Produktwerbung. Da diese obendrein personalisiert wird, müssen sie nur einmal nach einem Wecker suchen und die Anzeigen dafür schwemmen Sie beinahe fort. Und immer wieder taucht dabei eine ganz in Orange gehaltene Werbung auf, die Ihnen zu Fabelpreisen das Gewünschte verspricht. Sie bekommen sogar noch eine kostenlose Drohne dazu und einen Preisnachlass von 90%. Kurz, Sie können auch mit Bürgergeld shoppen wie ein Millionär. Alles, was Sie dafür tun müssen, ist es, sich die App des Anbieters auf ihr Endgerät zu laden und schon geht es los. Wenn Sie danach endlich die Seite besuchen, auf der Sie das alles erwerben können, dann blinkt es und glitzert wie in Las Vegas und Glücksräder drehen sich, die weitere Rabatte versprechen. Zusätzlich laufen überall gerade Countdowns für irgendwelche weiteren Supersonderangebote ab, die Sie nett, aber bestimmt unter Druck setzen. Tatsächlich ist das alles so billig und es gibt auch keine offensichtlichen Haken. Für Kinder und Jugendliche ist das geradezu ein Paradies, denn das Taschengeld reicht hier unendlich lange und das ganze Blinken richtet sich auch eigentlich an sie und weniger an erwachsene Kundschaft. Diese sollte nämlich eigentlich misstrauisch werden, denn wenn man sich leisten kann, bis zu 90% vom Verkaufspreis nachzulassen, dann scheint der Originalpreis viel zu teuer zu sein, denn die Verkäufer werden ja wohl keinen Verlust machen wollen. Denken Sie, aber die Firma verliert bei jeder Bestellung im Schnitt etwa 25 Euro. Das klingt nach einem realistischen Verkaufsmodell und ist es tatsächlich, denn schon das Herunterladen der App ist für sie ein Geschäft. Diese fragt nämlich Daten ab und spätestens, wenn es ans Bezahlen geht, auch sensible. Die besagte Firma hat zwar Ihren nominellen Geschäftssitz in den USA, befindet sich aber in chinesischem Besitz. Und damit hat natürlich auch der chinesische Staat Zugriff auf die Daten. Und natürlich können diese auch verkauft werden, denn das ist äußerst lukrativ für alle Beteiligten, außer für Sie.
Denn Sie bekommen nur den billigen Plastikmüll aus China zurück, den wir dort eigentlich für alle Ewigkeit endlagern wollten. Vieles ist schlecht gefälschte Markenware und noch mehr funktioniert nur sehr bedingt. Natürlich können Sie das reklamieren und vielleicht bekommen Sie sogar Ihr Geld zurück, aber da gibt es noch einen Haken. Denn auch die Güte- und Funktionssiegel sind oft genau so gefälscht wie die Ware. Die Verwendung von elektronischen Geräten kann lebensgefährlich sein. Und Sie sind daran schuld. Denn Sie gelten nach deutschem Recht nicht als Kunde, sondern als Importeur chinesischer Ware. Und als solcher sind Sie für die Funktionsfähigkeit ebendieser voll und ganz verantwortlich. Nun werden die Dinge meist billiger, wenn man größere Stückzahlen bestellt und die Kinder und Jugendlichen tun sich oft zusammen, also einer bestellt und alle zahlen. Dann ist der Besteller verantwortlich und, wenn er minderjährig ist, die Eltern. Der Zimmerbrand beim besten Freund der Tochter aufgrund einer so gefälschten wie defekten Designerleuchte könnte also in Ihre Verantwortung fallen. Sie wissen das nicht, Ihre Kinder auch nicht, aber so ist es eben mit dem Internet und der Verantwortung.
Also, wenn es zu sehr glitzert, dann speit das orangene Einhorn vielleicht einen Regenbogen, es könnte aber auch schlimmer kommen.
Seite 9, Kompakt Zeitung Nr. 250, 21. Februar 2024