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Es grünt so grün … oder … ?

Von Prof. Dr. Peter Schönfeld

Aus Fehlern zu lernen und überholte Einstellungen über Bord zu werfen, sollte eigentlich für jedermann eine normale Verhaltensweise sein. Aber damit tun sich im Besonderen Mitglieder der Partei Die Grünen schwer, obwohl sich diese als Motor des Fortschritts definieren. Nur ein Gegenargument – die Blockade der Insulin-Herstellung.

 

Was wäre, wenn…? So werden oft Spekulationen über alternative politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Weichenstellungen angestellt, wenn aufgrund eines Ereignisses mehrere Folgereaktionen möglich sind. Spekulationen können durch sehr unterschiedliche Ereignisse ausgelöst werden.  Das kann eine Lüge sein, wie es 2003 beim 2. Golfkrieg der Fall gewesen ist. Die Lüge bestand aus einem Konstrukt, wonach der Irak im Besitz von biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen ist, den internationalen Terrorismus unterstützt und nach Atomwaffen strebt. Abgesehen davon, dass der amerikanische Präsident George W. Bush mit dieser Lüge viel Leid über die irakische Bevölkerung gebracht hatte, wurde die arabische Welt weiter destabilisiert.


Spekulationen kann man auch darüber anstellen, welche Folge es gehabt hätte, wenn eine Entdeckung erst zu einem späteren Zeitpunkt gemacht worden wäre. Ein Beispiel dafür ist die des Erdöls im amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ohne das Öl gäbe es heute möglicherweise keine Pottwale mehr, denn diese haben im Kopf eine große Fettmelone (das Walrat), die in der damaligen Zeit vielerorts den Brennstoff für die Straßenbeleuchtung geliefert hat.

 

Honigsüßer Durchfluss

 

Ein anderes Beispiel ist die Entdeckung des Insulins vor 100 Jahren, die es zeitgleich möglich machte, Zuckerkranken das Leben zu erhalten. Insulin erhielt seinen Namen von der inselartigen Anordnung seiner zellulären Bildungsorte (Langerhans Inseln) im Gewebe der Bauchspeicheldrüse. Retrospektiv betrachtet war die Auffindung des Insulins zu diesem frühen Zeitpunkt möglich, weil damals der Tierschutz nicht den heutigen hohen Stellenwert hatte. (Im 20. Jahrhundert wurden noch lange zur biomedizinischen Organ-erforschung Hunde eingesetzt.) Hätte er diesen gehabt, wären vermutlich noch lange Zeit Millionen von Zuckerkranken ihrem unentrinnbaren Schicksal ausgeliefert gewesen.


Die Niederschrift eines griechischen Arztes (Aretaios von Kappadokien) vor 2000 Jahren berichtet davon: „Sie führen ein elendes, weinerliches Leben und sterben nach gar nicht langer Zeit, denn der Durst quält sie wie ein loderndes Feuer“. Weil der Harn von Zuckerkranken süß schmeckt, erhielt die Stoffwechselkrankheit den Namen Diabetes mellitus, was „süßer Durchfluss“ bedeutet. Mellitus kommt von Melitta, dem altgriechischen Wort (μελιττα) für Biene. Mit deren süßen Honig hat Melissa, eine als Krankenschwester tätige Nymphe in der griechischen Mythologie das Zeus-Baby ernährt, denn das wuchs versteckt vor seinem kinderfressenden Vater in einer Höhle auf Kreta auf.  


Blutzucker (Glucose = Traubenzucker) „schwappt“ immer dann in den Harn über, wenn sein Gehalt durch einen absoluten (Typ 1, früher juveniler Diabetes) oder einen relativen Insulin-Mangel (Typ 2, Altersdiabetes) zu hoch ist. Beim Letzteren produziert die Bauchspeicheldrüse eigentlich ausreichend Insulin, aber dessen Wirkung auf den Stoffwechsel wird durch die verringerte Affinität der „Insulin-Antennen“ auf der Zelloberfläche vermindert. Deshalb muss auch bei Typ 2 mit Insulin „nachgeschossen“ werden.

 

Apotheke der Welt

 

Ende des 19. Jahrhunderts wusste man, dass die Zuckerkrankheit mit der Bauchspeicheldrüse zusammenhängt. Völlig unbekannt war dagegen, wie die Bauchspeicheldrüse Einfluss auf den Zuckergehalt des Blutes nimmt. Die Entdeckung des Insulins ist der Hartnäckigkeit eines um seine berufliche Existenz ringenden Arztes, zwei jungen Wissenschaftlern mit „goldenen Händen“ und der Förderung des experimentellen Arbeitens durch einen Institutsdirektor im fernen Toronto zu verdanken. Dieser antidiabetische Faktor ist der „Türöffner“ für den Blutzucker in die Zellen. Es ist auch das erste Eiweiß, dessen Struktur umfassend aufgeklärt wurde: Zwei kurze, aus Aminosäuren bestehende Ketten (A- und B-Kette), die über Schwefelatome nach Art eines Teilstücks einer Strickleiter miteinander verbunden sind. Mit dieser Erkenntnis gelang den Chemikern später das Kunststück, die 51 Aminosäuren des Insulinmoleküls so miteinander zu verknüpfen, dass das Synthese-Insulin identisch mit dem tierischen Insulin war. Weil für diese Herstellung aber mehr als 220 Reaktionsschritte nötig waren, kam es wegen der damit verbundenen enormen Kosten nie auf den Arzneimittelmarkt. Insulin wurde deshalb jahrzehntelang nur aus tierischen Bauchspeicheldrüsen (vorwiegend Schweinen und Rindern) gewonnen. Bemerkenswert ist, dass die deutschen Farbwerke Hoechst das Insulin bereits zwei Jahre nach seiner Entdeckung (1923) als Medikament in den Handel brachten. Damals hatte Deutschland allerdings noch den Ruf der „Apotheke der Welt“. Letzteres hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass Kanada dem Weltkriegsverlierer Deutschland bei der Lizenzvergabe keine Steine in den Weg gelegt hat.   

 

Eine Sternstunde der Menschheit

 

Die Insulin-Isolation aus den tierischen Quellen wurde von Hoechst ständig verfeinert, die immunologische Verträglichkeit verbessert und seine Wirkung im Körper mit der Entwicklung von Depot-Insulin verlängert. Die Farbwerke Hoechst waren auch die Ersten, die orale Antidiabetika entwickelten. Das alles macht Hoechst auch zu einem der weltweit wichtigsten Forschungsstandorte für das Insulin. Es war absehbar, dass die natürlichen Quellen für seine Gewinnung bald nicht mehr ausreichen würden, denn rund 50 Schweine sind das Äquivalent für den Jahresbedarf eines Diabetikers. Glücklicherweise entwickelte sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die Molekularbiologie atemberaubend. Damit waren bald die Grundlagen für die gentechnische Herstellung des Insulins geschaffen, und das Hormon wurde das erste gentechnisch-erzeugte Arzneimittel. Dazu wurden zuerst die zur Bildung der Insulinketten manipulierten Escherichia coli-Bakterien massenhaft in großen Bioreaktoren vermehrt. Aus deren Biomasse wurden beide Ketten isoliert und anschließend chemisch miteinander verbunden. Damit war der Weg frei für die industrielle Herstellung von Humaninsulin. Das hatte außerdem den Vorteil, dass es keine Nebenwirkungen hat. Angesichts dieser revolutionären Entwicklung eines Hormons hätte sicher Stefan Zweig innegehalten und seiner sehr lesenswerten Essay-Sammlung, „Sternstunden der Menschheit“, ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

 

Die Blockade  

 

Als Eliza Doolittle, die Blumenverkäuferin aus dem Londoner East-End, einem Stadtteil mit schlechter Sprachpflege, nach zahllosen, quälenden Sprechübungen endlich zur Zufriedenheit ihres Sprachlehrers sagen konnte – „es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“ –, spürte wahrscheinlich jeder, der das Musical „May Fair Lady“ kennt, die Aufbruchsstimmung, die von nun an ihr Leben verändern sollte. Die Farbe Grün steht für Wünsche, Wachstum, Natürlichkeit oder Hoffnung, aber auch für Unerfahrenheit (Grünschnabel). Aus der Sicht der Medizin fördert es das Wohlempfinden und ihr wird auch eine heilende Wirkung nachgesagt. Die Grünen haben es als Farbe ihrer Programmatik des harmonischen Miteinanders von Mensch und Natur, und damit auch des Umweltschutzes für sich vereinnahmt. Das mit der Farbe Grün auch die Hoffnung auf zukünftig verbesserte Lebensverhältnisse verbunden ist, scheinen sie allerdings nicht so sehr im Blick zu haben, denn anders ist ihr Widerstand gegen die Gentechnik nicht zu verstehen.


Anfang der 80er des vergangenen Jahrhunderts war der Hoechst-Konzern bestens für die gentechnische Insulinproduktion aufgestellt und sein Antrag für die Vermehrung der Bakterien in Großreaktoren genehmigt. Aber Hoechst hatte die Rechnung ohne die in Hessen 1985 regierende rot-grüne Regierungskoalition gemacht. In dieser war Joschka Fischer, der erst vor wenigen Jahren zu den Grünen zugestoßen war, der Leiter des Umweltministeriums. Bemerkenswert ist daran, dass ein Schulabbrecher, ein an handfesten Straßenkämpfen mit der Polizei beteiligtes Mitglied der ehemals linksradikalen Gruppe Revolutionärer Kampf, sich zum Verantwortlichen für Umweltfragen gewandelt hatte. Unter seiner Leitung wurde mit immer neuen Horrorszenarien die von Hoechst 1984 beantragte Genehmigung für die gentechnische Herstellung des Insulins jahrelang verzögert (obwohl es im Ausland längst in vergleichbaren Anlagen produziert wurde). Letztendlich verlagerte Hoechst die Produktion von Frankfurt in die USA. Diabetiker mussten deshalb jahrelang gentechnisch-erzeugtes Humaninsulin aus dem Ausland beziehen. Erst 1998 konnte der Hoechst-Ableger Sanofi-Adventis die Insulin-Herstellung auch in Deutschland beginnen.

 

Nachgedanken

 

Die Ablehnung der Gentechnik hat eine lange Geschichte bei den Grünen. Zum Auftakt der Bundestagswahl 1987 schrieben Die Grünen in ihr Programm: „Die neuen Fortpflanzungs- und Gentechniken sind Instrumente einer ausbeuterischen und gewaltsamen Naturbeherrschung: Ihre Folgen sind weder überschaubar noch rückgängig zu machen. DIE GRÜNEN lehnen diese Techniken ab“. Trotz der für die Medizin erbrachten Erfolge der sogenannten „roten Gentechnik“, fordern Die Grünen auch heute noch deren Zurückdrängen. Ihr Widerstand gilt besonders der „grünen Gentechnik“. Das ist grotesk, weil bereits heute geschätzte 60 bis 80 Prozent der Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen in unseren Supermärkten verkauft werden (Quelle: Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde). Auch sucht man vergeblich in ihren öffentlichen Verlautbarungen nach Anstößen für eine sachliche Auseinandersetzung mit der Gentechnik. Im Gegenteil, es wird alles getan, um eine solche zu verhindern. Ein Beispiel dafür war das Projekt HannoverGEN. Im Rahmen dieses Projektes hatten Schüler die Möglichkeit, selbst einfache biotechnische Experimente durchzuführen und Grundbegriffe der Gentechnik zu erlernen. Initiiert hatte das Projekt ein renommierter Professor für Molekulargenetik. Mit dem Koalitionsvertrag der neuen niedersächsischen Landesregierung wurde das Projekt nach vier Jahren 2013 beerdigt. Es war das erklärte Ziel der Koalitionsregierung Niedersachsen gentechnikfrei zu machen.


Die fehlende Bereitschaft zum sachlichen Umgang mit der Gentechnik kontrastiert allerdings mit den Appellen der Grünen an diejenigen, die Zweifel am menschengemachten Klimawandel haben. Denen werfen sie vor, sich nicht mit den wissenschaftlichen Belegen auseinandersetzen zu wollen. Das alles zusammengenommen wirft die Frage auf: Was wäre wohl passiert, wenn Die Grünen die Macht besessen hätten, die Entwicklung des Impfstoffes gegen die Covid-19-Pandemie zu verhindern?  


Trotz der ungenügenden medialen Aufklärung über die Wirkungsweise des mRNA-basierten Impfstoffes vertrauten Millionen von Menschen auf dessen Schutzwirkung. Der Erfolg dieser epochal-neuen Impfstrategie führte auch dazu, dass bereits nach einer ungewöhnlich kurzen Zeit die zugrundeliegende Grundlagenforschung im letzten Jahr mit dem Medizin-Nobelpreis gekrönt wurde.

 

Seite 4, Kompakt Zeitung Nr. 253, 10. April 2024

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