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Stadtmensch:
Über Verpackungen

Lars Johansen

Neulich habe ich im Internet ein Unboxing-Video gesehen. Da hat jemand eine Verpackung geöffnet und vor der Kamera darüber erzählt. Ich hatte mir das angesehen, weil ich mich für den Film interessierte, dessen Blu-ray sich in dieser Verpackung befand. Aber um diesen Film ging es tatsächlich nicht, sondern nur um den Vorgang des Auspackens. Ich stellte schnell fest, dass es nicht nur eine Menge dieser Auspackfilme gibt, sondern auch, dass sie hohe Klickzahlen generieren. Es gibt also anscheinend eine große Zahl von Menschen, die sich weniger für den eigentlichen Inhalt interessiert, sondern eher für die Verpackung. Mir war das nie so klar gewesen, aber auf einmal begann ich zu verstehen, dass dieser Vorgang exzellent unsere gegenwärtige Kommunikation beschreibt.


Wir diskutieren immer weniger über Inhalte, sondern eigentlich nur über die Verpackung. Immer mehr Menschen reden lieber über das sogenannte Wording, als über das, was mit diesen Worten tatsächlich ausgedrückt werden soll. Ich persönlich beispielsweise halte Gendern tatsächlich für eine gute Idee. Die Diskussionen darüber aber drehen sich nicht etwa darum, echte Missstände in der Behandlung der Geschlechter abzustellen, als vielmehr ausschließlich um die genaue Wortwahl und ihre korrekte Anwendung. Die eine Seite beklagt, dass es nicht gut klingt, wenn das Gendersternchen mitgesprochen wird und die andere Seite mag nicht zuhören, wenn das nicht geschieht. So reden beide Seiten nicht nur aneinander vorbei, sie sind komplett unfähig dazu, einander zuzuhören.


Die Zumutungen einer anderen Sprache als die von ihnen als korrekt empfundene mögen sie nicht mehr ertragen. So kann es keinen ernsthaften Disput geben, sondern letztlich nur noch Schweigen. Die vorsätzlich falsch verstandene Verbalisierung von Problemen verdrängt das eigentliche Problem in einen Resonanzraum, dessen Tür zugeschlagen wird. Inhaltliche Kritik ist einer reinen Verpackungskritik gewichen. Die Oberflächlichkeit hat eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Und wenn es doch einmal unterschiedliche Positionen oder gar substanzielle inhaltliche Kritik geben sollte, dann verhindert mittlerweile lautstark eingeforderter Respekt oder der Wunsch nach Achtsamkeit jede Form der Auseinandersetzung.


Eine Auseinandersetzung ist aber notwendig, weil nur sie etwas auszuhandeln vermag, was als Kompromiss funktionieren könnte. Neulich befand ich mich auf einer Demonstration, welche von einem Compliance-Team begleitet wurde. Wenn man sich unwohl fühlen sollte, dann würde man dort betreut werden. Nun ist das Ziel einer Demonstration in den meisten Fällen, sich klar gegenüber einem Adressaten öffentlich zu einer anderen Position als der seinen zu bekennen. Eine gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmerdemonstration beispielsweise, die eine Erhöhung der Löhne fordert, muss zwangsläufig einem Gegenüber entgegentreten, welches dem nicht zustimmen mag, denn sonst wäre die Veranstaltung überflüssig. Dieses Gegenüber wird sich bei den Forderungen nicht unbedingt wohlfühlen. Ein Compliance-Team muss hier kontraproduktiv sein, denn wenn sich das Gegenüber nun wohlfühlt, dann wird es die Forderung nicht erfüllen. Wenn sich aber die Demonstrationsteilnehmer bei ihrer eigenen Veranstaltung unwohl fühlen und Betreuungsbedarf haben, dann haben sie nicht verstanden, worum es eigentlich geht. Denn würde man sich wohlfühlen, dann müsste man ja nicht demonstrieren. Im Gegenteil, es geht darum, das eigene Unbehagen zu formulieren.


Es ist das Wesen aller guten Kunst, zu polarisieren. Wenn sie allen gefällt, dann wird sie nichts nachhaltig verändern. Und wenn ohnehin nur noch die Verpackung wichtig ist, dann wird der Inhalt zu einer eher störenden Nebensache. Das mündet früher oder später in einer Marginalisierung jeden substanziellen Inhalts. Statt zum Beispiel darüber zu reden, dass der Verzehr von Fleisch aus Massentierhaltung möglicherweise unklug ist, wird stattdessen ernsthaft darüber diskutiert, ob eine vegane Alternative Wurst heißen darf. Nebenbei, ich mag Fleisch durchaus und bin mir der Konsequenzen bei seinem Verzehr bewusst. Dadurch, dass ich über keinen eigenen Pkw verfüge und auch keine Flugzeuge nutze, gleiche ich das vielleicht ein wenig aus. Und schon ertappe ich mich dabei, mich für Kleinigkeiten zu rechtfertigen, die den Blick auf die eigentliche Substanz verstellen. Gewichtige Forderungen treffen auf kleinliche Vorbehalte.

 

Wenn beispielsweise das öffentlich-rechtliche Fernsehen etwas berichtet, dann reicht es für viele Menschen schon aus, dem Bericht grundsätzlich zu misstrauen, weil er vom sogenannten Staatsfernsehen kommt. Sie betrachten sich nicht als Teil dieses Staates, den sie als Feind begreifen. Nun ist es Wesen von Demokratie, dass diese vom Mittun lebt. Wenn jedoch diese Demokratie als Diktatur verstanden wird, weil sie die Wünsche dieser Menschen nicht immer stets und umgehend zu erfüllen vermag, dann verschieben sich Koordinaten. Denn dieses Diktat der sofortigen oberflächlichen Triebbefriedigung macht eine nachhaltige Lebensführung unmöglich.


Das Begreifen größerer Zusammenhänge tritt in den Hintergrund, die blank blitzende Oberfläche schiebt sich nach vorne und duldet keinen Widerspruch, keine Mehrdeutigkeit. Es wird schwerer, differenzierte Positionen zu vertreten. Das war es gewiss schon immer, aber wenn die Verpackung zum Fetisch wird, dann bleibt für den Inhalt immer weniger Raum. Irgendwann verwandelt sich alles in eine Schachtelpuppe, eine Matroschka. In jeder Verpackung steckt nur eine Verpackung für die Verpackung der nächsten Verpackung. Der Inhalt ist die Verpackung, unendlich bis in alle Ewigkeit. Und wir alle schauen tatenlos dabei zu.

Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 228

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